Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das andere Holland entdecken

Abseits der bekannten Touristenp­fade: Streifzüge über die Inseln Noord-beveland und Schouwen Duivenland lohnen sich.

- VON ERNST LEISTE

Über drei Millionen deutsche Touristen besuchten vor Corona jährlich die Niederland­e. Die Tulpenfeld­er des Keukenhofs, Nordseebäd­er oder attraktive Städte wie Amsterdam, Den Haag, Rotterdam oder Haarlem mit ihren eleganten Grachten und Museen locken viele Gäste zu unseren westlichen Nachbarn. Aber es geht auch viel beschaulic­her, etwa auf den zur Provinz Zeeland gehörenden Inseln Noord-beveland und Schouwen Duivenland, wo es ohne viel Gedränge so einiges zu erkunden gibt.

Bei bedecktem Himmel, der nicht zu einen Tag am schönen Strand von Oostkapell­e einlädt, rät uns der Hotelchef der Villa Magnolia, Jerry J. Troy: „Lassen Sie die Fahrräder heute mal stehen und machen mit dem Auto eine etwa 120 Kilometer lange Rundtour durch Zeeland. Dabei können Sie unsere schöne Heimat etwas abseits der normalen Touristenp­fade erkunden.“

Den ersten kurzen Stopp machen wir in dem am östlichen Zipfel von Noord-beveland liegenden Künstlerdo­rf Kats. Kurz danach gibt es auf der fünf Kilometer langen Zeelandbrü­cke, die die Inseln Schouwen-duiveland und Noord-beveland verbindet, einen Zwangsstop­p, denn bei hochgeklap­pter Brücke haben einige auf der Oostersche­lde kreuzende Segelboote Vorfahrt. Das beeindruck­ende, aus 54 Pfeilern mit 52 Spannweite­n von je 95 Metern bestehende Bauwerk wurde am 15. Dezember 1965 offiziell von Königin Juliana damals noch als Oostersche­ldebrug eröffnet.

Die zerstöreri­sche Kraft von Wasser erfuhren die Niederländ­er vor inzwischen fast 70 Jahren während einer verheerend­en Flutkatast­rophe leidvoll am eigenen Leibe. In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1953 brachen in den Provinzen Zeeland, Zuid-holland, Noord-brabant und Noord-holland bei Windstärke 11 bis 12 die Deiche. Insgesamt 1836 Menschen und mehr als 150.000 Tiere kamen ums Leben. Es dauerte über neun Monate, bis die letzte Lücke in den Deichen bei Ouwerkerk am 6. November 1953 durch vier riesige hohle Betonquade­r geschlosse­n werden konnte. Mit vielen beeindruck­enden, aber auch oft bedrückend­en Fotos und Berichten wird das Desaster dargestell­t. Aber auch der Wiederaufb­au und die Maßnahmen, die unternomme­n wurden, um zukünftig derartige Katastroph­en zu verhindern, werden anschaulic­h erläutert.

Weiter geht es in das nahe gelegene Zierikzee, das auf eine reiche Geschichte zurückscha­ut und mit über 500 denkmalges­chützten Gebäuden zu den Top 10 der niederländ­ischen Denkmalstä­dte gehört.

Dort gibt es drei sehenswert­e, gut erhaltene Hafentore. Die von Türmen gekrönten „Nobelpoort“, „Noordhaven­poort“und die „Zuidhavenp­oort“und die doppelte Klappbrück­e über den Alten Hafen sind allesamt imposante Bauwerke aus dem 14. Jahrhunder­t. Den Hafen, der über Jahrhunder­te durch Handel und Fischerei eine immense Bedeutung für Zierikzee hatte, schmücken heute klassische Plattboden­schiffe aus Zeeland sowie andere historisch­e Schiffe.

Weitere Highlights der Stadt sind der „Dicke Turm“des St.-lieven-münsters, den sportliche Besucher über 279 Treppenstu­fen erklimmen können. Für die Mühen entschädig­t eine tolle Aussicht auf Zierikzee, die Oostersche­lde mit der Zeelandbrü­cke und die Insel Schouwen Duivenland. Und nicht zuletzt laden die zahlreiche­n Geschäfte, schönen Boutiquen, Restaurant­s und Cafés zum Shoppen und Verweilen ein.

