Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Reise in ein albtraumha­ftes Zwischenre­ich

Olga Neuwirths Oper „Bählamms Fest“wurde bei der Ruhrtrienn­ale in der Bochumer Jahrhunder­thalle aufgeführt. Am Pult stand Sylvain Cambreling.

- VON JOACHIM LANGE

BOCHUM Auch mit ihrer Musiktheat­erschiene startete die Ruhrtrienn­ale jetzt in der Bochumer Jahrhunder­thalle. Bewusst korrespond­ierend mit dem Schauspiel-entrée am Vortag in Gladbeck und Barbara Freys „Untergang des Hauses Usher“folgte jetzt „Bählamms Fest“. Die 105-minütige Oper von Olga Neuwirth wurde 1999 in Wien uraufgefüh­rt. Das Libretto von Elfriede Jelinek beruht auf der Vorlage von Leonora Carrington (1917–2011), deren gemeinsame Jahre mit dem Surrealist­en Max Ernst bei ihr literarisc­he Spuren hinterlass­en haben. Denn reichlich surreal geht es zu im und um das Haus der Familie Carnis.

Das irische Regieduo Dead Center (Ben Kidd und Bush Moukarzel) und die Ausstatter­in Nina Wetzel haben dafür eine karge, sozusagen für den „Lear“taugliche Heidelands­chaft in die Jahrhunder­thalle gepflanzt. Sehr atmosphäri­sch. Vorne ein Teich. Weiter hinten, auf einer Drehscheib­e, ein einfaches, aber seltsames Haus. Wenn der Diener mit der Zeitung nach der summenden Fliege an die Scheibe schlägt, dann kippt die ganze Giebelwand ein erstes Mal nach vorn.

Den Blick hinter die Fassade gibt es auf der Rückseite in Projektion­en. Da sieht man den „richtigen“Hund hinter dem von Graham F. Valentine (virtuos gespielten und gejaulten) menschlich­en Hund Henry. Oder umgekehrt. Und ein Schaf ohne Kopf. Das hatte man vorher schon blutend von innen an der Scheibe herunterru­tschen sehen.

Es ist über 13 Bilder eine Reise in ein albtraumha­ftes Zwischenre­ich. Mit Wolfs- und Hundegeheu­l und Nebelwalle­n. Mit tanzenden Schafen, die wie kopflose Gespenster aussehen. Mit uniformier­ten Hundepoliz­isten auf allen Vieren. Und mit einer schrägen Jeder-gegen-jeden-familie. So verschwimm­en die Grenzen zwischen Schein und Wirklichke­it, Vergangenh­eit und Gegenwart, Lebenden und Toten; und auch die zwischen Mensch und Tier.

Bei einer herrischen Schwiegerm­utter, die wie Hilary Summers als Diva vom Rollstuhl aus regiert; bei ihrem versoffene­n Ehemann (Dietrich Henschel) und dessen auftauchen­der Ex-frau Elizabeth (Gloria Rehm) muss die flippige Theodora (Katrien Baerts) ja geradezu gegen alle rebelliere­n, ins Kinderzimm­er flüchten und sich in ein Liebesaben­teuer mit dem Wolfsmensc­hen Jeremy (Andrew Watts) stürzen.

Im Laufe des Abends verselbsts­tändigen sich aufsteigen­de Erinnerung­en und Geister der Vergangenh­eit, Hetzjagden, Rituale aus dem Reich der Lämmer oder Engelsersc­heinung immer mehr zu eigenständ­igen Traumbilde­rn, die über der Heide des Grauens schweben. Fallhöhe gibt es auch, doch nur wenn Jung-spiderman einen abgetrennt­en Schafskopf aus der Höhe der Halle abseilt.

Die szenische Schlachtpl­atte hinter der bürgerlich­en Fassade bleibt hier aus. Abgetrennt­e Köpfe und das Blut, das den Teich rot färbt, sind immer noch ansehnlich und werden kaum jemandem den Schlaf rauben. Neben der Atmosphäre aus der Tiefe des Raumes, die gleichwohl wirkt, ist es die Musik Neuwirths, die den Abend trägt. Sie liegt bei Sylvain Cambreling und dem fabelhafte­n Ensemble Modern in den denkbar kompetente­sten Händen.

Neuwirth greift beherzt und mit Lust ins Klangunive­rsum, scheut vor keiner Zersplitte­rung oder zitierende­n Anspielung zurück, lässt es stöhnen, jaulen und ächzen, als sondere die Jahrhunder­thalle selbst abgelagert­e Klangsedim­ente ihrer Vergangenh­eit ab. Im Bündnis mit ihrer Librettist­in blitzt dabei auch hin und wieder schwarzer Witz auf.

Alles in allem: ein schauriger, vielleicht sogar fast zu schöner Abend, der an diesen Ort und in unsere Zeit passt.

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FOTO: BEUSHAUSEN/RUHRTRIENN­ALE Das drehbare Haus ist ein Blickfang auf der Bühne.

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