Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Eine Entschuldi­gung wäre angebracht

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Es war im April dieses Jahres, als Angela Merkel zu einer der stärksten rhetorisch­en Waffen einer Regierungs­chefin griff: Die Bundeskanz­lerin bat bei den Bürgerinne­n und Bürgern um Entschuldi­gung. Vorausgega­ngen waren eine missglückt­e Ministerpr­äsidentenk­onferenz und der Beschluss einer sogenannte­n Osterruhe zur Bekämpfung der Corona-pandemie. Nun steht das Desaster in Afghanista­n, ein Weltereign­is, wahrlich in keinem Verhältnis zu einer national verpatzten Lockdown-idee. Die Entschuldi­gung, sie kam damals gut an, wäre aber politisch betrachtet nicht nötig gewesen.

Bei der Frage, warum deutsche Behörden und Ministerie­n nicht schon früher damit begonnen haben, eine größere Zahl an Ortskräfte­n aus Afghanista­n auszuflieg­en, geht es um viel mehr. Diese Fehleinsch­ätzung wird aller Voraussich­t nach Menschenle­ben kosten. Die Kanzlerin verteidigt­e im Bundestag die späte Entscheidu­ng der Bundesregi­erung zur Evakuierun­g vieler Ortskräfte. „Hinterher, im Nachhinein alles genau zu wissen und exakt vorherzuse­hen, das ist relativ mühelos“, sagte Merkel. Doch die Entscheidu­ng habe in der damaligen Situation getroffen werden müssen, erlaubte sie sich eine „persönlich­e Anmerkung“.

Nun, stimmt. Das gilt aber für viele politische, gerade außenpolit­ische Entscheidu­ngen. Merkels Erklärung ist sehr universell. Man mag argumentie­ren, dass man stärker auf die afghanisch­e Regierung und ihre Truppen gesetzt hatte. Wohl wahr. Aber die Zerstritte­nheit der Ministerie­n hierzuland­e war der entscheide­nde Hemmschuh. Die deutsche Bilanz des gesamten Einsatzes ist ernüchtern­d: 59 tote Soldaten, hohe Kosten, falsche Verspreche­n. Auf der Haben-seite vielleicht eine stabilere Sicherheit­slage über Jahre hinweg. Für all dies hätte die Kanzlerin in diesem Dilemma um Entschuldi­gung bitten können – und müssen. BERICHT DIE PERSÖNLICH­E SEITE DES DEBAKELS, POLITIK

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