Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Forscher haben die ersten Leitlinien für Diagnose und Therapie entwickelt.
Rund zehn Prozent der Patienten leiden noch Wochen oder Monate an den Spätfolgen der Infektion. Die Medizin steht bei Long Covid erst am Anfang. Nun gibt es erste Leitlinien für Diagnose und Therapie. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Warum ist eine Leitlinie überhaupt nötig?
Bei Long beziehungsweise Post Covid handelt es sich um ein völlig neues Krankheitsbild, dazu noch eines mit diffusen und vielfältigen Symptomen: Rund 200 Beschwerden listete kürzlich eine Studie im Fachmagazin „The Lancet“im Zusammenhang mit Corona-spätfolgen auf. Das Spektrum reicht von Abgeschlagenheit und Fatigue über Konzentrationsstörungen bis hin zu Muskelschwäche und psychischen Problemen. Gerade diese extreme Bandbreite der Symptome macht Diagnose und Therapie für die Mediziner so schwer, zumal die meisten Patienten mit ihren Beschwerden direkt den Facharzt aufsuchen. „Wir können das Krankheitsbild aber nur abbilden, wenn wir einen interdisziplinären Ansatz verfolgen“, erläutert Michael Pfeifer, Pastpräsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP), unter deren Federführung die Leitlinien erarbeitet wurden. Einzelne Ergebnisse von Untersuchungen wie CT, EKG oder Lungenfunktionstest reichten für das große Gesamtbild nicht aus. So vielfältig die Symptome, so ganzheitlich müsse die Behandlung sein.
Was ist der Unterschied zwischen Long Covid und Post Covid?
Wenn nach einer Infektion mit Sars-cov-2 die Symptome länger als vierwochen andauern, sprechen Mediziner von Long Covid. Treten die Beschwerden auch noch länger als drei Monate auf, nennen Fachleute dies Post Covid. Eine klare Definition von eindeutigen Symptomen, die der einen oder anderen Form zuzuordnen sind, gibt es angesichts der Fülle von Beschwerden nicht.
Welches sind zentrale Punkte des Leitfadens?
„Die Leitlinien sind ein praktisches Werk“, betont Rembert Koczulla, Chefarzt am Fachzentrum für Pneumologie der Schön-klinik Berchtesgadener Land. Er hat die Zusammenarbeit aller beteiligten Experten koordiniert. So holte man Vertreter aus vielen medizinischen Disziplinen mit ins Boot – vom Facharzt bis zum Logopäden und Reha-therapeuten. Herausgekommen ist nach nur rund drei Monaten ein erstes Werk, das allen Behandelnden Antworten auf klinische Fragen zu Diagnose und Therapieansätzen geben soll – eine praktische Handreichung für den Praxisalltag der Hausärzte, die im Idealfall am Anfang der Behandlungskette stehen, aber auch für die weiterbehandelnden Fachärztinnen und -ärzte.
Wohin wenden sich Betroffene? „Am besten führt der erste Gang des Patienten zu seinem Hausarzt“, sagt Michael Pfeifer, der auch Medizinischer Direktor der Klinik Donaustauf ist. Dieser verweise dann je nach Symptomatik weiter an die entsprechenden Fachärzte.
Haben Alter und Vorerkrankungen einen Einfluss auf die Entwicklung von Long Covid?
Hierzu gibt es, wie in so vielen Bereichen bei Covid-19, noch keine gesicherten Erkenntnisse. „Erste Studien mit Diabetes-kranken und Menschen mit Herzerkrankungen haben keine Hinweise auf einen möglichen Einfluss gegeben“, so Rembert Koczulla.
Hat die Impfung Einfluss auf die Entwicklung von Long Covid?
Zahlen gibt es hierzu ebenfalls nicht. Aber Erfahrungen aus der Praxis. Frank Elsholz, Oberarzt und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin der Lungenklinik Großhansdorf, erklärt hierzu: „Wir haben in unserem Klinikalltag bei der Frührehabilitation noch keinen Patienten gehabt, der komplett, also zweifach geimpft war.“Dies deute auf eine Reduktion der Symptome durch die Vakzine hin.
Welche Rolle spielt die Frührehabilitation?
Eine sehr große, wie Elsholz eindrucksvoll schildert: „Bei Patienten, die nach einem längeren Aufenthalt auf der Intensivstation zu uns kommen, besteht in der Regel ein vollständiger Verlust oder zumindest eine deutliche Einschränkung der Selbstständigkeit.“Zu organischen Leiden wie einer beeinträchtigten Lungenfunktion, mangelnder Schluck- oder Sprechfähigkeit und Muskelabbau kämen häufig neurologische Beschwerden wie Gedächtnis- oder Konzentrationsstörungen hinzu. „Und vor allem auch Ängste“, so Elsholz. In der Frührehabilitation sei daher eine übergreifende Betreuung verschiedener Fachbereiche unerlässlich.
Die Leitlinie ist das Ergebnis ehrenamtlichen Engagements. Was kann die Politik tun?
Hier formuliert Chefarzt Michael Pfeifer klare Forderungen: „Wir müssen Strukturen aufbauen und Netzwerke schaffen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Fachbereiche“, sagt er. Spezialambulanzen, Fachärzte und RehaEinrichtungen müssten dazugehören. Auch die wissenschaftliche Begleitung sei unerlässlich. „Dafür braucht es aber Geld“, sagt Pfeifer, „und weniger Bürokratie. Wir müssen schneller werden.“
Was sind die nächsten Schritte für den Umgang mit der Krankheit?
Die Liste der offenen Fragen ist noch lang. Aber das Wissen über Covid-19 und seine Folgen nimmt von Woche zu Woche zu. Daher soll es parallel zum fortschreitenden Erkenntnisstand regelmäßige Updates der Leitlinie geben. „Noch haben wir kein gutes Verständnis davon, was da passiert“, so Pfeifer über eine der jüngsten Krankheiten im MedizinLehrbuch.