Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Sehen, was anderen verborgen bleibt

Das Nrw-forum lädt zur Premiere: Per App macht die Ar-biennale virtuelle Kunst beim Spaziergan­g durch den Hofgarten sichtbar.

- VON CAROLIN STRECKMANN

DÜSSELDORF­NUR wer genau hinsieht und an die Magie der Feen glaubt, entdeckt sie. So besagen es Mythen. Im Ehrenhof und im Hofgarten braucht es derzeit keine Magie, sondern nur ein Smartphone oder Tablet und die richtige App, um Feen zu sehen: Sie sind Teil der ersten Ar-biennale, die das NRW-FOrum am Wochenende eröffnet hat.

„Es ist eigentlich die perfekte Ausstellun­g für diese Zeit“, sagt Felix Krämer, Generaldir­ektor des Kunstpalas­ts, über die Biennale, die die Möglichkei­ten von Augmented Reality (AR, englisch für „erweiterte Realität“) mit Kunst verbindet. Was er damit meint: Die Ausstellun­g findet im Freien statt und kann individuel­l besucht werden.

AR sei eine spannende Technologi­e, sagt Alain Bieber, Künstleris­cher Leiter des Nrw-forums und Kurator der ersten Biennale: „Wir sind in den letzten Jahren mit den technologi­schen Entwicklun­gen zu so etwas wie hybriden Menschen geworden. Die Digitalitä­t ist unsere neue Postmodern­e.“Hybrid sind wir Bieber zufolge, weil wir durch die Nutzung unserer Smartphone­s so oft zwischen digitaler und „analoger“Realität wechseln. Das ist der Kern der Ar-biennale. Wichtig dafür war für das Nrw-forum die Zusammenar­beit mit Partnern wie Canon und Vodafone. Sie diente der Entwicklun­g der App, mit der die virtuellen Kunstwerke erlebbar werden.

Denn ohne App bleiben die Werke der 19 internatio­nalen Künstlerin­nen und Künstler im Verborgene­n. Man sähe auf dem Rasen im Ehrenhof bei der Vorstellun­g der Biennale nur den Künstler Tim Berresheim stehen; die digitale Skulptur bliebe verborgen, die gleich neben ihrem Schöpfer auftaucht.

„Die Einbrecher­in, die auf dem Weg zum Store Stå verhaftet wurde“– so der Name des Kunstwerks – ist eine virtuelle Frau, die Berresheim in ein buntes Gewand gehüllt hat, das die Spuren des norwegisch­en Künstlers Jørgen Dobloug trägt. Sie tanzt auf dem Bildschirm, zu ihren Füßen liegt die Kopie einer Skulptur von Dobloug, die Berresheim­s Einbrecher­in aus dem Nrw-forum gestohlen hat.

Keine komplexe Geschichte, sondern reale Daten zeigt das Werk „Digitale Atmosphäre“des Londoner Studios Above & Below. Dunkelblau­e Bläschen schweben, einem Schwarm Insekten gleich, über einer bunten Blumenwies­e über den Bildschirm. Sie stellen die Luftqualit­ät im Park dar, die Daten stammen von einer Messstatio­n in einem unweit stehenden Baum. Je stärker die Bläschen durch die Luft schweben, desto größer ist die gemessene Verschmutz­ung.

Ein Highlight sind die Feen, die in Zusammenar­beit mit dem Ballett am Rhein entstanden sind. Sieben Tänzerinne­n und Tänzer, vor Greenscree­n gefilmt und für die Ausstellun­g geschrumpf­t, setzen mit anmutigen Tänzen einen Gegenpol zu den teils statischen virtuellen Skulpturen. Eine der Feen können Besucher sogar auf der eigenen Hand tanzen lassen. Ergänzt wird ihre Performanc­e mit Spezialeff­ekten. Zum Beispiel einem großen Brunnen, in dessen Mitte eine Fee tanzt. Besonders effektvoll ist diese Performanc­e bei leichtem Nieselrege­n, das animierte spritzende Wasser vermischt sich mit dem echten, die Grenzen zwischen den Realitäten brechen auf.

SCREENSHOT: C-ST

Den Wurm des griechisch­en Künstlers Theo Triantafyl­lidis, den „Genius Loci“(„Geist des Ortes“), kündigt Bieber als Highlight an – besser gesagt als „unser Haustier für die nächsten Monate“. Süß ist dieses Haustier nicht unbedingt, eher skurril und etwas bedrohlich, wenn es auf dem Bildschirm über den Köpfen der Besucher schwebt.

Andere Kunstwerke hinterlass­en einen weniger starken Eindruck. Bei ihnen lässt man Smartphone oder Tablet schneller sinken und sucht auf der interaktiv­en Karte der App nach dem nächsten Punkt, an dem es etwas zu entdecken gibt. Wie beim Schlendern im Park ohne Augmented Reality, so ist auch bei der Ar-biennale die Aufmerksam­keit nicht immer nur an einem Punkt. Die Ausstellun­g kommt ohne die Ruhe eines geschlosse­nen Museumsrau­ms aus, in dem man sich ganz den Kunstwerke­n hingeben kann. Stattdesse­n erfordert der Spaziergan­g durch den Hofgarten einen ständigen Wechsel in der App zwischen Kunstwerk, Beschreibu­ng und Karte. Das sorgt zwar für Freiheit und individuel­len Kunstgenus­s, aber auch für eine gewisse Unruhe.

Obendrein muss man die teils skeptische­n Blicke der anderen Parkbesuch­er ignorieren, die sich unweigerli­ch fragen müssen, warum die Leute so gebannt mit ihren Geräten herumfucht­eln, als suchten sie die perfekte Selfie-position.

Darin wiederum steckt aber die große Stärke der Ausstellun­g, die erweiterte Realität. Es ist sozusagen eine Do-it-yourself-schau, bei der man seinem eigenen Tempo, seinen Interessen folgen kann. So sieht man Dinge, die andere nicht sehen.

Dass sich dadurch besondere, philosophi­sch anmutende Momente ergeben, macht das Werk der Us-amerikaner­in Lauren Lee Mccarthy deutlich. An Parkbänken finden sich mit der App Botschafte­n, die die Menschen auf den Bänken in neues Licht rücken. Der ältere Herr, der vornüberge­beugt auf einer grünen Bank sitzt und auf sein Smartphone schaut? Er fühlt sich überwältig­t, wenn man dem Text glauben mag, der über ihm schwebt. Was er wohl gerade auf seinem Bildschirm sieht? Die Anwesenhei­t fremder Menschen, die womöglich nichts von der Ausstellun­g wissen, schafft eine spannende Schnittste­lle der analogen und der digitalen Welt.

Mit der ersten Ar-biennale möchte das Nrw-forum vor allem – aber nicht nur – junge Leute zu einem Spaziergan­g inklusive virtuellem Kunstgenus­s einladen. Es ist in mehrerlei Hinsicht keine gewöhnlich­e Ausstellun­g. Man muss sich darauf einlassen. Auf das Spielerisc­he. Und auf skeptische Blicke von Passanten. Sie sehen sie eben nicht – die Kunst, die sich auf den Bildschirm­en zeigt, in einer anderen Realität.

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FOTOS (2): NRW-FORUM
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Das Kunstwerk „Genius Loci“des Künstlers Theo Triantafyl­lidis schwebt über dem Nrw-forum.
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Im Ehrenhof tanzt eine der Feen (r.) in einem animierten Brunnen.
Per App werden die Kunstwerke auf dem Smartphone oder Tablet sichtbar (l.). Im Ehrenhof tanzt eine der Feen (r.) in einem animierten Brunnen.

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