Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
So erlebte Erftstadt die Flutnacht
Auch sechs Wochen nach der Katastrophe steht die Frage im Raum, ob die Anwohner früher hätten gewarnt werden können. Bei einer Sondersitzung kritisierten Betroffene die Vorgehensweise der Stadt. Ein Protokoll.
ERFTSTADT Die Sondersitzung des Rates der Stadt Erftstadt zur Flutkatastrophe dauert schon drei Stunden, als ein Betroffener das Wort ergreift. Die Behörden hätten in Teilen zu wenig geholfen und zu spät reagiert, kritisiert er. So seien vor allem ältere Menschen im Stich gelassen worden; ihre Keller seien erst Wochen nach der Flut ausgepumpt worden. Gemeinsam mit seiner Frau hat er Unterschriften von Betroffenen gesammelt, die Liste mit mehr als 200 Namen wird der Bürgermeisterin übergeben.
Es ist jetzt fast sechs Wochen her, dass der Fluss Erft über die Ufer getreten ist und vor allem den Ortsteil Blessem in Erftstadt über- und unterspült hat. Am Dienstagabend bezog die Stadt Stellung; dabei waren Anwohner, die viel verloren haben. „Eine Flutkatastrophe dieses Ausmaßes und mit solcher Zerstörungsgewalt konnte von niemandem vorhergesehen werden und hat alle Einsatzkräfte über ihre Leistungsfähigkeit hinaus gefordert“, sagte Erftstadts Bürgermeisterin Carolin Weitzel (CDU) auf einer Sondersitzung des Rates. „Vor sechs Wochen hat uns die Hochwasserkatastrophe heimgesucht, und die Wassermassen haben erbarmungslos alles zerstört, was sich ihnen in den Weg stellte. Es ist Zeit, innezuhalten, ein Zwischenfazit zu ziehen und nach vorne zu blicken“, sagt sie. Am 14. und 15. Juli sei Handeln das einzige Gebot der Stunde gewesen. Ein Protokoll aus Sicht der Stadt:
14 Juli, 14.56 Uhr Die Feuerwehr der Stadt Erftstadt erhält über die Kreisleitstelle des Rhein-erft-kreises die Meldung: „Unwetterlage – extrem ergiebiger Dauerregen.“
16.20 Uhr Die Feuerwehr Erftstadt besetzt die Kommunale Koordinierungsstelle. Zudem werden die ersten Einheiten über Funkmeldeempfänger alarmiert.
17.55 Uhr Der städtische Stab für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) wird alarmiert und kommt um 18.30 Uhr zusammen.
19.26 Uhr Die Feuerwehr löst einen stadtweiten Sirenenalarm aus, um alle verfügbaren Feuerwehreinsatzkräfte zu alarmieren.
20.15 Uhr Extrem viele Notrufe gehen in der Kreisleitstelle ein. Nach Informationen unserer Redaktion sollen es rund 4000 gewesen sein; 500 sind stundelang in der Warteschleife. Deswegen wird eine weitere Gefahreninformation zu „Extrem heftigem Starkregen“per Warnsystem herausgegeben.
21.15 Uhr Die Lage spitzt sich zu: Es gibt bereits mehr als 125 Einsatzlagen – darunter die Evakuierung einer Flüchtlingsunterkunft mit rund 80 Personen. Die meisten Einsatzkräfte werden benötigt, um ein Krankenhaus und ein Altenpflegezentrum zu sichern. Gegen 22 Uhr wird das Krankenhaus zum Teil evakuiert.
15, Juli, 4.18 Uhr Die Feuerwehr in Weilerswist, das an Erftstadt grenzt, löst Großalarm aus und warnt die Bevölkerung auf allen verfügbaren Kanälen vor einer Überflutung von weiten Teilen von Weilerswist. Konkret werden die Menschen aufgefordert, sich in die ersten Etagen ihrer Häuser zu begeben und den Strom abzuschalten.
8.10 Uhr Die Meldung eines Mitarbeiters des Erftverbandes geht bei der Kreisleitstelle des Rhein-erftKreises ein: Der Damm des Rückhaltebeckens Horchheim droht bald zu brechen. Daraufhin wird umgehend eine Evakuierung der Ortslagen Blessem, Bliesheim sowie des Krankenhauses Erftstadt und das Altenpflegezentrum Münchweg veranlasst.
Vormittag Die Schutzeinrichtungen der Kiesgrube bei Blessem werden überspült. Große Wassermassen dringen in die Kiesgrube ein. Die Böschungen der Kiesgrube sacken in sich zusammen. Die von Erosion betroffenen Flächen weiten sich immer mehr aus. Das Ausmaß wird erst bekannt, nachdem Luftbilder gemacht worden sind. „Leider erhielten wir auch durch den Betreiber der Kiesgrube keine Informationen“, sagt die Bürgermeisterin.
Folge Durch das Überlaufen eines Rückhaltebeckens kommt es zu Überschwemmungen entlang des Rotbaches in den Ortschaften Niederberg, Friesheim, Ahrem und Lechenich.