Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
GESELLSCHAFTSKUNDE Warum der Handschlag fehlt
Der alte Gruß aus virenärmeren Zeiten verdient ein Comeback.
Es soll noch nicht wieder sein. Dafür ist Corona noch zu munter, dafür sind noch zu viele Viren unterwegs. Denn die lieben es, wenn Menschen einander die Hände schütteln. Beste Möglichkeit, sich auszubreiten. Also verzichten die meisten Leute derzeit noch aufs Händeschütteln, führen weiter brav die Ellbogen zueinander oder stehen einfach da in freundschaftlicher Distanz und nicken. Na? Hey? Alles gut?
Dabei ist Händeschütteln natürlich viel mehr als ein zufälliges Begrüßungsritual, das sich hierzulande nun mal etabliert hat. Einem anderen die Hand zu geben, bedeutet, sich in seine Hände zu begeben, einen Moment handlungsunfähig zu werden, alle Aufmerksamkeit der Kontaktaufnahme zu widmen. Vermutlich ist das
Handeschütteln ja ein Nachfahre des Winkens, durch das Fremde einander in früheren Zeiten signalisierten, dass sie unbewaffnet sind. Ein Friedenszeichen also.
In anderen Kulturen ist das sogar noch viel spürbarer. Wer zum Beispiel je in Indien war, hat vielleicht erlebt, wie Fremde einander die Hand reichen, sie festhalten – auch schon mal minutenlang – und etwas strömen lassen, das sich der Sprache entzieht. Und hinterher weiß man mehr.
Doch selbst der kurze Händedruck des Westens kann bisweilen Bände sprechen: Ist er fest, schlaff, markig, wird gegriffen, geschüttelt, gequetscht, und wohin wandert der Blick? Natürlich wird Händeschütteln auch charakterlich gedeutet: Der kräftige Druck soll für Selbstgewissheit stehen, für Macht und Willensstärke. Der schwache Gruß dagegen für Verzagtheit. Dass es so einfach womöglich nicht ist, beweist der Vergleich mit Asien, wo ein harter Händedruck als unhöflich gilt. Wie man die Hand eines anderen ergreift, ist also wohl doch mehr eine Frage der Sozialisation als des Charakters. Noch sollten die Händeschüttler Enthaltsamkeit üben. Der Gesundheit zuliebe. Keine Brücken für die Viren! Aber sollte doch mal eine Zeit anbrechen, in der uns Corona nicht mehr interessieren muss, verdient das Handeschütteln ein Comeback. Hand drauf!
Unsere Autorin ist Redakteurin des Ressorts Politik/meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertretenden Chefredakteur Horst Thoren ab.