Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die Hoffnungen des Widerstands
Nach der Machtübernahme in Kabul zeigt sich die erste Bewegung gegen die Taliban. Ihre Chancen sind nur schwer einzuschätzen.
PANDSCHIR/KABUL In der Pandschir-provinz, 150 Kilometer nördlich der afghanischen Hauptstadt Kabul, hat der 32-jährige Ahmed Massud seine Kämpfer um sich gescharrt. Im idyllischen Bergtal formiert sich wenige Tage nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul der Widerstand. „Ich bin bereit, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten“, kündigte Massud an. Er ist der Sohn des Widerstandskämpfers Ahmed Shah Massud, der gegen die Sowjetunion und später die Taliban kämpfte und 2001 von Al-kaida-agenten ermordet wurde.
Unterstützung erhält Massud auch von Amrullah Saleh. Der ehemalige Vizepräsident Afghanistans ist vergangenen Sonntag vor den Taliban ins Pandschir-tal geflohen. Die schwarz-rot-grüne Flagge der afghanischen Republik weht hier weiter über den Häusern; die Provinzhauptstadt Basarak ist vorübergehend die neue Hauptstadt der kollabierten Republik geworden.
Überreste zerstörter russischer Panzer in Pandschir zeugen davon, dass es der Sowjetunion in den 80er-jahren nie gelungen war, das Tal einzunehmen. Auch die Taliban hatten während ihrer Schreckensherrschaft Ende der 90er-jahre keine Chance. Das Pandschir-tal war die Heimat der Nordallianz, die gegen die Islamisten kämpfte. Jetzt ist es die einzige Provinz Afghanistans, die sich weiterhin den Taliban widersetzt. Mit seinen gut 170.000 Einwohnern ist Pandschir ein eigener Mikrokosmos, eine Ausnahme.
Die Bevölkerung besteht fast ausschließlich aus Tadschiken. Massud, der mit der neu gegründeten „National Resistance Front of Afghanistan“die Nordallianz-führung seines Vaters wiederzubeleben versucht, braucht Hilfe aus dem Ausland, um seine Männer in den Kampf gegen die neuen Herren in Kabul zu schicken. Sein Schlachtruf gegen die Taliban erschien in der „Washington Post“– der Us-geheimdienst CIA hatte Massuds Vater damals mit Waffen und Geld unterstützt.
„Ich glaube, es ist ein andere Situation als 1996“, schreibt Mick Mulroy, ein früherer hoher Mitarbeiter des Us-verteidigungsministeriums, in der Zeitschrift „Foreign Policy“. „Militärisch haben die Taliban amerikanische Waffen und Gerätschaften im Wert von Milliarden Us-dollar erbeutet.“Heute haben die Taliban nicht nur bessere Waffen: Mit einer schlauen, inklusiven Politik haben die vormals fast ausschließlich auf den Süden konzentrierten Guerilla-kämpfer auch im Norden große Teile der Bevölkerung für sich gewinnen können.
Die populistische Strategie veränderte das Image der Taliban – von paschtunischen Bauerntölpeln aus dem Süden zu ehrlichen Männern des afghanischen Volkes, die gegen die korrupten, vom Westen gestützten Eliten in den Städten kämpfen. Jugendliche im Norden, ob Usbeken, Turkmenen oder Tadschiken, erhielten von den Taliban eine Chance auf Zugehörigkeit zu einer islamistischen Bewegung, die Gerechtigkeit, Abenteuer und ruhmvollen Märtyrertod versprach.
Welche Chancen der Widerstand gegen die Taliban hat, hängt von finanzieller und militärischer Unterstützung ab. Als erstes Anzeichen für einen sich formierenden Widerstand gegen die Taliban-herrschaft hatten die Milizen am Wochenende drei von den Aufständischen eroberte Distrikte in in der Baghlan-provinz wiedergewonnen. Doch der arabische Sender Al Dschasira berichtete am Montag, dass die Taliban diese drei Bezirke schon wieder zurückerobert haben. Die Taliban erklärten zudem, das Pandschir-tal sei mittlerweile auch von ihren Kämpfern eingeschlossen.
Doch auch eine Woche nach der Machtübernahme ist noch nicht absehbar, wie die Aufständischen regieren wollen. Die neue Führung scheint weiterhin über ihren Erfolg verwundert zu sein. „Die Entwicklungen waren so schnell, dass alle Leute überrascht davon waren“, sagte der Leiter der Kulturorganisation der Taliban, Abdul Kahar Balkhi, in einem Interview mit dem arabischen Sender Al Dschasira. Laut Balkhi sind Gespräche über eine Regierungsbildung im Gange.
Die Taliban sind eine Formation lokaler Führer mit unterschiedlichen Interessen. All diese zufriedenzustellen, kommt einem delikaten Balanceakt gleich. Sollten Nicht-taliban an der neuen Regierung beteiligt werden, würde es noch komplizierter werden, einen Konsens zu finden. Ein erstes klares Zeichen, dass die Taliban wenig Rücksicht nehmen wollen, scheint die Besetzung des Gouverneursposten von Kabul zu sein. Für die Sicherheit der Hauptstadt ist nun Abdul Rahman Mansur, ein ultrakonservativer Kommandeur aus der Südprovinz Helmand, zuständig. Und schon jetzt gibt es Streit zwischen einzelnen Taliban-fraktionen aus Süd-, Ost- und Nordafghanistans, ob Mädchen weiter am Schulunterricht teilnehmen und Frauen arbeiten gehen sollen.
Solch ein komplexes Land mit 38 Millionen Einwohnern zu regieren, wird wohl eine größere Herausforderung sein, als die besten Armeen der Welt zu schlagen.