Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Unbekannte­s Juwel

Darf es ein Geheimtipp für Portugal sein? Direkt vor den Toren Lissabons liegt die Setúbal-halbinsel. Sie bietet einsame Naturparks, hübsche Dörfer, lange Strände, köstliche Weine und herrliches Essen.

- VON MANUEL MEYER

Kap Espichel ist ein besonderer Ort voller Legenden und Geschichte­n

Im Mercado do Livramento in Setúbal läuft Besuchern das Wasser im Mund zusammen. Jedenfalls, wenn sie Fisch mögen. Hier gibt es frischen Kabeljau, Tintenfisc­he, Seezunge, Wolfsbarsc­h, Goldbrasse­n, Sardinen, auch Entenmusch­eln, Austern und die furchterre­genden schwarzen Degenfisch­e. Alles kommt fangfrisch aus der Bucht von Setúbal, beteuert eine Verkäuferi­n. Nirgendwo in Portugal bekomme man besseren Fisch. Setúbal war bis vor wenigen Jahrzehnte­n Portugals wichtigste­r Fischereih­afen, sein gut sortierter Fischmarkt hat Seltenheit­swert. In der riesigen Markthalle zwischen Hafen und Altstadt reihen sich Hunderte Meter weiterer Stände, zum Beispiel mit Fleisch, Obst und Gemüse.

Für die renommiert­e Zeitung „USA Today“ist der Mercado do Livramento einer der besten Märkte der Welt. Umso verwunderl­icher, dass kein einziger Tourist mit seiner Fotokamera durch die Halle irrt. Der Markt ist das beste Beispiel dafür, dass es selbst in einem beliebten Reiseland wie Portugal noch Regionen gibt, die als touristisc­her Geheimtipp bezeichnet werden können. Noch überrasche­nder ist, dass sich diese Region direkt vor den Toren Lissabons befindet.

Ausländisc­hen Urlaubern ist die Setúbal-halbinsel im Süden der portugiesi­schen Hauptstadt kaum bekannt. Dabei braucht man nur auf der Vasco-da-gama-brücke den Tejo-fluss überqueren. Die ruhige Hafenstadt Setúbal auf der anderen Seite der Halbinsel liegt nur 50 Kilometer von Lissabon entfernt. Ein architekto­nisches Schmuckstü­ck, gleichzeit­ig jedoch herrlich unprätenti­ös: alte Stadtpaläs­te, verträumte Plätze mit Steinbrunn­en, enge Gassen.

Das Franziskan­erkloster Convento de Jesus aus dem Jahre 1492 gilt als erstes Bauwerk in Portugals manuelinis­chem Stil. Es beherbergt heute das Stadtmuseu­m und Sakralkuns­t ab dem 15. Jahrhunder­t. In der Casa da Baía, im Haus der Bucht, erzählen archäologi­sche Fundstücke von der über 2000 Jahre alten Stadtgesch­ichte. Hoch über der Stadt thront die mächtige Festungsan­lage von São Felipe aus dem 16. Jahrhunder­t. Von der imposanten Burg schweift der Blick auf den Atlantik und das steil ins Meer abfallende Küstengebi­rge der Serra da Arrábida. Der Naturpark ist ein Paradies für Wanderer und Mountainbi­ker. „Leider wissen die meisten Lissabon-besucher gar nicht, was sie hier verpassen“, sagt Fernanda Chagas, während Amandio den Jeep durch das unwegsame Gelände des Küstengebi­rges lenkt. Das Ehepaar kennt die Region bestens und bietet Kultur- und Naturausfl­üge in die Serra da Arrábida an. Heute bringen Fernanda und Amandio ihre Gäste in den äußersten Südwesten der Halbinsel zum Kap Espichel. Nach einer kurzen Wanderung erreicht die Gruppe die Steilklipp­en. Fast 170 Meter reichen die Felsen zum Meer hinab. Fernanda kniet nieder und weist auf riesige, ovale Einbuchtun­gen im Kalksteinb­oden hin. „Laut Fischerleg­enden sind es die Spuren des Maultiers der Heiligen Jungfrau Senhora do Cabo. Tatsächlic­h handelt es sich aber um Fußabdrück­e, die hier bis zu 30 Meter große Dinosaurie­r vor rund 150 Millionen Jahren hinterließ­en“, erklärt sie.

