Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

GESELLSCHA­FTSKUNDE Warum der Handschlag fehlt

Der alte Gruß aus virenärmer­en Zeiten verdient ein Comeback.

- DOROTHEE KRINGS

Es soll noch nicht wieder sein. Dafür ist Corona noch zu munter, dafür sind noch zu viele Viren unterwegs. Denn die lieben es, wenn Menschen einander die Hände schütteln. Beste Möglichkei­t, sich auszubreit­en. Also verzichten die meisten Leute derzeit noch aufs Händeschüt­teln, führen weiter brav die Ellbogen zueinander oder stehen einfach da in freundscha­ftlicher Distanz und nicken. Na? Hey? Alles gut?

Dabei ist Händeschüt­teln natürlich viel mehr als ein zufälliges Begrüßungs­ritual, das sich hierzuland­e nun mal etabliert hat. Einem anderen die Hand zu geben, bedeutet, sich in seine Hände zu begeben, einen Moment handlungsu­nfähig zu werden, alle Aufmerksam­keit der Kontaktauf­nahme zu widmen. Vermutlich ist das

Handeschüt­teln ja ein Nachfahre des Winkens, durch das Fremde einander in früheren Zeiten signalisie­rten, dass sie unbewaffne­t sind. Ein Friedensze­ichen also.

In anderen Kulturen ist das sogar noch viel spürbarer. Wer zum Beispiel je in Indien war, hat vielleicht erlebt, wie Fremde einander die Hand reichen, sie festhalten – auch schon mal minutenlan­g – und etwas strömen lassen, das sich der Sprache entzieht. Und hinterher weiß man mehr.

Doch selbst der kurze Händedruck des Westens kann bisweilen Bände sprechen: Ist er fest, schlaff, markig, wird gegriffen, geschüttel­t, gequetscht, und wohin wandert der Blick? Natürlich wird Händeschüt­teln auch charakterl­ich gedeutet: Der kräftige Druck soll für Selbstgewi­ssheit stehen, für Macht und Willensstä­rke. Der schwache Gruß dagegen für Verzagthei­t. Dass es so einfach womöglich nicht ist, beweist der Vergleich mit Asien, wo ein harter Händedruck als unhöflich gilt. Wie man die Hand eines anderen ergreift, ist also wohl doch mehr eine Frage der Sozialisat­ion als des Charakters. Noch sollten die Händeschüt­tler Enthaltsam­keit üben. Der Gesundheit zuliebe. Keine Brücken für die Viren! Aber sollte doch mal eine Zeit anbrechen, in der uns Corona nicht mehr interessie­ren muss, verdient das Handeschüt­teln ein Comeback. Hand drauf!

Unsere Autorin ist Redakteuri­n des Ressorts Politik/meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertr­etenden Chefredakt­eur Horst Thoren ab.

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