Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Tanzen macht die Welt besser
Die Ausstellung „Global Groove“im Museum Folkwang dokumentiert, wie Tanz und Bildende Kunst gesellschaftliche Diskurse beeinflussen. Die ambitionierte Schau bietet Momente großer Schönheit, aber auch beinharte Theorie.
Essentanzende Menschen sind das Herrlichste, denn wer tanzt, gibt sich hin und lässt sich treiben. Tanzen ist fast immer ein Austausch mit anderen, Energietransfer und emotionaler Domino-effekt. Man tritt aus sich heraus und kommuniziert jenseits der Sprache, man feiert das Flüchtige und die Dynamik. Überhaupt sollte man viel häufiger tanzen.
Genau so denken auch die Macher der Ausstellung „Global Groove“im Museum Folkwang. In einer klingenden Schau erzählen sie eine Kulturgeschichte des Kontakts, denn auch dieses seit Corona noch stärker utopisch gewordene Potenzial birgt der Tanz: das Bewegen und Bewegtwerden in der und durch die Menge. Im Mittelpunkt steht dabei, wie die Bildende Kunst in den vergangenen 120 Jahren durch den Tanz inspiriert wurde und wie in der Folge gesellschaftliche Entwicklungen angestoßen oder verstärkt wurden und sich schließlich in neuen Wertvorstellungen und Einstellungen manifestierten.
In sechs Kapiteln springen Besucherinnen und Besucher durch die Historie. Zu Beginn stehen großartige Aufnahmen von Loïe Fuller: Die amerikanische Tänzerin begeisterte Europa am Anfang des 20. Jahrhunderts mit ihren sensationellen Performances. Sie trat in einem Seidenschleier auf, der sich in der Bewegung bauschte und die Künstlerin wie einen Schmetterling wirken ließ. Durch Einsatz elektrischen Lichts konnte sie Farben auf das Kostüm projizieren, und die synästhetische Wirkung ihres „Serpentinentanzes“brachte Fuller den Titel „Fée de l'electricité“ein. Ihr Einfluss war enorm, Künstler wie Toulouse-lautrec und Rodin fühlten sich zu Werken inspiriert.
„Global Groove“möchte zeigen, wie unterschiedliche Kulturkreise über die Brücke des Tanzes voneinander lernten, einander befruchteten und auf diese Weise das Neue in die Welt brachten. Es geht darum, den Groove als Verbindungslinie, als Netz zu identifizieren. Es zieht Kontinente zusammen und hegt einen ästhetischen Kosmos ein, der aus der Bewegung entsteht.
Dieses Netz hängt an mehreren Pflöcken, die von prominenten Begegnungen vor allem zwischen Ost und West symbolisiert werden. Einer dieser Kipppunkte ist die Zusammenarbeit von Pina Bausch und Yohji Yamamoto im Jahr 1998 in Wuppertal. Der japanische Modeschöpfer kreierte Kostüme für das Festival zum 25-jährigen Bestehen des Tanztheaters Wuppertal. Die schwarzen Gewänder sind Abstraktionen der Einfachheit, ihre strengen Symmetrien lassen die Trägerin würdevoll erscheinen. Ganz anders funktionieren die Kostüme, die Rei Kawakubo 1997 für das Stück „Scenario“von Merce Cunningham gestaltet hat. Die Commedes-garçons-designerin veränderte die menschliche Silhouette, indem sie Kissen und Polster in den Jersey stopfte und das Konzept der Ästhetik opferte, um die Dynamik zu erhöhen.
Über diese Clashs of Culture macht die Ausstellung nachvollziehbar, wie Tanzaufführungen allmählich dazu beitrugen, etwa Fragen von Geschlechteridentität und -gerechtigkeit, von Körpergefühl und Schönheitsideal neuerlich stellen und anders zu beantworten. Zu sehen ist etwa auch die protofeministische Performance „Vagina Paintings“von Shigeko Kubota. Die Künstlerin steckte sich Pinsel in die Unterwäsche und persiflierte die breitbeinigen Drip-paintings von Jackson Pollock.
Neben diesen gesellschaftspolitischen Linien bietet die Schau immer wieder Entdeckungen, die für sich genommen anrührend wirken. Die Ryoanji-zeichungen von John Cage etwa. Als der Komponist 1962 anlässlich einer Performance von Yoko Ono den antiken Ryoan-ji-garten in Kyoto besuchte, verarbeitete er dieses Erlebnis nicht nur musikalisch, sondern auch in einer Reihe grafischer Blätter. Die filigranen Bleistiftzeichnungen von 15 Steinen, die Cage neu ordnet, wirken wie Partituren, wie Kompositionen, die in einer neuen musikalischen Sprache notiert wurden. Es ist, als könne man diese Bilder hören.
Im Grunde ist „Global Groove“nicht nur eine Geschichte der Bewegung, sondern ebenso eine des Menschen. Viel Platz bekommen Einzelpersonen eingeräumt, die von Übertritten erzählen, von Wanderungen zwischen den Kulturen. Die dänische Choreografin Mette Ingvartsen hat eigens für die Schau die Installation „The Life Work“eingerichtet. Man betritt einen Raum, der wie ein postapokalyptischer Garten gestaltet ist, und hört Lebensgeschichten von Japanerinnen, die vor Jahrzehnten nach Deutschland zogen und nun im Rheinland leben. Sie sprechen von Fukushima, von den Problemen mit der neuen Sprache, und am Ende entsteht ein Panorama des menschlichen Unterwegsseins, aus dem sich neue Sichtweisen auf Natur und Heimat ergeben.
Der Titel „Global Groove“ist einer Arbeit von Nam June Paik entlehnt. Sie zeigt Aufnahmen von tanzenden Menschen, die wie beim Durchzappen durch verschiedene Fernsehkanäle gestaltet sind. Ähnlich ist das Finale der Schau gestaltet: Anouk Kruithof schneidet Videos von Tanzenden aus dem Web zusammen. Musik lädt dazu ein, sich mit den Tänzern auf acht Bildschirmen zusammenzutun und in den Groove zu begeben.
Wer der Aufforderung folgt, spürt am eigenen Körper, wie bewegend diese Ausstellung ist.
Die Ausstellungmöchte zeigen, wiekulturkreise über die Brücke des Tanzes voneinander lernten