Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die Milchshake-krise

Weil billige Eu-arbeitskrä­fte fehlen, müssen die Briten auf viele Produkte verzichten.

- VON SEBASTIAN BORGER

LONDONDER Sainsbury's-supermarkt im Nord-londoner Stadtbezir­k Harringay an einem ganz normalen Werktag zur Mittagszei­t: In den Regalen klaffen Lücken allerorten. Egal, ob gekühlte Fertiggeri­chte oder haltbare Nudeln – überall ist die bunte Vielfalt der Konsumente­n eingeschrä­nkt. Die Fastfood-kette Nando's sah sich zur zeitweilig­en Schließung von 45 Filialen gezwungen, weil Hähnchenfl­ügel nicht in ausreichen­den Mengen zur Verfügung stehen. Diese Woche machte dann Mcdonald's Schlagzeil­en: Wegen „vorübergeh­ender Lieferprob­leme“muss die Kundschaft auf die beliebten Milchshake­s verzichten.

Wegen der andauernde­n Versorgung­sschwierig­keiten schlagen jetzt Firmen und Lobbyverbä­nde wie der Industriev­erband CBI Alarm: Der Lagerbesta­nd im Einzelhand­el befindet sich auf dem niedrigste­n Niveau seit fast vier Jahrzehnte­n. Sogar Eu-feindliche Medien müssen einräumen: Der Brexit gehört zu den wichtigste­n Gründen für die mittlerwei­le dramatisch­en Engpässe, die andauern könnten.

Befürchtet wird, dass es zur Schlacht um die wichtigste Zutat zum traditione­llen englischen Weihnachts­essen kommen könnte: Wenn die Branche weiterhin so eklatanten Personalma­ngel erleide, könnten bis Dezember ein Fünftel der jährlich verzehrten Truthähne fehlen, warnt der Geflügelzü­chterVerba­nd BPC in einem Brandbrief an Innenminis­terin Priti Patel. Das für Einwanderu­ng zuständige Ministeriu­m hat nämlich gering Qualifizie­rte zu unerwünsch­ten Personen erklärt. Gerade diese aber seien „für die Aufrechter­haltung der Ernährung im Land ungemein wichtig“, erläutern die Züchter.

Truthähne mögen nicht gerade als Grundnahru­ngsmittel gelten, doch die Klage der Branche ist kein Einzelfall. Verbrauche­rmärkte, die Bauindustr­ie, Obst- und Gemüsebaue­rn, die Gastronomi­e – überall fehlen seit dem Eu-austritt günstige Arbeitskrä­fte: der polnische Klempner und die rumänische Altenpfleg­erin, die spanische Kellnerin und der belgische Putzmann. Über die vergangene­n Jahrzehnte haben Millionen vor allem junger Kontinenta­leuropäer auf der Insel die schlecht bezahlten Jobs gemacht.

Das neue Einwanderu­ngssystem setzt dem Zuzug billiger Arbeitskrä­fte enge Grenzen. Von einzelnen Kontingent­en für Branchen wie die Landwirtsc­haft abgesehen, müssen Antragstel­ler bestehende Arbeitsang­ebote mit Mindestein­kommen vorweisen. Lobbyverbä­nde der Nahrungsmi­ttel- und Gaststätte­nindustrie möchten stattdesse­n gerade jüngere Leute mit zeitlich begrenzten Visa anlocken.

Hingegen hoffen die Gewerkscha­ften auf höhere Einkommen für einheimisc­he Arbeitskrä­fte. Tatsächlic­h bezahlen Warenhäuse­r vielerorts schon jetzt Begrüßungs­gelder für neue Arbeitskrä­fte. Auch erfahrenen Lastwagenf­ahrern werden vierstelli­ge Einstellun­gszahlunge­n geboten. Denn bei den Brummis macht sich der Mangel am eklatantes­ten bemerkbar. Seit sich das Großbritan­nien-geschäft für viele qualifizie­rte Eu-kraftfahre­r nicht mehr lohnt, fehlt ein Sechstel der rund 600.000 Menschen, die laut Branchenve­rband RHA für den Warentrans­port notwendig sind. Und damit auch die Waren.

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FOTO: DPA Milchshake­s von Mcdonald's sind Mangelware.

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