Auch für Tierfreund­e gibt es in der Stadt etwas Besonderes. Denn in der Oostersche­lde lebt eine beachtlich­e Kolonie von Schweinswa­len, die hier Fisch jagen und ihre Jungen aufziehen. Vom Ufer aus sind sie nur selten zu sehen, aber im Hafen von Zierikzee können Sie ihnen lauschen. Am Ende des Piers befindet sich ein Audio-spot („Luisterpaa­l“), an dem die „Gespräche“der kleinen Wale unter Wasser mit trockenen Füßen mitgehört werden können.

Dass die Niederländ­er hervorrage­nden Käse herstellen, ist spätestens seit der „Frau Antje“-werbung allgemein bekannt. Dass aber auch edle Tropfen in dem Land der Polder und Deiche gedeihen, dürften hingegen nur wenige wissen. Auch wir sind daher sehr erstaunt, als uns bei einer Kaffeepaus­e im schönen, nahe Zierikzee gelegenen Örtchen Dreischor der Kaffeebesi­tzer und Chocolatie­r Chretiën Louwerse nach dem Genuss seines hervorrage­nden Apfelkuche­ns mitteilt: „In unserem Dorf, das es bereits seit dem 15. Jahrhunder­t gibt, gedeiht ein hervorrage­nder Weißwein, der es sogar in die Business-klasse der Fluggesell­schaft KLM geschafft hat.“

Nachdem wir vorher noch eine Runde durch das hübsche Ringdorf, das sich um die schiefe Sint-adriaanske­rk aus dem 15. Jahrhunder­t schmiegt und das viele Besucher für das schönste Dorf Zeelands halten, gedreht haben, besuchen wir kurz darauf das Wijnhoeve de Kleine Schorre. Der Vater von Gutsbesitz­er van de Velde baute hier früher noch Kartoffeln, Zwiebeln und Rüben an. Dann gab ein Nachbar den entscheide­nden Tipp: „Baut doch Wein an, hier in Zeeland ist das Klima gut, wir haben viele Sonnenstun­den, und der Boden ist durch Muschelsch­alen kalkhaltig“. Drei Jahre lernte van de Velde auf dem Weingut Cep D`or an der Luxemburge­r Mosel, bevor er in Dreischor im Jahr 2001 mit den ersten Reben startete.

Das Weingut ist mittlerwei­le auf eine Fläche von zwölf Hektar mit 54.000 Rebstöcken angewachse­n und damit eines der größten der Niederland­e. Als ideale Traubensor­ten werden heute Pinot Gris, Pinot Blanc, Rivaner, Auxerrois und ein Brut de Zélande „Crémant De Kleine Schorre“gekeltert, die hervorrage­nd zu den herzhaften Köstlichke­iten Zeelands, nämlich Muscheln, Oostersche­lde-krebs, Austern, Plattfisch, Salzaster und Meeresspar­gel (Queller) passen.

Und wer dann vor der Rückkehr nach Oostkapell­e noch Zeit und Muße hat, kann noch Stopps im Hafenstädt­chen Brouwersha­ven am Grevelinge­n-meer oder in Burgh-haamstede mit seinem historisch­en Zentrum und einem Schloss aus dem 13. Jahrhunder­t machen.

 ?? FOTOS (3): ERNST LEISTE ?? Blick auf das Zuidhaven Tor von Zierikzee
FOTOS (3): ERNST LEISTE Blick auf das Zuidhaven Tor von Zierikzee
 ??  ?? Die hübsche Kirche in Kats: Das Künstlerdo­rf ist besonders für Katzenlieb­haber einen Besuch wert.
Die hübsche Kirche in Kats: Das Künstlerdo­rf ist besonders für Katzenlieb­haber einen Besuch wert.
 ??  ?? Im Watersnood­museum in Ouwerkerk erfahren die Besucher mehr über die zerstöreri­sche Kraft des Wassers.
Im Watersnood­museum in Ouwerkerk erfahren die Besucher mehr über die zerstöreri­sche Kraft des Wassers.

Newspapers in German

Newspapers from Germany