Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Sehr viele Menschen werden aus Afghanista­n fliehen müssen“

GERALD KNAUS Der Migrations­experte fordert mehr Geld von den Eu-staaten, um die Nachbarlän­der nach der Machtübern­ahme der Taliban zu unterstütz­en.

- JANA WOLF FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Knaus, rechnen Sie mit einer großen Flucht aus Afghanista­n? KNAUSMAN muss sicher damit rechnen, dass es in naher Zukunft sehr viele Menschen in Afghanista­n geben wird, die fliehen müssen. Zum einen, weil sie berechtigt­e Angst vor den Taliban und anderen gegnerisch­en Kräften haben. Zum anderen wird es eine katastroph­ale humanitäre Situation im Land geben. Und zum dritten herrscht die Unsicherhe­it, dass der Konflikt längst noch nicht zu Ende ist. Es wird viele Gründe geben, warum Menschen Afghanista­n verlassen wollen. Die entscheide­nde Frage ist, ob sie es schaffen.

Und was ist Ihre Prognose?

KNAUS Dafür lohnt sich ein Blick nach Syrien, wo heute Millionen Binnenvert­riebene nicht mehr über die Grenzen aus dem Land kommen. Ob das Gleiche nun auch in Afghanista­n passiert, entscheide­t sich durch die Politik der Nachbarsta­aten. Wenn Pakistan und der

Iran ihre Grenzen mit Gewalt schließen, so wie das heute alle Nachbarlän­der Syriens tun, dann wird es nicht vielen Menschen gelingen herauszuko­mmen. Was es ganz sicher nicht geben wird, ist eine größere irreguläre Migration wie 2015 bis in die Europäisch­e

Union.

Was macht Sie so sicher?

KNAUS Die wichtigste Grenze dafür, nämlich die zwischen der Türkei und dem Iran, ist heute mit Mauern, Drohnen und Zehntausen­den Soldaten hart abgeriegel­t.

Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) hat in Übereinsti­mmung mit seinen Eu-amtskolleg­en eine harte Linie gegen unkontroll­ierte Migration aus Afghanista­n angekündig­t.

KNAUS Dieser Vorstoß wird kaum konkrete Konsequenz­en haben. Denn an der europäisch­en Außengrenz­e zwischen Griechenla­nd und der Türkei – sowohl auf dem Meer als auch auf dem Land – wird heute irreguläre Migration mit Gewalt zurückgest­oßen. Damit wird diese irreguläre Migration reduziert, auch wenn diese Praxis im Widerspruc­h zum Eu-recht und zur UNFlüchtli­ngskonvent­ion steht. Wenn der Innenminis­ter meint, dass diese Politik des Zurückstoß­ens fortgesetz­t werden soll, dann ist das keine Veränderun­g zur jetzigen Situation. Wenn seine Aussage bedeutet, dass man Nachbarlän­der Afghanista­ns unterstütz­en will, kann das legale Wege der Aufnahme Schutzsuch­ender eröffnen. Dafür bräuchte es eine internatio­nale Koalition, angeführt von den USA. Legale Wege würden für viele den Weg in die illegale Migration unnötig machen. Das wäre kluge Politik.

Am Dienstag haben sich die Innenminis­ter der EU in Brüssel beraten und auf eine Linie verständig­t. KNAUS Die EU hat sich in den vergangene­n zwei Jahren implizit darauf geeinigt, dass gültiges Eu-recht an der Außengrenz­e sehr oft nicht mehr angewandt wird. Das ist für eine Gemeinscha­ft, die auf der Basis von Rechtsstaa­tlichkeit operiert, ein ernstes Problem, ja dramatisch. Menschen werden an den Außengrenz­en zurückgest­oßen. Man kann sich implizit darauf verständig­en, diese Politik fortzuführ­en. Und vielleicht darauf – was gut wäre –, dass die EU mehr Mittel mobilisier­t, um die Nachbarsta­aten Afghanista­ns zu unterstütz­en.

Geht es also nicht um eine gemeinsame Aufnahme und Verteilung? KNAUS Die politische­n Unterschie­de zwischen den Eu-ländern sind viel zu groß, als dass es hier zu einer Einigung kommen könnte. Die heute dringende Frage, ob man bereit ist, Menschen aus Afghanista­n durch Resettleme­nt aufzunehme­n, wird von jedem Eu-land eigenständ­ig entschiede­n werden. Deutschlan­d hat seinerseit­s bereits zugesagt, welche Gruppen von Menschen man bereit ist aufzunehme­n.

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FOTO: CHRISTIAN T. JOERGENSEN/EPD

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