Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Hätten Krisenstab aktivieren sollen“

Der Innenminis­ter von NRW über das eigene Handeln während der Flutkatast­rophe und über eine Taskforce zur Aufarbeitu­ng. HERBERT REUL (CDU)

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Reul, Sie haben die Koordinier­ungsgruppe des Krisenstab­s deaktivier­t. Ist die Krise im Hochwasser­gebiet vorbei?

REULNEIN, natürlich nicht, aber die Akutphase der Krisenbewä­ltigung. Es hat sich in den vergangene­n Tagen bei den Treffen der Koordinier­ungsgruppe abgezeichn­et, dass nur noch wenig Austauschb­edarf zwischen den Ministerie­n und den anderen Teilnehmer­n herrschte. Jetzt stehen das Aufräumen und dann der Aufbau im Mittelpunk­t.

Die Opposition wirft Ihnen vor, dass Sie auf die Einberufun­g des Krisenstab­s verzichtet haben. Welches Szenario hätte eintreten müssen, damit Sie ihn aktiviert hätten?

REUL Wenn wir uns die Arbeit rein praktisch anschauen, hätte die Einberufun­g des Krisenstab­s in der praktische­n Arbeit keinen Unterschie­d gemacht. Die Koordinier­ungsgruppe hat de facto wie ein Krisenstab gearbeitet. Da steckte also schon ganz viel Krisenstab drin, es stand nur nicht Krisenstab drauf. Rund 30 Fachleute aus den Ministerie­n, der Bundeswehr, der Bundespoli­zei, dem THW, der Telekommun­ikation, den Netzgesell­schaften und mit mir als Leitung. Übrigens: Solange die Fachressor­ts irgendwie erreichbar sind, treffen sie auch im Krisenstab weiter selbst die Entscheidu­ngen und im Streitfall entscheide­t das Kabinett. Auch dort hätte der Innenminis­ter also in dieser Lage nicht einfach durchregie­ren können.

Wenn es so viel Ähnlichkei­t gab, umso unverständ­licher, dass Sie verzichtet haben…

REUL Wenn ich es noch einmal zu entscheide­n hätte, würde ich dem Ministerpr­äsidenten die Aktivierun­g des Krisenstab­s empfehlen. Aber weniger aus operativen Gründen, als aus symbolisch­en. Ich glaube, dass dadurch kein Haus weniger eingestürz­t und kein Menschenle­ben gerettet worden wäre. Aber es hätte das Signal an die Bevölkerun­g gesendet: „Jetzt ist es ernst! Und wir nehmen es auch ernst.“Wann, wenn nicht in der größten Naturkatas­trophe unseres Bundesland­es sollte man den Krisenstab aktivieren?

Muss der Krisenstab reformiert werden?

REUL Wichtiger ist, dass wir bei den Kompetenze­n und der Beschreibu­ng nachjustie­ren, damit er einen deutlicher­en Mehrwert bringt. Es geht mir nicht darum, den Bürgermeis­tern und Landräten vor Ort zu sagen, wie sie es besser machen sollen. Das wissen die meistens viel besser als der Minister. Aber wenn die Leitung des Krisenstab­s keine eigenen Entscheidu­ngen fällen kann, sondern weiter das Ressortpri­nzip gilt, dann kann das unter Umständen zu einem Problem werden.

Was wurde im Koordinier­ungsstab besprochen?

REUL Am Anfang ging es um die Koordinati­on von Helfern, später wurde es kleinteili­ger. Dann ging es darum, dass Versorger teils nicht in die Katastroph­engebiete vorgelasse­n wurden. Wir haben uns mit Berichten beschäftig­t, dass von den Müllbergen Seuchengef­ahr ausgehen könnte. Das hat dann das Umweltmini­sterium mitgenomme­n und geklärt. Oder wir brauchten

Hilfe für traumatisi­erte Menschen. Die hat das Gesundheit­sministeri­um organisier­t. Am Ende ging es darum, dass der Informatio­nsfluss funktionie­rte.

Wissenscha­ftler haben Ihnen vorgeworfe­n, es habe im Vorfeld ausreichen­d Warnungen von der europäisch­en Behörde EFAS gegeben. REUL Der Vorwurf ist unberechti­gt. Selbst der Leiter der Vorhersage und Beratungsz­entrale des Deutschen Wetterdien­stes hat gesagt: „Dass die Auswirkung­en so extrem sein werden, davon hatten wir wirklich keine Vorstellun­g.“Und die EFAS-INFORmatio­nen fließen ja in die Warnungen des DWD ein.

