Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Sehen, was anderen verborgen bleibt
Das Nrw-forum lädt zur Premiere: Per App macht die Ar-biennale virtuelle Kunst beim Spaziergang durch den Hofgarten sichtbar.
DÜSSELDORFNUR wer genau hinsieht und an die Magie der Feen glaubt, entdeckt sie. So besagen es Mythen. Im Ehrenhof und im Hofgarten braucht es derzeit keine Magie, sondern nur ein Smartphone oder Tablet und die richtige App, um Feen zu sehen: Sie sind Teil der ersten Ar-biennale, die das NRW-FOrum am Wochenende eröffnet hat.
„Es ist eigentlich die perfekte Ausstellung für diese Zeit“, sagt Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalasts, über die Biennale, die die Möglichkeiten von Augmented Reality (AR, englisch für „erweiterte Realität“) mit Kunst verbindet. Was er damit meint: Die Ausstellung findet im Freien statt und kann individuell besucht werden.
AR sei eine spannende Technologie, sagt Alain Bieber, Künstlerischer Leiter des Nrw-forums und Kurator der ersten Biennale: „Wir sind in den letzten Jahren mit den technologischen Entwicklungen zu so etwas wie hybriden Menschen geworden. Die Digitalität ist unsere neue Postmoderne.“Hybrid sind wir Bieber zufolge, weil wir durch die Nutzung unserer Smartphones so oft zwischen digitaler und „analoger“Realität wechseln. Das ist der Kern der Ar-biennale. Wichtig dafür war für das Nrw-forum die Zusammenarbeit mit Partnern wie Canon und Vodafone. Sie diente der Entwicklung der App, mit der die virtuellen Kunstwerke erlebbar werden.
Denn ohne App bleiben die Werke der 19 internationalen Künstlerinnen und Künstler im Verborgenen. Man sähe auf dem Rasen im Ehrenhof bei der Vorstellung der Biennale nur den Künstler Tim Berresheim stehen; die digitale Skulptur bliebe verborgen, die gleich neben ihrem Schöpfer auftaucht.
„Die Einbrecherin, die auf dem Weg zum Store Stå verhaftet wurde“– so der Name des Kunstwerks – ist eine virtuelle Frau, die Berresheim in ein buntes Gewand gehüllt hat, das die Spuren des norwegischen Künstlers Jørgen Dobloug trägt. Sie tanzt auf dem Bildschirm, zu ihren Füßen liegt die Kopie einer Skulptur von Dobloug, die Berresheims Einbrecherin aus dem Nrw-forum gestohlen hat.
Keine komplexe Geschichte, sondern reale Daten zeigt das Werk „Digitale Atmosphäre“des Londoner Studios Above & Below. Dunkelblaue Bläschen schweben, einem Schwarm Insekten gleich, über einer bunten Blumenwiese über den Bildschirm. Sie stellen die Luftqualität im Park dar, die Daten stammen von einer Messstation in einem unweit stehenden Baum. Je stärker die Bläschen durch die Luft schweben, desto größer ist die gemessene Verschmutzung.
Ein Highlight sind die Feen, die in Zusammenarbeit mit dem Ballett am Rhein entstanden sind. Sieben Tänzerinnen und Tänzer, vor Greenscreen gefilmt und für die Ausstellung geschrumpft, setzen mit anmutigen Tänzen einen Gegenpol zu den teils statischen virtuellen Skulpturen. Eine der Feen können Besucher sogar auf der eigenen Hand tanzen lassen. Ergänzt wird ihre Performance mit Spezialeffekten. Zum Beispiel einem großen Brunnen, in dessen Mitte eine Fee tanzt. Besonders effektvoll ist diese Performance bei leichtem Nieselregen, das animierte spritzende Wasser vermischt sich mit dem echten, die Grenzen zwischen den Realitäten brechen auf.
SCREENSHOT: C-ST
Den Wurm des griechischen Künstlers Theo Triantafyllidis, den „Genius Loci“(„Geist des Ortes“), kündigt Bieber als Highlight an – besser gesagt als „unser Haustier für die nächsten Monate“. Süß ist dieses Haustier nicht unbedingt, eher skurril und etwas bedrohlich, wenn es auf dem Bildschirm über den Köpfen der Besucher schwebt.
Andere Kunstwerke hinterlassen einen weniger starken Eindruck. Bei ihnen lässt man Smartphone oder Tablet schneller sinken und sucht auf der interaktiven Karte der App nach dem nächsten Punkt, an dem es etwas zu entdecken gibt. Wie beim Schlendern im Park ohne Augmented Reality, so ist auch bei der Ar-biennale die Aufmerksamkeit nicht immer nur an einem Punkt. Die Ausstellung kommt ohne die Ruhe eines geschlossenen Museumsraums aus, in dem man sich ganz den Kunstwerken hingeben kann. Stattdessen erfordert der Spaziergang durch den Hofgarten einen ständigen Wechsel in der App zwischen Kunstwerk, Beschreibung und Karte. Das sorgt zwar für Freiheit und individuellen Kunstgenuss, aber auch für eine gewisse Unruhe.
Obendrein muss man die teils skeptischen Blicke der anderen Parkbesucher ignorieren, die sich unweigerlich fragen müssen, warum die Leute so gebannt mit ihren Geräten herumfuchteln, als suchten sie die perfekte Selfie-position.
Darin wiederum steckt aber die große Stärke der Ausstellung, die erweiterte Realität. Es ist sozusagen eine Do-it-yourself-schau, bei der man seinem eigenen Tempo, seinen Interessen folgen kann. So sieht man Dinge, die andere nicht sehen.
Dass sich dadurch besondere, philosophisch anmutende Momente ergeben, macht das Werk der Us-amerikanerin Lauren Lee Mccarthy deutlich. An Parkbänken finden sich mit der App Botschaften, die die Menschen auf den Bänken in neues Licht rücken. Der ältere Herr, der vornübergebeugt auf einer grünen Bank sitzt und auf sein Smartphone schaut? Er fühlt sich überwältigt, wenn man dem Text glauben mag, der über ihm schwebt. Was er wohl gerade auf seinem Bildschirm sieht? Die Anwesenheit fremder Menschen, die womöglich nichts von der Ausstellung wissen, schafft eine spannende Schnittstelle der analogen und der digitalen Welt.
Mit der ersten Ar-biennale möchte das Nrw-forum vor allem – aber nicht nur – junge Leute zu einem Spaziergang inklusive virtuellem Kunstgenuss einladen. Es ist in mehrerlei Hinsicht keine gewöhnliche Ausstellung. Man muss sich darauf einlassen. Auf das Spielerische. Und auf skeptische Blicke von Passanten. Sie sehen sie eben nicht – die Kunst, die sich auf den Bildschirmen zeigt, in einer anderen Realität.