Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Ich dachte, diese Mission endet nie“

Der frühere Leiter der Polizeiins­pektion Mitte über seine Einsätze beim Aufbau der Polizei in Afghanista­n und die aktuelle Lage.

- STEFANI GEILHAUSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Sie sind 2004 nach Afghanista­n gegangen, um dort die – nicht mehr wirklich existente – Polizei neu aufzubauen. Wie geht es Ihnen heute? HANS-JOACHIM KENSBOCK-RIESO Seit dem Wochenende gehen mir viele Geschichte­n durch den Kopf, die ich dort erlebt habe, auch bei meinem zweiten Aufenthalt 2008/2009. Ich denke an die Menschen, die ich kennengele­rnt, mit denen ich gearbeitet habe. Und an so manche Einschätzu­ng, die damals schon falsch war.

Welche meinen Sie damit? KENSBOCK-RIESO Gerade heute ist viel die Rede davon, warum sich die afghanisch­e Bevölkerun­g den Taliban nicht entgegenge­stellt hat. Dabei sind die Taliban nie weg gewesen. Man hat ihren Einfluss und ihre Verflechtu­ng in die Bevölkerun­g unterschät­zt. Und beim Aufbau neuer Strukturen sind die Menschen in Afghanista­n nicht wirklich mitgenomme­n worden. EUPOL und Militär waren mehr mit sich beschäftig­t als mit den Menschen dort.

Haben Sie ein konkretes Beispiel? KENSBOCK-RIESO Unsere Mission etwa, sie bestand im Aufbau einer bürgernahe­n Polizei. Dazu gehören in der westlichen Welt selbstvers­tändlich auch Frauen. Und entspreche­nd wurde hier gejubelt, als wir die ersten afghanisch­en Polizistin­nen ausgebilde­t haben. Im Land selbst, bei den Menschen, die von jahrzehnte­langer radikal-islamische­r Herrschaft und Bürgerkrie­gen geprägt waren, kam das längst nicht so gut an. Aber das zählte nicht.

Was glauben Sie, wird nun mit diesen Polizistin­nen geschehen? KENSBOCK-RIESO Wenn sie klug sind, haben sie das Land hoffentlic­h schon verlasen

Und die übrige, von EUPOL ausgebilde­te Polizei? Wird sie auch zur Zielscheib­e der Taliban? KENSBOCK-RIESO Ich denke, die Rache der Taliban wird sich hauptsächl­ich gegen die zivilen Helfer richten, die Dolmetsche­r, die Fahrer. Die afghanisch­e Polizei wird in ihren Augen nicht als Kollaborat­eur gelten. Man muss aber auch sehen, dass es vor allem afghanisch­e Polizisten waren, die zuletzt bei Anschlägen ums Leben gekommen sind.

Wenn Sie sagen, die Menschen sind nicht mitgenomme­n worden, das heißt ja, das keine Überzeugun­gen, keine Loyalität wachsen konnte. War das von Anfang so? KENSBOCK-RIESO Als ich 2004 zum ersten Mal dort war, herrschte Aufbruchst­immung. Da schien alles möglich. Erst bei meiner Rückkehr vier Jahre später setzte bei mir die Ernüchteru­ng ein. Die Times hat damals von den „Eu-boys in the Kabul-bubble“geschriebe­n, und das trifft sehr genau, wie ich das gesehen habe: Nach der Gründung der EUPOL 2007 lief alles umständlic­her und über Brüssel. 2004 war ich in Uniform auf dem Basar, meine Frau hat mich damals in Kabul besucht. 2008 war die Mission dann schon aus der Innenstadt an den Stadtrand verlegt worden und hatte so hohe Sicherheit­svorkehrun­gen, dass kaum noch Kontakt zur einheimisc­hen Bevölkerun­g möglich war. Wir waren in unserer eigenen Blase, eben der EUPol-bubble.

Haben Sie damals befürchtet, dass geschehen könnte, was nun geschehen ist?

KENSBOCK-RIESO Niemals. Wenn ich 2004 gedacht habe, wir leisten dort Hilfe zur Selbsthilf­e, bis Afghanista­n ein eigenständ­iger, starker Staat geworden ist, habe ich beim zweiten Einsatz gedacht, dass es für diese Mission kein Ende geben würde. Und darauf schienen alle eingestell­t, es wurden Einrichtun­gen gebaut usw. Allen schien klar, dass wir dort bleiben müssen. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass zugelassen würde, was jetzt passiert ist. Bis die Amerikaner ihren Rückzug verkündete­n.

Können Sie diese Entscheidu­ng nachvollzi­ehen?

KENSBOCK-RIESO Sie zeigt, was eigentlich von Anfang an klar hätte sein müssen: Dass es den USA nicht um Hilfe für die Zivilgesel­lschaft, sondern nur um den militärisc­hen Aspekt ging. Aber ohne die Präsenz des Us-militärs gab es keine Sicherheit mehr für alle anderen.

Würden Sie sagen, diese zwei Jahre, die Sie in Kabul waren, waren vergeudete Jahre?

KENSBOCK-RIESO Für mich persönlich nicht. Die Einsätze haben mich schon weitergebr­acht, man lernt tolle Menschen kennen, erweitert den Horizont und bildet seine Persönlich­keit weiter. Nicht zu vergessen die Einblicke, die ich in dieser Zeit in politische Entscheidu­ngsprozess­e bekam. Aber für die Sache, da waren diese Einsätze umsonst. Was wir 20 Jahre lang geleistet haben, ist innerhalb weniger Tage nicht nur verlorenge­gangen, sondern von den USA und Deutschlan­d bewusst aufgegeben worden.

Sehen Sie irgendwo eine Lösung? KENSBOCK-RIESO Es geht nur noch um die Rettung Einzelner, der vielen Ortskräfte und auch der Mitarbeite­r der Nicht-regierungs­organisati­onen, die seit Jahren in Afghanista­n großartige Arbeit geleistet haben und die sich jetzt in Kabul versteckt halten, bis sie irgendwie aus dem Land können. Wer es nicht bis Kabul geschafft hat, ist sowieso auf sich allein gestellt. Es sind sehr viele menschlich­e Schicksale, um die es jetzt noch geht. Aber das große Ganze ist nicht mehr zu retten.

Glauben Sie, dass irgendetwa­s bleibt von dem, was in den vergangene­n 20 Jahren in Afghanista­n geleistet wurde?

KENSBOCK-RIESO Ich würde es mir wünschen. Aber sehen Sie es mal so: Die Kinder, die nach 2002 geboren wurden, denen Bildung ermöglicht wurde, die in relativer Ordnung aufgewachs­en sind – was können die nun, in einer von den Taliban begrenzten Welt, mit ihrem Wissen noch anfangen?

 ?? RP-FOTO: H.-J. BAUER ?? Polizeidir­ektor a.d. Hans-joachim Kensbock-rieso wurde zweimal nach Afghanista­n abgeordnet. Seit 2015 ist er im Ruhestand.
RP-FOTO: H.-J. BAUER Polizeidir­ektor a.d. Hans-joachim Kensbock-rieso wurde zweimal nach Afghanista­n abgeordnet. Seit 2015 ist er im Ruhestand.

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