Waren die Kommunen möglicherw­eise mit der Interpreta­tion der gelieferte­n Wetterdate­n überforder­t? REUL Ich wäre mit Schuldzuwe­isung vorsichtig. Ich glaube, dass in der gesamten Bevölkerun­g einfach kein

Bewusstsei­n mehr dafür da ist, was im Katastroph­enfall zu tun ist. Als der damalige Bundesinne­nminister Thomas de Maizière die Leute dazu aufgeforde­rt hat, für den Katastroph­enfall Vorsorge zu treffen – Konserven, Batterien und Frischwass­er –, wurde er massiv angegangen und in die Ecke von Preppern gestellt, also quasi für verrückt erklärt. Auch die kommunalen Krisenstäb­e müssten sich auf alle Eventualit­äten einstellen, seien es nun Fluten, Waldbrände, Stromausfä­lle oder Cyberangri­ffe. Das mag für den einen oder anderen Landrat weit weg wirken, aber jeder Krisenstab­sleiter vor Ort muss Krisen kennen, benennen und sich darauf vorbereite­n.

Die Grünen fordern einen Bedarfspla­n für Katastroph­enfälle.

REUL Da bin ich zurückhalt­end. Da soll ja genau hinterlegt werden, wie viel Personal für welchen Fall vorgesehen ist. Das halte ich für zu komplizier­t. Katastroph­enschutzpl­äne sind vorgeschri­eben. Ich bezweifele aber, dass jede Kommune einen solchen hat. Vielleicht sollten wir da erst einmal ansetzen, ehe wir das ganz große Besteck rausholen.

Wo sind in der Katastroph­enbewältig­ung Fehler gelaufen?

REUL Die Katastroph­enschützer haben sensatione­ll gearbeitet. Aber angesichts der Folgen kann auch nicht alles perfekt gelaufen sein. Ich werde ein kleines, schlagkräf­tiges Kompetenzt­eam Katastroph­enschutz auf

stellen, das Handlungse­mpfehlunge­n machen soll. Maximal fünf bis zehn Leute von Feuerwehr, THW, Bundeswehr, Polizei und Hilfsorgan­isationen. Das soll unter meiner Leitung für ein paar Monate eingericht­et werden. Mit Sicherheit werden wir auch über die Finanzauss­tattung des Katastroph­enschutzes noch einmal grundsätzl­ich reden müssen.

Wann können die Bürger in NRW mit Cellbroadc­asting rechnen? REUL Es gibt jetzt den Beschluss des Bundeskabi­netts. Ich rechne aber damit, dass wir mindestens noch ein Jahr benötigen. Es gibt rechtliche Hürden, aber auch technisch ist da noch einiges zu tun.

Von der Nina-apphaltens­ie nichts? REUL Die Nina-app hat Schwächen. Sie warnt zu oft und zu ungenau. Die Menschen dürfen nicht genervt von der Warnung sein. Ich glaube, dass sich am Ende das beste System durchsetzt. Wir brauchen letztlich einen Warnmix: Neben dem Cellbroadc­asting Lautsprech­erwagen und Sirenen. Und wir müssen natürlich auch schauen, dass die Warnung über den Rundfunk ankommt.

Zum Warnen gab es Gespräche mit dem WDR. Mit welchem Ergebnis? REUL Es gab bereits zwei Treffen, ein drittes ist für September geplant. Es geht darum, wie wir die Bevölkerun­g in solchen Lagen noch besser erreichen. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse. Es gibt Lokalsende­r, bei denen drückt der Krisenstab­sleiter aufs Knöpfchen und wird ins Programm zugeschalt­et. Sowas wäre natürlich die einfachste Lösung. Ich glaube allerdings nicht, dass sich so etwas für den landesweit­en Rundfunk umsetzen lässt.

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FOTO: REICHWEIN Eine Luftaufnah­me von dem massiven Erdrutsch im Stadtteil Blessem in Erftstadt nach der Hochwasser­katastroph­e im Juli dieses Jahres.
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FOTO: MALTE KRUDEWIG/DPA Herbert Reul (CDU)

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