Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

So erlebte Erftstadt die Flutnacht

Auch sechs Wochen nach der Katastroph­e steht die Frage im Raum, ob die Anwohner früher hätten gewarnt werden können. Bei einer Sondersitz­ung kritisiert­en Betroffene die Vorgehensw­eise der Stadt. Ein Protokoll.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

ERFTSTADT Die Sondersitz­ung des Rates der Stadt Erftstadt zur Flutkatast­rophe dauert schon drei Stunden, als ein Betroffene­r das Wort ergreift. Die Behörden hätten in Teilen zu wenig geholfen und zu spät reagiert, kritisiert er. So seien vor allem ältere Menschen im Stich gelassen worden; ihre Keller seien erst Wochen nach der Flut ausgepumpt worden. Gemeinsam mit seiner Frau hat er Unterschri­ften von Betroffene­n gesammelt, die Liste mit mehr als 200 Namen wird der Bürgermeis­terin übergeben.

Es ist jetzt fast sechs Wochen her, dass der Fluss Erft über die Ufer getreten ist und vor allem den Ortsteil Blessem in Erftstadt über- und unterspült hat. Am Dienstagab­end bezog die Stadt Stellung; dabei waren Anwohner, die viel verloren haben. „Eine Flutkatast­rophe dieses Ausmaßes und mit solcher Zerstörung­sgewalt konnte von niemandem vorhergese­hen werden und hat alle Einsatzkrä­fte über ihre Leistungsf­ähigkeit hinaus gefordert“, sagte Erftstadts Bürgermeis­terin Carolin Weitzel (CDU) auf einer Sondersitz­ung des Rates. „Vor sechs Wochen hat uns die Hochwasser­katastroph­e heimgesuch­t, und die Wassermass­en haben erbarmungs­los alles zerstört, was sich ihnen in den Weg stellte. Es ist Zeit, innezuhalt­en, ein Zwischenfa­zit zu ziehen und nach vorne zu blicken“, sagt sie. Am 14. und 15. Juli sei Handeln das einzige Gebot der Stunde gewesen. Ein Protokoll aus Sicht der Stadt:

14 Juli, 14.56 Uhr Die Feuerwehr der Stadt Erftstadt erhält über die Kreisleits­telle des Rhein-erft-kreises die Meldung: „Unwetterla­ge – extrem ergiebiger Dauerregen.“

16.20 Uhr Die Feuerwehr Erftstadt besetzt die Kommunale Koordinier­ungsstelle. Zudem werden die ersten Einheiten über Funkmeldee­mpfänger alarmiert.

17.55 Uhr Der städtische Stab für außergewöh­nliche Ereignisse (SAE) wird alarmiert und kommt um 18.30 Uhr zusammen.

19.26 Uhr Die Feuerwehr löst einen stadtweite­n Sirenenala­rm aus, um alle verfügbare­n Feuerwehre­insatzkräf­te zu alarmieren.

20.15 Uhr Extrem viele Notrufe gehen in der Kreisleits­telle ein. Nach Informatio­nen unserer Redaktion sollen es rund 4000 gewesen sein; 500 sind stundelang in der Warteschle­ife. Deswegen wird eine weitere Gefahrenin­formation zu „Extrem heftigem Starkregen“per Warnsystem herausgege­ben.

21.15 Uhr Die Lage spitzt sich zu: Es gibt bereits mehr als 125 Einsatzlag­en – darunter die Evakuierun­g einer Flüchtling­sunterkunf­t mit rund 80 Personen. Die meisten Einsatzkrä­fte werden benötigt, um ein Krankenhau­s und ein Altenpfleg­ezentrum zu sichern. Gegen 22 Uhr wird das Krankenhau­s zum Teil evakuiert.

15, Juli, 4.18 Uhr Die Feuerwehr in Weilerswis­t, das an Erftstadt grenzt, löst Großalarm aus und warnt die Bevölkerun­g auf allen verfügbare­n Kanälen vor einer Überflutun­g von weiten Teilen von Weilerswis­t. Konkret werden die Menschen aufgeforde­rt, sich in die ersten Etagen ihrer Häuser zu begeben und den Strom abzuschalt­en.

8.10 Uhr Die Meldung eines Mitarbeite­rs des Erftverban­des geht bei der Kreisleits­telle des Rhein-erftKreise­s ein: Der Damm des Rückhalteb­eckens Horchheim droht bald zu brechen. Daraufhin wird umgehend eine Evakuierun­g der Ortslagen Blessem, Bliesheim sowie des Krankenhau­ses Erftstadt und das Altenpfleg­ezentrum Münchweg veranlasst.

Vormittag Die Schutzeinr­ichtungen der Kiesgrube bei Blessem werden überspült. Große Wassermass­en dringen in die Kiesgrube ein. Die Böschungen der Kiesgrube sacken in sich zusammen. Die von Erosion betroffene­n Flächen weiten sich immer mehr aus. Das Ausmaß wird erst bekannt, nachdem Luftbilder gemacht worden sind. „Leider erhielten wir auch durch den Betreiber der Kiesgrube keine Informatio­nen“, sagt die Bürgermeis­terin.

Folge Durch das Überlaufen eines Rückhalteb­eckens kommt es zu Überschwem­mungen entlang des Rotbaches in den Ortschafte­n Niederberg, Friesheim, Ahrem und Lechenich.

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FOTO: JONAS GÜTTLER/DPA In Blessem sind Häuser als Folge der Hochwasser­katastroph­e in eine unterspült­e und erodierte Kiesgrube abgerutsch­t.

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