Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Ein starkes Stück Seife
„ Savon de Marseille“gehört zu den Vorzeigeprodukten der französischen Hafenstadt – aus historischen Gründen, aber auch aktuell. In der Pandemie stieg die Nachfrage rasant, gilt die Seife doch als sehr wirksam gegen das Coronavirus.
MARSEILLE So also riecht Sauberkeit. Nicht nach Rosen, Zitrusfrüchten oder Lavendel. Nein, die SeifenFabrik von Serge Bruna verbreitet einen intensiven, fast beißenden Duft, der sich im Rachen und in der Nase festsetzt und den Hals trocken macht. Der Boden der Halle ist von einer schmierigen Schicht überzogen und etwas rutschig, doch Serge Bruna läuft so leicht darüber hinweg wie ein Schlittschuhfahrer über das Eis. Er ist in seinem Element, wenn er die handwerkliche Herstellung von Marseiller Seife („Savon de Marseille“) erklärt, das Funktionieren des Kessels, in dem die werdende Seife mit einer Natronlauge kocht, und der laut scheppernden Maschinen.
Sein Großvater Pierre Bruna war es, der nach dem Zweiten Weltkrieg das Unternehmen Savonnerie Marseillaise de la Licorne („Marseiller
Seifenmacherei des Einhorns“) gegründet hat, das er später an seinen Sohn übergab. Serge Bruna und seine Frau Laurence führen es heute in der dritten Generation. „Wir sind die einzigen Seifenmacher, die noch einen Sitz im Zentrum von Marseille haben“, sagt der Firmenchef: „Das ist unpraktisch für Lieferungen, aber gut für den Empfang von Besuchern.“Im Laden werden Seifen diverser Farben, Formen und Düfte verkauft. Dreimal täglich gibt es eine kostenlose Führung durch die Fabrik. Aufgrund des Coronavirus kamen freilich in dieser und der vergangenen Saison weniger Touristen.
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 standen die Maschinen wochenlang sogar komplett still. Nur Bruna und seine Frau arbeiteten, überwiegend am Versand von Paketen aus dem Vorrat. „Eine schwierige Zeit“, sagt er – und doch profitierte seine Branche. Nicht nur wurde das Händewaschen propagiert, sondern Wissenschaftler sagten auch, die Zusammensetzung der Marseiller Seife eigne sich bestens zur Bekämpfung des Virus. Unversehens wurde sie zu einem der wenigen Krisengewinner. In einem
Bereich der Fabrik stapeln sich die Pakete für den Export in die ganze Welt. Die Nachfrage sei riesig, sagt Bruna.
Die Seifenherstellung gehört seit Jahrhunderten zur Geschichte von Marseille und kam wohl ausgehend von der syrischen AleppoSeife nach den Kreuzzügen über das Mittelmeer in die französische Hafenmetropole. Der erste Seifenmacher wurde hier im Jahr 1370 registriert. Man verwendete Olivenöl aus der Provence, vermengt mit Natriumcarbonat, das sich aus der Asche von Pflanzen in salzhaltigen Umgebungen gewinnen ließ.
Im 17. Jahrhundert handelte es sich um eine florierende Industrie mit einer Jahresproduktion von fast 20.000 Tonnen. „Savon de Marseille“galt als Qualitätsgarantie, und um diese zu bewahren, gab der Sohn von Jean-baptiste Colbert, Sekretär unter Sonnenkönig Ludwig XIV., ein Edikt heraus, das die Verwendung von tierischen Fetten verbot und einen Ölgehalt von mindestens 72 Prozent vorschrieb. Das trifft immer noch zu; geschützt ist der Name „Savon de Marseille“allerdings bis heute nicht.
Eine wichtige Etappe war die Erfindung einer hochwertigen Natronlauge aus Meersalz, Schwefelsäure, Kalk und Holzkohle durch den Chemiker Nicolas Leblanc zwischen 1798 und 1791. In den folgenden Jahrzehnten wurden Palm-, Erdnuss- und Kokosöl aus den damaligen französischen Kolonien eingeführt, die das sehr fetthaltige Olivenöl großteils ersetzten. Auch Serge Bruna arbeitet überwiegend mit einer Mischung aus Palm- und Kokosöl. „Das erzeugt keine Allergien und reinigt sehr gut“, sagt er. Ein erster Einbruch vor allem für den Export kam mit dem Ersten Weltkrieg, ein zweiter mit der serienmäßigen Verbreitung der Waschmaschinen. Einen erneuten Aufschwung erlebt die Marseiller Seife, die fast komplett biologisch abbaubar ist, seit den 2000er-jahren mit dem Aufkommen eines neuen Umwelt- und Gesundheitsbewusstseins.
Die Savonnerie Marseillaise de la Licorne, ein handwerklich arbeitender Betrieb ohne Budget für Werbung, verzeichnet seitdem einen jährlichen Zuwachs von bis zu zehn Prozent und stellt rund 100 Tonnen Seife pro Jahr her. Und anders als für viele andere Betriebe dürften die Jahre 2020 und 2021 besonders gute sein.
Das Edikt von König Ludwig XIV. gilt noch, geschützt ist der Name „Savon de Marseille“aber bis heute nicht