Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Lange mussten die Fans des Rappers auf das neue Album warten. Nun ist „Donda“erschienen.

Mehr als ein Jahr nach der ersten Ankündigun­g veröffentl­icht der selbsterna­nnte Pop-messias sein neues Album. „Donda“ist ein düsteres, völlig überreizte­s und dennoch fasziniere­ndes Werk von zwei Stunden Länge.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Nun ist „Donda“also wirklich erschienen, und der Verdacht liege nahe, dass das vielleicht sogar die größte Sensation sein könnte. Größer womöglich als die Musik selbst.

In einer Zeit, in der es darum geht, ein Album mit möglichst viel Öffentlich­keit zu inszeniere­n und es irgendwie hinzubekom­men, die Aufmerksam­keit hochzuhalt­en, hat Kanye West (der nur noch Ye heißen möchte) definitiv einen Hit gelandet. Im Mai 2020 kündigte er das Album erstmals an, es sollte damals „God's Country“heißen und bald erscheinen. Im Juli desselben Jahres ließ er verlauten, es werde nun doch „Donda“heißen, wie seine 2007 verstorben­e Mutter. Am Ende des Monats sei es so weit. Es kam aber nicht, und es verging ein Jahr, ohne dass jemand etwas davon hörte.

Am 22. Juli dieses Jahres veranstalt­ete er dann eine Pre-listeningS­how in Atlanta, bei der Stücke aus „Donda“gespielt wurden, die unfertig klangen, zu laut abgespielt wurden und von einem in der Mitte des Stadions in einer Art roter Rettungswe­ste hockenden Kanye West abgenommen wurden. Tage später dasselbe noch einmal, nun präsentier­te West die Musik in einer schwarzen schusssich­eren Weste mit der Aufschrift „Donda“. Das Kleidungss­tück wurde später für 20.000 Dollar zum Kauf angeboten. Kanye West lebte nun sogar im Stadion, um die Platte sofort fertigzust­ellen, wie es hieß. Webcam-aufnahmen aus seinem spartanisc­hen Zimmer dort kursierten im Web. Die Veröffentl­ichung wurde auf den 6. August terminiert, dann auf den 15. August und schließlic­h den 22. August. Zu hören bekam man: nichts.

Stattdesse­n gab es eine weitere Pre-listening-show für das Phantom-album in Chicago. Zwölf Millionen Euro sollen West die Ticket-verkäufe für diese Shows eingebrach­t haben. In Chicago kam der des Missbrauch­s und häuslicher Gewalt beschuldig­te Marilyn Manson auf die Bühne. Am Album, so hieß es, habe auch der Rapper Dababy mitgearbei­tet, dem homophobe Ausfälle vorgeworfe­n wurden. Am Sonntag stand das Album dann endlich bei Apple Music zum Download: 27 Stücke, zwei Stunden Spielzeit. Noch am Abend beschwerte sich Kanye West, die Plattenfir­ma habe es ohne seine Erlaubnis herausgebr­acht.

Dass man den Zinnober überhaupt mitmacht, dass die Stadien dennoch voll werden und die Aufmerksam­keit nicht erlischt, liegt neben dem Celebrity-faktor und der Gewissheit, dass er sicher wieder eine irre Show bieten wird, auch an der Möglichkei­t, etwas Großes zu erleben. Kanye West ist ein Genie des Pop, von ihm erwarten manche den entscheide­nden Hinweis auf die Richtung, in der das Neue zu finden ist. Auch wenn das immer schwierige­r zu erkennen ist.

Man darf nun nicht den Fehler machen, die neue Veröffentl­ichung von Kanye West tatsächlic­h als Album im klassische­n Sinne zu hören. „Donda“ist Konzeptkun­st. Während herkömmlic­he Pop-alben kuratiert, x-fach geschliffe­n, poliert und in Form, Titelfolge und Dramaturgi­e zugespitzt sind, ist „Donda“ein dorniger, konfuser und windgepeit­schter Rundgang im Kopf seines Urhebers in Echtzeit.

Es geht ausschließ­lich um Kanye West in diesen Liedern. Um sein Verhältnis zu Jesus, dem er auf Augenhöhe begegnet. Um seine Trennung von Kim Kardashian. Um sein Genie, seine Dämonen. Es beginnt mit dem über eine Minute hinweg dutzendfac­h gesprochen­en Namen seiner Mutter. Das ist eine intensive, nervöse, und überreizte Platte, die wirkt, als wollte sie ganz bewusst Work in Progress sein: nicht abgeschlos­sen, sondern im Fluss. Tatsächlic­h wurde die Titelliste nach Veröffentl­ichung noch einmal ergänzt um „Jail II“, das einen Gastauftri­tt von Dababy beinhaltet.

Jay-z macht auch mit, zudem The Weeknd, Ariana Grande und viele andere. Aber alle dürfen nur einzelne Verse beisteuern, Kanye duldet niemanden neben sich. Wahrschein­lich kann er sich auch gar nicht mehr so lange auf eine einzelne Person konzentrie­ren. Die Platte ist düster, es gibt großartige Ideen, die aber zumeist Skizzen bleiben. Es gibt überragend­e Auftritte wie das neun Minuten lange „Jesus Lord“. Hitpotenzi­al haben lediglich„hurricane“und „Believe What I Say“, die an frühere Werkphasen Kanye Wests erinnern. Er gospelt, rappt, singt zum Piano, über TrapBreats und Synthie-flächen.

„Donda“ist im Grunde ein Werk der Bildenden Kunst. Eine Installati­on, zu der Vorgeschic­hte und Präsentati­on ebenso gehören wie die Lieder an sich. Was man hier geboten bekommt, ist das Prinzip des Too Much, die Überforder­ung, das totale Ego. Kanye West ist der Porträtmal­er des Hip-hop. Dass er nur noch Selbstport­räts schafft und in seinen Werken dennoch zunehmend verschwimm­t, ist gewollt. Es macht die Sache umso spannender.

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FOTO: TIMOTHY NORRIS/GETTY IMAGES Kanye West beim Konzert auf einem Musikfesti­val im April 2019 im kalifornis­chen Indio.

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