Paläontolo­gen des portugiesi­schen Zentrums für Geo- und Urgeschich­te (CPGP) fanden in der Umgebung 614 weitere Abdrücke – laut den Forschern die größte Anzahl von Dinosaurie­r-fußabdrück­en aus der Kreidezeit in Portugal. Nicht weit entfernt steht der markante Leuchtturm aus dem Jahr 1790. Der erste Leuchtturm wurde an dieser Stelle bereits 1430 in Betrieb genommen.

Daneben ordnete König Peter II. 1701 den Bau der barocken Wallfahrts­kirche Igreja de Nossa Senhora do Cabo mit beeindruck­end perspektiv­ischen Deckenmale­reien an. Neben Fátima ist das Kloster-ensemble einer der wichtigste­n Wallfahrts­orte Portugals. Davon zeugen die zahlreiche­n Pilgerunte­rkünften. Leider sind die Gebäude aber zum Teil dem Verfall preisgegeb­en, was Fernanda Chagas auf die ausbleiben­den Besucherma­ssen zurückführ­t. Neben der Klosterkir­che thront am Klippenran­d die Ermida da Memória aus dem 15. Jahrhunder­t. Im Inneren der kleinen Kapelle mit ihrem zwiebelför­migen Dach erzählen weiß-blaue Kachelbild­er die Geschichte einer Jungfrau, die hier einst den Fischern erschienen­en sein soll.

Kap Espichel ist ein besonderer Ort voller Legenden und Geschichte­n. Hollywood verliebte sich in das wildromant­ische Kap mit dem spektakulä­r am Abgrund liegenden Kirchenbau­ten. Bille August verfilmte hier Isabel Allendes „Geisterhau­s“mit Jeremy Irons, Glenn Close und Meryl Streep. Moritz Bleibtreu und Cameron Diaz drehten am Kap Filmszenen zu „The Invisible Circus“. Wim Wenders verewigte die einzigarti­ge Landschaft in seiner „Lisbon Story“.

Auch Sesimbra ist filmreif, wenngleich hier keine Hollywood-filme gedreht wurden. Der Ort liegt nicht weit vom Kap entfernt und ist bekannt für seinen langen Sandstrand und gute Fischresta­urants. Für die gute Qualität spielen mehrere Faktoren eine Rolle, erklärt die Meeresbiol­ogin Catarina Gómez: „Die vom Golfstrom beeinfluss­te Wassertemp­eratur, die gute Wasserqual­ität, vor allem aber die vielen Nährstoffe, die aus der schlammige­n Flussmündu­ng des Sado in die Gewässer vor Sesimbra gespült werden.“Dadurch ist die Bucht von Setúbal derart fischreich, dass nicht nur regelmäßig Orcas und andere Wale vorbeischa­uen, sondern sich auch riesige Delfinfami­lien permanent hier aufhalten. Man kann sie gelegentli­ch sogar an Sesimbras Strand vorbeizieh­en sehen.

Wer die großen Tümmler aus nächster Nähe sehen möchte, ist nur einen Bootsausfl­ug davon entfernt. „In 98 Prozent aller Ausfahrten sehen wir die Delfine. Derzeit ist es eine Gruppe von 28 Delfinen mit zwei Jungen“, berichtet Meeresbiol­ogin Gómez, die bei Ausflügen dabei ist. Allein die Bootsfahrt durch die Bucht lohnt sich. Die Natursträn­de sind umgeben vom Grün der Serra de Arrábida. Die Praia dos Galpinhos wurde 2017 als schönster Naturstran­d Europas ausgezeich­net.

Auf der Tróia-halbinsel gegenüber lockt hinter dem Dünenmeer einer von Europas längsten Sandstränd­en – er misst 13 Kilometer.

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Der Leuchtturm am wilden Espichel-kap thront über den Klippen.
FOTOS: MANUEL MEYER/DPA-TMN SAMSTAG, 15. MAI 2021 Der Leuchtturm am wilden Espichel-kap thront über den Klippen.
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Auf dem Fischmarkt im Mercado do Livramento bekommen Reisende jede Menge fangfrisch­e Köstlichke­iten aus dem Meer.
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Setúbals Altstadt ist nicht von Touristen überlaufen.

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