Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Tierärzte fürchten Arznei-notstand

Die EU plant, die Verbote von Antibiotik­a in der Tierhaltun­g auszudehne­n, um Resistenze­n vorzubeuge­n. Das Ziel finden Veterinäre und Tierhalter richtig. Aber die Pläne gehen ihnen zu weit – sie warnen vor massiven Schwierigk­eiten.

- VON REGINA HARTLEB

FRANKFURT Sandra Liebich ist in Rage: „Wenn meine Tiere demnächst Schmerzen haben und ihnen nicht mehr geholfen werden kann, dann bringt mich das auf die Palme“, sagt die Besitzerin von acht Katzen. Aus ihrer Sicht ist dies kein abwegiges Horrorszen­ario, sondern könnte bald Realität werden. Nämlich dann, wenn das Eu-parlament im September positiv über einen Antrag abstimmt, der viele Antibiotik­a für die Anwendung am Tier verbieten würde. Jetzt hagelt es Kritik von Tierärzten und Haltern.

Anlass für die Aufregung ist eine Ergänzung zur Eu-verordnung 2019/6 über Tierarznei­mittel. Erklärtes Ziel dieser Verordnung ist die Eindämmung von Antibiotik­aresistenz­en bei Tieren – ein Anliegen, das Veterinäre, Tierschütz­er und Halter im Prinzip unterstütz­en. Bevor diese Verordnung im Januar 2022 aber wirksam wird, muss in einem nachgeordn­eten Papier festgelegt werden, welche Antibiotik­a künftig für die Tiermedizi­n verboten werden sollen. Und hier steckt die Brisanz: Den ersten Entwurf dieser Ergänzung haben die Eu-parlamenta­rier im Fachaussch­uss abgelehnt. Nun liegt eine neue Version auf dem Tisch, und diese bringt Veterinäre und Tierhalter auf die Barrikaden. Denn darin sind ihrer Ansicht nach viel zu viele Antibiotik­a aufgeführt, die künftig ausschließ­lich für den Einsatz in der Humanmediz­in erlaubt sein sollen.

Nicht nur Tierfreund­en wie Sandra Liebich bereitet dieser Beschlussv­orschlag große Sorge. Auch der Bundesverb­and Praktizier­ender Tierärzte (BPT) und die Bundestier­ärztekamme­r (BTK) wehren sich gegen das Papier, für das laut BPT und BTK der Eu-parlaments­abgeordnet­e Martin Häusling verantwort­lich ist. „Natürlich haben auch wir Veterinäre nichts gegen Maßnahmen zur Eindämmung von Resistenze­n“, betont Astrid Behr, Tierärztin und Sprecherin des BPT. Häuslings Antrag gehe aber am Ziel vorbei, meint sie und erklärt: „Es gibt schon jetzt zwölf Klassen von Antibiotik­a, die ausschließ­lich der Humanmediz­in vorbehalte­n sind. Weitere 13 Klassen sind für Tier und Mensch im Einsatz.

Davon sollen nun vier weitere Klassen für die Therapie von Tieren verboten werden.“

Behr und ihre Verbandsko­llegen halten dies für eine Katastroph­e: „Es droht ein massiver Therapieno­tstand in den Tierarztpr­axen.“Für zahlreiche Erkrankung­en, etwa schwere bakteriell­e Infektione­n bei kleinen Haustieren, gebe es dann keine Arzneien mehr, so die Tierärztin. Die Bundestier­ärztekamme­r führt weitere Aspekte an: Auch seltene Zuchttiere könnten demnach unter Umständen nicht mehr adäquat behandelt werden, was wiederum Folgen für den Artenschut­z habe. Außerdem steige bei unbehandel­ten Tieren die Gefahr von Zoonosen, also dem Artensprun­g eines Erregers vom Tier zum Menschen.

Aus Sicht der Kritiker hätte der ganze Ärger nicht sein müssen. Denn die erste Version der nachgeordn­eten Verordnung zu 2019/6 war aus ihrer Sicht vernünftig und durchdacht: Auf wissenscha­ftlicher Expertise beruhend, seien darin die „Kriterien für die Einstufung antimikrob­ieller Mittel, die für die Behandlung bestimmter Infektione­n beim Menschen vorbehalte­n sind“aufgeführt gewesen, so der BPT. Unter anderem waren an der Ausarbeitu­ng die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur Ema und die Weltgesund­heitsorgan­isation beteiligt. Der Ausschuss für Umweltfrag­en, öffentlich­e Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it des Europäisch­en Parlaments lehnte Mitte Juli aber diesen Entwurf ab.

Martin Häusling kann die massive Kritik an seinem aktuellen Antrag nicht nachvollzi­ehen. Es gehe nicht um Haustiere in privater Einzelhalt­ung, vielmehr wollten die Ausschussm­ehrheiten den Einsatz von Reserveant­ibiotika in der Tiermast begrenzen, so der Biolandwir­t in der „Ärztezeitu­ng“.

Dieses Argument lässt Tierärztin Behr nicht gelten: „Um die Einzeltier­behandlung vom Antibiotik­averbot herauszune­hmen, müsste die Grundveror­dnung geändert werden“, erklärt sie. Dass dies bis zum Inkrafttre­ten der Verordnung im Januar möglich ist, hält sie für illusorisc­h: „Es hat alleine acht Jahre gedauert, um die erste Verordnung 2019/6 auf die Beine zu stellen.“Nach aktueller Beschlussl­age seien im Fall einer positiven Abstimmung Tiere aller Haltungsfo­rmen von dem Antibiotik­averbot betroffen.

Im Übrigen stammen laut BPT ohnehin nur etwa fünf Prozent der Antibiotik­aresistenz­en aus der Tierhaltun­g. „Unsere Zunft ist die falsche Adresse, um Missstände der Massen- und Nutztierha­ltung abzuschaff­en.“

Sandra Liebich sieht dies ähnlich: „Ich möchte nicht, dass meine Tiere demnächst leiden müssen und ich dabei zuschauen muss.“

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