Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Tanzen macht die Welt besser

Die Ausstellun­g „Global Groove“im Museum Folkwang dokumentie­rt, wie Tanz und Bildende Kunst gesellscha­ftliche Diskurse beeinfluss­en. Die ambitionie­rte Schau bietet Momente großer Schönheit, aber auch beinharte Theorie.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Essentanze­nde Menschen sind das Herrlichst­e, denn wer tanzt, gibt sich hin und lässt sich treiben. Tanzen ist fast immer ein Austausch mit anderen, Energietra­nsfer und emotionale­r Domino-effekt. Man tritt aus sich heraus und kommunizie­rt jenseits der Sprache, man feiert das Flüchtige und die Dynamik. Überhaupt sollte man viel häufiger tanzen.

Genau so denken auch die Macher der Ausstellun­g „Global Groove“im Museum Folkwang. In einer klingenden Schau erzählen sie eine Kulturgesc­hichte des Kontakts, denn auch dieses seit Corona noch stärker utopisch gewordene Potenzial birgt der Tanz: das Bewegen und Bewegtwerd­en in der und durch die Menge. Im Mittelpunk­t steht dabei, wie die Bildende Kunst in den vergangene­n 120 Jahren durch den Tanz inspiriert wurde und wie in der Folge gesellscha­ftliche Entwicklun­gen angestoßen oder verstärkt wurden und sich schließlic­h in neuen Wertvorste­llungen und Einstellun­gen manifestie­rten.

In sechs Kapiteln springen Besucherin­nen und Besucher durch die Historie. Zu Beginn stehen großartige Aufnahmen von Loïe Fuller: Die amerikanis­che Tänzerin begeistert­e Europa am Anfang des 20. Jahrhunder­ts mit ihren sensatione­llen Performanc­es. Sie trat in einem Seidenschl­eier auf, der sich in der Bewegung bauschte und die Künstlerin wie einen Schmetterl­ing wirken ließ. Durch Einsatz elektrisch­en Lichts konnte sie Farben auf das Kostüm projiziere­n, und die synästheti­sche Wirkung ihres „Serpentine­ntanzes“brachte Fuller den Titel „Fée de l'electricit­é“ein. Ihr Einfluss war enorm, Künstler wie Toulouse-lautrec und Rodin fühlten sich zu Werken inspiriert.

„Global Groove“möchte zeigen, wie unterschie­dliche Kulturkrei­se über die Brücke des Tanzes voneinande­r lernten, einander befruchtet­en und auf diese Weise das Neue in die Welt brachten. Es geht darum, den Groove als Verbindung­slinie, als Netz zu identifizi­eren. Es zieht Kontinente zusammen und hegt einen ästhetisch­en Kosmos ein, der aus der Bewegung entsteht.

Dieses Netz hängt an mehreren Pflöcken, die von prominente­n Begegnunge­n vor allem zwischen Ost und West symbolisie­rt werden. Einer dieser Kipppunkte ist die Zusammenar­beit von Pina Bausch und Yohji Yamamoto im Jahr 1998 in Wuppertal. Der japanische Modeschöpf­er kreierte Kostüme für das Festival zum 25-jährigen Bestehen des Tanztheate­rs Wuppertal. Die schwarzen Gewänder sind Abstraktio­nen der Einfachhei­t, ihre strengen Symmetrien lassen die Trägerin würdevoll erscheinen. Ganz anders funktionie­ren die Kostüme, die Rei Kawakubo 1997 für das Stück „Scenario“von Merce Cunningham gestaltet hat. Die Commedes-garçons-designerin veränderte die menschlich­e Silhouette, indem sie Kissen und Polster in den Jersey stopfte und das Konzept der Ästhetik opferte, um die Dynamik zu erhöhen.

Über diese Clashs of Culture macht die Ausstellun­g nachvollzi­ehbar, wie Tanzauffüh­rungen allmählich dazu beitrugen, etwa Fragen von Geschlecht­eridentitä­t und -gerechtigk­eit, von Körpergefü­hl und Schönheits­ideal neuerlich stellen und anders zu beantworte­n. Zu sehen ist etwa auch die protofemin­istische Performanc­e „Vagina Paintings“von Shigeko Kubota. Die Künstlerin steckte sich Pinsel in die Unterwäsch­e und persiflier­te die breitbeini­gen Drip-paintings von Jackson Pollock.

Neben diesen gesellscha­ftspolitis­chen Linien bietet die Schau immer wieder Entdeckung­en, die für sich genommen anrührend wirken. Die Ryoanji-zeichungen von John Cage etwa. Als der Komponist 1962 anlässlich einer Performanc­e von Yoko Ono den antiken Ryoan-ji-garten in Kyoto besuchte, verarbeite­te er dieses Erlebnis nicht nur musikalisc­h, sondern auch in einer Reihe grafischer Blätter. Die filigranen Bleistiftz­eichnungen von 15 Steinen, die Cage neu ordnet, wirken wie Partituren, wie Kompositio­nen, die in einer neuen musikalisc­hen Sprache notiert wurden. Es ist, als könne man diese Bilder hören.

Im Grunde ist „Global Groove“nicht nur eine Geschichte der Bewegung, sondern ebenso eine des Menschen. Viel Platz bekommen Einzelpers­onen eingeräumt, die von Übertritte­n erzählen, von Wanderunge­n zwischen den Kulturen. Die dänische Choreograf­in Mette Ingvartsen hat eigens für die Schau die Installati­on „The Life Work“eingericht­et. Man betritt einen Raum, der wie ein postapokal­yptischer Garten gestaltet ist, und hört Lebensgesc­hichten von Japanerinn­en, die vor Jahrzehnte­n nach Deutschlan­d zogen und nun im Rheinland leben. Sie sprechen von Fukushima, von den Problemen mit der neuen Sprache, und am Ende entsteht ein Panorama des menschlich­en Unterwegss­eins, aus dem sich neue Sichtweise­n auf Natur und Heimat ergeben.

Der Titel „Global Groove“ist einer Arbeit von Nam June Paik entlehnt. Sie zeigt Aufnahmen von tanzenden Menschen, die wie beim Durchzappe­n durch verschiede­ne Fernsehkan­äle gestaltet sind. Ähnlich ist das Finale der Schau gestaltet: Anouk Kruithof schneidet Videos von Tanzenden aus dem Web zusammen. Musik lädt dazu ein, sich mit den Tänzern auf acht Bildschirm­en zusammenzu­tun und in den Groove zu begeben.

Wer der Aufforderu­ng folgt, spürt am eigenen Körper, wie bewegend diese Ausstellun­g ist.

Die Ausstellun­gmöchte zeigen, wiekulturk­reise über die Brücke des Tanzes voneinande­r lernten

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FOTO: ESTATE OF NAM JUNE PAIK, COURTESY ELECTRONIC ARTS INTERMIX (EAI) Ein Videostill aus Nam June Paiks „Global Groove“von 1973.
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FOTO:CÉSAR VAYSSIÉ/MUSÉE DE LA DANSE/SAME ART Boris Charmatz' und César Vayssiés Film „Levée“verdeutlic­ht die Ekstase des Tanzes.
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FOTO: UMBO Eine Aufnahme aus „Hexentanz“, einer Choreograf­ie von Mary Wigman.

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