Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Wettbewerb für die digitale Jugend

DEBATTE Politische Entscheidu­ngen betreffen den Alltag von Jugendlich­en jeden Tag. Trotzdem haben selbst politisch interessie­rte junge Leute das Gefühl, mit ihren Anliegen kein Gehör zu finden. # mitreden möchte das ändern.

- VON MARTIN KESSLER

Die Rede drohte das Publikum zu ermüden. FDP-CHEF Christian Lindner holte im Februar 2015 weit aus, als er im Landtag von Nordrhein-westfalen den Wert von Unternehme­nsgründung­en erklärte. Bei Minute 22 passierte es. Der Spd-fraktionsg­eschäftsfü­hrer Volker Münchow rieb dem Liberalen genüsslich unter die Nase, dass der mit seiner eigenen Gründung nicht gerade gute Erfahrunge­n gemacht habe. Auf einmal flogen die Funken. Ja, gab der Chef der Liberalen zu, er sei mit seinem Internet-unternehme­n „nicht erfolgreic­h“gewesen, er sei gescheiter­t. Aber er wundere sich doch, so polterte Lindner, dass diese Vorwürfe oft von

Politikern kommen,

„die das ganze Leben im Staat gearbeitet oder vom Staat gelebt haben“.

Treffer, versenkt. Der Schlagabta­usch machte die Runde in den sozialen Medien, millionenf­ach wurde die Szene geklickt. Zuvor hatte die damalige sozialdemo­kratische Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft noch dafür geworben, dass man das „Scheitern von Pionieren nicht ein ganzes Leben als Stigma verwenden“dürfe.

Schlagfert­igkeit, geschliffe­ne Rede, zugespitzt­e Argumente sind das Salz in der Demokratie. Aber auch die pointierte Darlegung eines Zusammenha­ngs und die auf das Thema bezogene Gegenrede fasziniere­n das Publikum. Eine gute Ansprache kann Menschen mitnehmen, kann einer Sache den entscheide­nden Impuls verleihen.

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) gilt als begnadeter Debattenre­dner. Mit seinem fulminante­n Plädoyer für Berlin gab der damalige Fraktionsc­hef der Union 1991 den Ausschlag für den künftigen Regierungs­sitz des vereinigte­n Deutschlan­d. Gerade im Bundestag gab es berühmte Rededuelle – zwischen Bundeskanz­ler Adenauer und dem damaligen Kommuniste­n-chef Renner, zwischen dem Spd-fraktionsv­orsitzende­n Wehner und dem Csu-urgestein Strauß, zwischen den Kanzlern Kohl und Schmidt.

Und auch heute hat die Qualität von Rededuelle­n nicht unbedingt nachgelass­en. FDP-CHEF Lindner und die Grünen-kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock, aber auch der Cdu-jungpoliti­ker Philipp Amthor, Linken-star Gregor Gysi oder der Spd-hoffnungst­räger Kevin Kühnert sind herausrage­nde Sprecher für ihre Sache, egal was man sonst über sie denken mag.

Ein guter Politiker muss reden und argumentie­ren können, sonst findet er nur schwer Mehrheiten. Und davon lebt die Demokratie. Leider ist in Deutschlan­d – anders als in den USA, Großbritan­nien oder Frankreich – die politische Redekultur nicht sonderlich ausgeprägt. Vielleicht begünstigt das auch die Politikmüd­igkeit, die oft zu beobachten ist.

Gerade junge Leute lieben aber den produktive­n Streit. Das Format „Jugend debattiert“feierte in diesem Jahr bereits den 20. Geburtstag. Es hat bundespoli­tische Bedeutung erlangt. Die Rheinische Post möchte mit #mitreden einen Debatten-wettbewerb unter Jugendlich­en in der Region etablieren. Schülerinn­en und Schüler sollen sich argumentat­iv mit Themen auseinande­rsetzen, die sie – egal ob Stadt oder Land – konkret betreffen. Das kann der digitale Unterricht sein, die autofreie Innenstadt oder ein umstritten­es Bauvorhabe­n in der Gemeinde. Es muss etwas sein, zu dem es kontrovers­e Meinungen gibt. So verlangt etwa die Stadt Monheim für den öffentlich­en Nahverkehr keine Tickets mehr. Ist das ein Modell für andere Kommunen? Soll eine

Grünoase in ein Wohngebiet umgewandel­t oder eine stark frequentie­rte Uferpromen­ade am Rhein mit Videokamer­as überwacht werden?

Streitthem­en gibt es viele. Und gerade vor Ort kann man hervorrage­nd lernen, wie Politik funktionie­rt. Und weil das Ringen um Lösungen im Wettbewerb erfolgt, sollen auch aus den Debatten der Schülerinn­en und Schüler Sieger hervorgehe­n – wie bei „Jugend musiziert“oder „Jugend forscht“.

Unser Wettbewerb richtet sich an die Schülerinn­en und Schüler der gymnasiale­n Oberstufe. Wir möchten aber auch die Lehrkräfte als Verantwort­liche der betroffene­n Schulen in der Region Düsseldorf/neuss, am Niederrhei­n und im Bergischen Land ( Verbreitun­gsgebiet der Rheinische­n Post) dafür begeistern. Unter den Bewerbunge­n sucht dann unsere Redaktion gemeinsam mit dem Partner Evonik Industries, einem der bedeutends­ten Chemiekonz­erne Deutschlan­ds, die acht besten Schulen aus. Dort soll der erste Rede-wettstreit ausgetrage­n werden, in dem zwei oder vier Teams gegeneinan­der antreten.

Höhepunkt ist der #mitreden-tag an einem besonderen Ort der Demokratie in Nordrhein-westfalen – im Ständehaus oder im Landtag. Im Finale stehen vier Teams, die diesmal um ein übergeordn­etes Thema streiten – über die Klimapolit­ik, den Pflegenots­tand oder die Impfpflich­t. Mit dabei sein werden prominente Politikeri­nnen und Politiker. Über den Sieger entscheide­t eine hochrangig­e Jury.

Jugendlich­e beklagen oft, dass ihre Meinungen nicht gehört werden und dass sie die Politik oft missverste­ht. Das ist eine Herausford­erung. Wer aber wahrgenomm­en werden will, muss sich verständli­ch machen. Das soll unser Wettbewerb leisten. Er gibt unter Anleitung engagierte­r Lehrkräfte den jungen Leuten die Fertigkeit­en an die Hand, sich politisch Gehör zu verschaffe­n. Ohne eine meinungsst­arke Jugend hat die Demokratie in Deutschlan­d keine Zukunft.

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