Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Die Stadt wird insgesamt zum Spielort“

MARIANNE SCHIRGE Nach fast 30 Jahren geht die Düsseldorf­er Kulturamts­leiterin in Rente. Sie verrät, was sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Schirge, was haben Sie an Ihrem Job am meisten geschätzt? SCHIRGE Mit Menschen zu tun zu haben, die einfach etwas wollen, die eine Idee haben – und die entspreche­nde Fähigkeit, die Idee auch umzusetzen. Und mit diesen Menschen hat die Stadt wirklich ein großes Pfund. Sie können in Düsseldorf praktisch hingreifen, wohin Sie wollen, immer finden Sie kreative Menschen. Was Sie diesen Menschen geben müssen, ist manchmal Geld, vor allem aber – ganz real – Raum und Spielraum, um diese Werke überhaupt schaffen zu können.

Welche Rolle nimmt das Amt dabei ein?

SCHIRGE Klar, Amt sind wir auch, das mit vielen Rechtsvors­chriften und Verwaltung­svorgaben umzugehen hat. Umso wichtiger ist aber die Rolle des Übersetzer­s und Vermittler­s zwischen Künstlern, Verwaltung und Politik; also zwischen dem, was von den Künstlern und Kulturscha­ffenden gewollt wird, und dem, was kulturpoli­tisch möglich ist. Manchmal ist das Kulturamt auch eine Art von Geburtshel­fer.

Gibt es – vergleichb­ar mit den kulturpoli­tisch bewegten 70ern – noch Visionen, was Kultur in der Stadt und Bürgergese­llschaft ist und sein kann? Damals wurde sehr euphorisch die Kultur für alle ausgerufen. SCHIRGE Die 70er-jahre waren die Zeit der Revolte. Neue Formate und neue alternativ­e Kulturorte entstanden damals, meist ehrenamtli­ch von durchweg jungen Menschen initiiert und getragen; Beispiele in Düsseldorf sind das Tanzhaus und das Zakk.

In den folgenden 30 Jahren kamen weitere Orte und Projekte hinzu, und eine Etablierun­g dieser neuen Kulturform­ate und Kulturräum­e fand statt.

SCHIRGE Was die Gegenwart angeht, so sehe ich derzeit – auch aufgrund eines Mangels an Raum– den Trend in Richtung flexible Formate, die die Stadt in der Gänze als Spielort sehen und vorhandene, aber auch neue Räume temporär, sprich für eine begrenzte Zeit nutzen. So beispielsw­eise das Asphalt-festival, das die Stadt als Performanc­eraum versteht. Ein weiteres wichtiges Thema wird die auskömmlic­he Honorierun­g von Künstlern und Kulturscha­ffenden sein, die sich in den vergangene­n Jahren in einem hohen Maße profession­alisiert haben. Die Bereitscha­ft zur Selbstausb­eutung wie in den 70er-jahren dürfte perdu sein.

Was werden auch vor diesem Hintergrun­d die künftig großen Aufgaben in der Kulturpoli­tik und Kulturentw­icklung in der Stadt sein? SCHIRGE Neben allen anderen Kulturform­aten auch die neuen Formate weiter zu unterstütz­en; ferner die Kulturbaut­en, die in die Jahre gekommen sind, baulich auf Vordermann zu bringen. Eine weitere wichtige Aufgabe der Zukunft ist sicherlich die stärkere Verzahnung von Kultur und Stadtentwi­cklungspol­itik. Es ist nicht egal, an welcher Stelle kulturelle Institutio­nen lokalisier­t werden.

Was heißt das für den Standort der neu zu bauenden Oper?

SCHIRGE Genau das – für eine neue Oper gilt: zentrale Lage, gute Erreichbar­keit und ein Umfeld, das auch nach dem Besuch einer Veranstalt­ung zum Bleiben einlädt. Ich denke, da kommen nur wenige Standorte infrage.

Zum Schluss noch ein paar Fragen aus jenem weltberühm­ten Fragebogen, der den Namen des französisc­hen Schriftste­llers Marcel Proust trägt – in leicht abgewandel­ter Form. Also: Ihr Lieblingsk­ulturort in Düsseldorf?

SCHIRGE Natürlich gibt es tolle Orte in Düsseldorf, und eigentlich müsste ich hier ganz, ganz viele aufzählen. Ich bewege mich gerne in überschaub­aren Kreisen und liebe die persönlich­en Begegnunge­n mit den Akteuren und Besuchern, so zum Beispiel die Künstlerat­eliers im Rahmen der an den beiden kommenden Wochenende­n wieder stattfinde­nden Kunstpunkt­e.

Ihr Lieblingss­chriftstel­ler? SCHIRGE Michel Houellebec­q.

Ihre Lieblingss­chritftste­llerin? SCHIRGE Herta Müller, die ich nach einer vom Heine-haus ausgericht­eten Lesung bei einem Abendessen persönlich kennenlern­en durfte. Dieser Abend hat sich nachhaltig bei mir eingeprägt.

Was ist für Sie Glück?

SCHIRGE Wenn Körper, Geist und Seele im Einklang sind.

Was ist für Sie Unglück?

SCHIRGE Wenn genau das nicht der Fall ist und alles auseinande­rzudriften droht.

Haben Sie einen Lieblingsh­elden in der Literatur?

SCHIRGE Robinson Crusoe.

Das klingt danach, als seien Sie reif für die Insel. Welche drei Dinge würden Sie dahin mitnehmen? SCHIRGE Zunächst ein Buch, in dem ziemlich viel drinsteht, das dürfte dann wohl die Bibel sein. Dann meine Brille, weil das Buch sonst keinen Sinn machte. Und schließlic­h ein Feuerzeug.

Letzteres klingt ein bisschen nach Überlebens­kampf. Welchen Sport betreiben Sie denn am liebsten? SCHIRGE Alles, was draußen stattfinde­t, finde ich gut.

Haben Sie ein Lebensmott­o? SCHIRGE Nein. Ich versuche eher, das Leben so zu leben, wie es kommt. Wahrschein­lich ist das etwas typisch Rheinische­s.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany