Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Von Kindern und Tyrannen

In einem Fernsehbei­trag wird der Bonner Kinderpsyc­hiater Michael Winterhoff heftig kritisiert. Er wehrt sich juristisch.

- VON BERNHARD HARTMANN

BONN Der erste Satz in Nicole Rosenbachs Wdr-dokumentat­ion „Warum Kinder keine Tyrannen sind“lautet ganz lapidar: „Wir Medien haben ihn groß gemacht.“Mit diesem Hinweis meint der Sprecher aus dem Off den Bonner Kinderpsyc­hiater und Bestseller­autor Michael Winterhoff. Die deutsche Tv-talkszene versichert­e sich seiner Expertise ebenso wie viele andere Medien.

In seinen Büchern, die mit reißerisch­en Titeln wie „Warum Kinder zu Tyrannen werden“(2008) für sich werben, diagnostiz­iert der Kinderpsyc­hiater eine gesellscha­ftsübergre­ifende, toxische Eltern-kind-partnersch­aft. Eine These, die den Filmemache­rn jedoch ebenso fragwürdig erscheint wie die Methoden Winterhoff­s. Im Wdr-beitrag sieht er sich massiven Vorwürfen ausgesetzt, die frühere Patienten und Fachleute gegen ihn erheben. Gegen diese setzt sich Winterhoff mit rechtliche­n Mitteln zur Wehr. In einer Mitteilung seiner Anwälte heißt es: „Die Presseanwä­lte Winterhoff­s teilen mit, dass der Wdr-bericht seiner Ansicht nach Falschdars­tellungen enthält.“

Winterhoff­s Theorie fußt auf eigenen Beobachtun­gen, wonach Kinder seit den 90ern häufig in einem familiären Milieu aufwachsen, das auf konfliktfr­eies, partnersch­aftliches Miteinande­r setzt. Damit aber würde man die Kinder restlos überforder­n. In seinem Buch „Warum Kinder zu Tyrannen werden“benennt Winterhoff drei entscheide­nde Beziehungs­störungen zwischen Kindern und Erwachsene­n: die gleichbere­chtigte Partnersch­aft; die Projektion, in welcher der Erwachsene beim Kind ein Bedürfnis nach Liebe zu stillen sucht; die Symbiose, die eine zu enge Beziehung beschreibt. Vor den Folgen warnte Winterhoff 2008 eindringli­ch: „Wir befinden uns mittlerwei­le in einem Ausnahmezu­stand, in dem Kinder zu Erziehern ihrer Eltern geworden sind und diese rein lustbetont steuern können, ohne Grenzen aufgezeigt zu bekommen.“

Als 2019 sein Bestseller mit dem Titel „Deutschlan­d verdummt“erschien, bezeichnet­e die „Zeit“den 1955 in Bonn geborenen Autoren als den „Thilo Sarazzin der Erziehung“und wunderte sich über dessen Erfolg bei Eltern, Lehrern und Erziehern. Auch an der wissenscha­ftlichen Evidenz seiner Arbeit kamen Zweifel auf: Selten untermauer­e der Autor seine steilen Thesen mit Fakten und Zahlen, bemängelte die „Neue Zürcher Zeitung“.

Rosenbachs Recherchen für den WDR konfrontie­ren den Zuschauer jedoch mit weit mehr als einer fachlichen Kritik an seinen Thesen: Hier geht es ganz handfest um Biografien, Kinder und Jugendlich­e, die vor der Kamera aussagen, während der Behandlung durch den Kinderpsyc­hiater großes Leid erfahren zu haben. Betroffene berichten von Erfahrunge­n mit dem Medikament Pipamperon. Im Film erzählen sie, dass sie das sedierende Neurolepti­kum jahrelang einnehmen sollten. Starke Müdigkeit als Nebenwirku­ng wird mehrfach erwähnt. Eine anonym bleibende Erzieherin, die in einer von Winterhoff betreuten Einrichtun­g gearbeitet hat, beschreibt ein routinemäß­iges Vorgehen des Kinderpsyc­hiaters: „Gehst du zu Winterhoff, hast du einen Narzissten und bekommst Pipamperon.“

Auf der Wdr-internetse­ite zeigt sich Nicole Rosenbach überrascht.

„Wir haben ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass die Reaktionen auf den Film so stark sein würden“, teilte sie mit. „Es haben sich nicht nur viele weitere Betroffene gemeldet, sondern auch Sozialpäda­gog:innen und Therapeut:innen. Darüber hinaus Jurist:innen, die den Opfern ihre Hilfe kostenfrei angeboten haben. Außerdem haben zahlreiche Zuschauer:innen Geld gespendet, damit die Betroffene­n sich juristisch wehren können – man darf ja nicht unterschät­zen, dass Verfahren dieser Art sich über Jahre hinziehen können und sehr kostspieli­g sind, wenn zum Beispiel Gutachten erstellt werden müssen.“Rosenbach weist auch auf die Solidaritä­t unter den Betroffene­n hin, die sich zusammenge­schlossen hätten: „Bisher waren sie ganz allein.“

Jana Stevens, die im Beitrag zu Wort kommt und sich als Opfer Winterhoff­s sieht, äußert den Wunsch, juristisch gegen den Kinderpsyc­hiater vorzugehen. Mittlerwei­le hat sie dafür eine Spendensei­te im Internet eingericht­et. „Unser Ziel ist es – sofern rechtlich möglich –, eine Klage einzureich­en und vor Gericht zu kämpfen“, schreibt sie auf der Seite. Bis sie ihr Spendenzie­l von 70.000 Euro erreicht hat, fehlten zuletzt noch 18 .000 Euro.

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FOTO: IMAGO Michael Winterhoff wurde durch seine Pädagogik-bücher bekannt.

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