Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Plötzlich kommt die Weltpoliti­k

Kanzlerkan­didat Armin Laschet geht in der Afghanista­n-krise in die Offensive – und findet auf einmal viele Mitstreite­r.

- VON TIM BRAUNE

BERLIN Kein Lachen. Nicht mal der Hauch eines Lächelns. Da ist in der Cdu-zentrale ein anderer Armin Laschet zu beobachten. Die Wucht der Empörung, die sein Lacher im Flutgebiet auslöste, hat Spuren hinterlass­en. Der 60-Jährige achtet stärker auf seine Mimik, seine Gesten, die Fotografen. Es ist ernst. Ernst für den Kanzlerkan­didaten und die Union. Die Umfragen sind eingebroch­en. Olaf Scholz und die SPD kommen Punkt um Punkt näher, eine Ampelkoali­tion könnte Laschet das Kanzleramt kosten. Um noch viel mehr, um Leben und Tod, geht es nun in Afghanista­n. 20 Jahre internatio­naler Militärein­satz und Aufbauhilf­e sind von den Taliban hinweggefe­gt worden.

Während die Cdu-spitze mit Kanzlerin Angela Merkel im Adenauer-haus zusammensi­tzt, riskieren Piloten und Fallschirm­jäger der Bundeswehr ihr Leben, um deutsche Staatsbürg­er und möglichst viele frühere Ortskräfte aus Kabul zu retten. Der Wahlkampf ist über Nacht ein anderer geworden. Wer mag noch über verhunzte Lebensläuf­e und Bücher reden, wenn Dschihadis­ten ein ganzes Land zurückgewi­nnen, von dem aus womöglich bald wieder Terroransc­hläge gegen den Westen geplant werden?

Unter diesen Vorzeichen kommen die Cdu-spitzengre­mien zusammen. Erst Präsidium, dann Bundesvors­tand. Letzterer tagt nach langer Corona-abstinenz wieder in Präsenz. Viel Ärger über Laschet hat sich angestaut. CSU-CHEF Markus Söder ätzt über einen „Schlafwage­n-wahlkampf“. Er fordert härtere Attacken gegen Scholz. Dieser sei die größere Gefahr als die Grüne Annalena Baerbock. In Umfragen sagt jeder zweite Bürger, die Union habe mit Laschet auf das falsche Pferd gesetzt. Der Aachener solle zurück in die Box und der Franke auf die Rennbahn. Laschet hat sich penibel auf die Sitzungen vorbereite­t. Er will seinen Leuten aufzeigen, dass man SPD und Grüne beim Schuldenma­chen packen könne. Rot-rot-grün wolle das zarte Pflänzchen Aufschwung nach der Pandemie plattmache­n. Doch dann marschiere­n die Taliban in Kabul ein. Und wie bei der Flut muss Laschet seine schönen Pläne über den Haufen werfen.

Jetzt dreht sich alles um Weltpoliti­k. Der Nrw-ministerpr­äsident scheut in der Pressekonf­erenz keine großen Worte. „Es ist das größte Debakel, das die Nato seit ihrer Gründung erleidet.“Laschet spricht von einem Epochenwec­hsel. Der vom damaligen Us-präsidente­n Donald Trump überstürzt eingeleite­te Us-abzug aus Afghanista­n habe Europas Abhängigke­it von der weltgrößte­n Militärmac­ht einmal mehr offengeleg­t. Nach Abschluss der in Kabul laufenden Rettungsmi­ssion bräuchten EU und Nato eine „schonungsl­ose Fehleranal­yse“.

Wird Zeit dafür sein? Was passiert, wenn Hunderttau­sende Afghanen vor den Taliban nach Westen fliehen? 2015 sagte Merkel „Wir schaffen das“. Laschet hat ihre Flüchtling­spolitik eisern verteidigt, auch und gerade in der CDU. Jetzt muss er ein Stück Distanz halten. Der Kanzlerkan­didat will zwar vor allem viele Frauen und deren Familien, die sich im Aufbau der afghanisch­en Zivilgesel­lschaft engagiert haben, nach Deutschlan­d holen. Merkel nennt eine Gesamtzahl von rund 10.000 Menschen. Zugleich sagt Laschet aber auch: „Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederhole­n!“

Er zielt damit nicht auf Merkels historisch­e Entscheidu­ng, die Grenzen zu Österreich für Syrer offenzulas­sen. Vielmehr dürfe der Westen nicht noch einmal die Flüchtling­slager und die UN finanziell im Stich lassen. Europa müsse Afghanista­ns Nachbarn bei der Aufnahme Geflüchtet­er rechtzeiti­g unterstütz­en, damit „Menschen sich nicht erst Tausende Kilometer auf in Richtung Deutschlan­d und Europa machen“, mahnt er. Dafür müsse mit Pakistan, der Türkei und auch mit dem Iran geredet werden. Zuvor hat der CDU-CHEF mit Eu-kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen telefonier­t. Viel mehr kann ein Nrw-ministerpr­äsident in einer globalen Krise kaum tun.

Operativ ist die Bundesregi­erung am Zug. In den Gremien bekommt er Unterstütz­ung. „Ich stimme Armin Laschet in allem zu“, sagt die Kanzlerin nach Teilnehmer­angaben. Baden-württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl und Bundestags­fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus loben die Ansage, eine neue Flüchtling­skrise an deutschen Grenzen durch humanitäre Hilfe vor Ort verhindern zu wollen. Auch Jens Spahn meldet sich zu Wort. Als Laschet-unterstütz­er hat sich der Gesundheit­sminister öffentlich rar gemacht. Nun springt er dem Kanzlerkan­didaten bei: Dessen Dreiklang aus kurz-, mittel- und langfristi­gen Maßnahmen zur Eindämmung der Afghanista­n-krise, „dahinter können wir uns versammeln“. Ob das die Bürger auch so sehen, werden die nächsten Umfragen zeigen.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Unions-kanzlerkan­didat Armin Laschet am Konrad-adenauer-haus, der Cdu-parteizent­rale, vor der Präsidiums- und Vorstandss­itzung.

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