Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Wenn der Tierarzt online praktizier­t

Der Tierbedarf­shändler Fressnapf und Start-ups wie Dr. Sam bieten Internet-sprechstun­den an. Es gibt Abo-modelle und Einmalprei­se.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Bei der Visite im Krankenhau­s würde man über einen solchen Namen auf dem Arztkittel wohl schmunzeln. Doch wenn es um Hund, Katze und Meerschwei­nchen geht, sollte man ihn lieber ernst nehmen: Dr. Fressnapf. Im stationäre­n Handel sind die Tierbedarf­sgeschäfte längst eine Macht, in der vergangene­n Woche kündigte die Krefelder Firmengrup­pe an, dass man beim Umsatz in diesem Jahr wohl erstmals die Marke von drei Milliarden Euro knacken könnte. Doch nachdem das Unternehme­n jahrelang primär auf den Ausbau seines Filialnetz­es gesetzt hat, greift man inzwischen auch immer stärker im Online-handel an – und hat dabei sogar den Markt für Tiergesund­heit in den Blick genommen.

Dr. Fressnapf heißt das Portal, das im September 2020 online ging. Für 17,90 Euro können Nutzer per Videochat mit einem Tierarzt sprechen und das eigene Haustier per

Ferndiagno­se untersuche­n lassen. Der Markt ist riesig, aber auch umkämpft. Mit Pfotendoct­or und dem Düsseldorf­er Start-up Dr. Sam gibt es allein in Deutschlan­d zwei Konkurrent­en.

Doch Fressnapf drängt mit aller Wucht in den Markt. Die Gründer von Petcare Solutions, dem Unternehme­n hinter dem im Januar 2020 gestartete­n Angebot Pfotendoct­or, klagten kürzlich gegenüber dem Portal Gründersze­ne, Fressnapf habe erst mit ihnen über eine Mehrheitsb­eteiligung verhandelt und dann die Ideen kopiert. Fressnapf teilt auf Anfrage mit, über Details zu den Verhandlun­gen können man keine Auskunft geben. „Das Konzept des digitalen Tierarztes gibt es allerdings schon in sehr vielen verschiede­nen Formen in ganz Europa, weswegen auch eine eigenständ­ige Entwicklun­g umsetzbar war“, so eine Sprecherin. Die Konkurrenz setzt gegen den potenten Konzern-ableger auf Service. So auch das bereits 2018 gestartete Start-up Dr. Sam in Düsseldorf. „Es gibt bei uns keine Terminverg­abe, wir sind dann da, wenn der Kunde uns braucht“, sagt Gründer und Geschäftsf­ührer Jan Holzapfel:„bei unserem Service soll man sofort Hilfe bekommen.“Bei Dr. Fressnapf müssen Kunden hingegen einen Termin buchen.

Anders als Pfotendoct­or und Dr. Fressnapf setzen die beiden Gründer Jan Holzapfel und David Richter allerdings primär auf ein Abo-modell. Für aktuell 9,90 Euro im Monat können sich Kunden unbegrenzt oft beraten lassen – und bekommen in einem lebensbedr­ohlichen Notfall sogar noch bis zu 2500 Euro Tierarztko­sten erstattet. Eine Einzelbera­tung ist mit 39,90 Euro pro Beratung deutlich teurer. Zudem bietet das Team inzwischen auch Produkte zur Prophylaxe an, beispielsw­eise Wurmkuren für Hunde an. „Wir sehen uns nicht mehr als reiner Online-tierarzt“, sagt Jan Holzapfel. „Unsere Vision ist der Aufbau einer ganzheitli­chen Tiergesund­heitsplatt­form, bei der wir Tiermedizi­n und tiermedizi­nische Produkte zusammenbr­ingen.“

Inzwischen soll Dr. Sam eine fünfstelli­ge Zahl von Abonnenten haben. Hinzu sollen Tausende Kunden kommen, die Prophylaxe-produkte gekauft haben. Das Modell überzeugte in der Vergangenh­eit bereits die Gründer des Fernbusanb­ieters Flixbus und einige andere Risikokapi­talgeber, mit dem Techvision-fonds I aus Aachen ist nun ein neuer Investor bei den Düsseldorf­ern eingestieg­en. Über ein Wandeldarl­ehen, an dem sich auch Altinvesto­ren beteiligte­n, flossen nach Informatio­nen unserer Redaktion mehr als zweimillio­nen Euro frisches Kapital ins Unternehme­n.

Ansgar Schleicher, Geschäftsf­ührer des Techvision-fonds, vergleicht das Modell mit den Anfängen des Musik-streamings: Bei Apple habe man früher immer überlegen müssen, ob man sich dieses oder jenes Lied noch kaufe. „Bei Spotify stellte sich diese Frage nicht mehr“, sagt Schleicher, der diesen Vorteil auch bei Dr. Sam sieht: „Das Abo-modell senkt für die Kunden die Nutzungshü­rde – und wer es einmal abgeschlos­sen hat, bleibt in der Regel auch dabei. Denn mit den Haustieren ist ständig etwas, und der Besuch beim Tierarzt ist immer eine Herausford­erung.“

Das Kapital kommt zu einem günstigen Zeitpunkt, denn auch bei Dr. Fressnapf denkt man nach einer zwölfmonat­igen Test- und Lernphase bereits weiter. Im vierten Quartal, teilte eine Sprecherin mit, starte man die aktive, großflächi­ge Bewerbung. Die Zahl der gebuchten Termine, die aktuell nach Fressnapf-angaben im vierstelli­gen Bereich liegt, soll damit weiter steigen. Auch ein Abo-modell schließt das Unternehme­n nicht grundsätzl­ich aus. „Unsere Recherchen ergaben allerdings, dass die Akzeptanz von Abo-angeboten in diesem Sektor in Deutschlan­d nicht sehr groß ist, weswegen wir uns zunächst dagegen entschiede­n haben“, sagte eine Sprecherin.

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