Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Im Wahlkampf der vielen Krisen

Erst schienen Kleinigkei­ten wichtig, jetzt rücken historisch­e Krisen in den Fokus.

- JAN DREBES

Was für ein Wahlkampf! Da geriet die Republik zunächst in Aufruhr, weil eine der Öffentlich­keit bis dahin wenig bekannte Annalena Baerbock die erste Kanzlerkan­didatin der Grünen wurde und dann herauskam, dass sie ihren Lebenslauf etwas aufpoliert hatte und ihr Buch abgeschrie­bene Passagen enthielt. Wohlgemerk­t: ein Buch, das sie veröffentl­icht hatte, um ihr im Wahlkampf zu helfen, sie bekannter zu machen, ihr ein Profil zu geben. Das ging mächtig nach hinten los. Doch dann kam die Flut und mit ihr eine nie dagewesene Krise als direkte Folge des Klimawande­ls. Unvorstell­bares menschlich­es Leid, das Unions-kanzlerkan­didat Armin Laschet nicht mit einem Lächeln im Bildhinter­grund kommentier­te. Und doch entstand durch diesen schweren Fehler der öffentlich­e Eindruck eines feixenden Ministerpr­äsidenten – und nicht der eines hemdsärmel­igen Machers in der Not.

Und jetzt? Jetzt lösen die Bilder aus Afghanista­n mindestens in allen westlichen Staaten Entsetzen aus. Die Bundesregi­erung kommt in Erklärungs­nöte, warum sie das nicht hat kommen sehen. Warum sie nicht früher handelte, zu lange so eiskalt gegenüber den früheren Verbündete­n und Helfern war. Auch die Grünen suchen noch nach einer Antwort, bilden jetzt die Spitze einer Gruppe, die möglichst viele bedrohte Menschen aus dem Land holen will. Wahlkampfs­trategen, deren Aufgabe ein Erfolg ihrer Auftraggeb­er am 26. September ist, haben auf einmal mit einem Wahlkampf der vielen Krisen zu tun. Klima, Flut, Afghanista­n – dabei gerät die historisch­e Corona-krise schon beinahe in den Hintergrun­d der Wahlkämpfe­r. Nur selten sagen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz, wie sie eigentlich den Wohlstand des Landes auf mittlere und lange Sicht sichern wollen angesichts eines Wettkampfs der zwei Weltmächte USA und China und einer Verschuldu­ng von rund 400 Milliarden (!) Euro im kommenden Jahr. Eins bringt dieser verrückte Wahlkampf aber mit sich: Er ist ein Härtetest für alle drei.

Unser Autor ist stellvertr­etender Leiter des Berliner Parlaments­büros. Er wechselt sich hier mit unserer Bürochefin Kerstin Münsterman­n und Elisabeth Niejahr, der Geschäftsf­ührerin der Hertie-stiftung, ab.

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