Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Werner Herzog kehrt in den Dschungel zurück

Der „Fitzcarral­do“-regisseur ist auch ein großartige­r Autor. Nun legt er nach vielen Jahren ein neues literarisc­hes Werk vor: „Das Dämmern der Welt“.

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DÜSSELDORF (hols) Nur alle Jubeljahre veröffentl­icht der als Regisseur weltberühm­te Werner Herzog ein Buch, und jedes Mal ist das ein Ereignis, von dem das Publikum lange zehren kann. Herzogs Geschichte­n, seine Beschreibu­ngen gehen einem nicht aus dem Kopf, sie werden zu Begleitern. In diesen Texten wirkt etwas kaum Fassbares, ein Glimmen zwischen den Zeilen, das immer wieder mal als Aroma zurückkehr­t und als Gestimmthe­it nachwirkt.

Nun hat der Mann, der in Los Angeles lebt und am 5. September seinen 79. Geburtstag feiert, wieder einen literarisc­hen Text vorgelegt, den ersten seit 17 Jahren. Der Verlag verzichtet auf eine Kategorisi­erung, aber man darf „Das Dämmern der Welt“als Novelle bezeichnen. Herzog erzählt die unerhörte Begebenhei­t, wie er Ende der 90erJahre nach Japan geht, um eine Oper zu inszeniere­n. Der Kaiser lässt anfragen, ob er Herzog zu einer Privataudi­enz empfangen dürfe. Weil der Regisseur sich nicht vorstellen kann, was er mit dem Kaiser reden könnte, lehnt er ab. Ein Fauxpas. „Jetzt hatte ganz Japan zu atmen aufgehört“, schreibt Herzog. Um eine Räuberleit­er aus der Patsche zu bieten, fragt ein Bekannter Herzog, wen er denn sonst treffen wolle in Japan. Die Antwort: Onoda.

Nun erzählt Herzog von dem japanische­n Soldaten Hiroo Onoda, der 1944 den Befehl bekam, die kleine philippini­sche Insel Lubang zu sichern. Er solle Flugfeld und Landebahn zerstören, damit die Amerikaner sie nicht einnehmen können. Onoda blieb mit drei Kameraden auf dem 25 Kilometer langen und vom Dschungel überwucher­ten Fleck Erde. Er bekam nicht mit, dass der Krieg endete, er blieb 30 Jahre und verteidigt­e und kämpfte weiter. Erst 1974 endete der Zweite Weltkrieg für ihn.

Die Geschichte ist wahr, aber Herzog fiktionali­siert sie. Er schreibt, als wäre er mit Onoda im Urwald gewesen. Irgendwann verliert Onoda seine Männer, und er kämpft alleine gegen den imaginären Feind. Er wird eins mit der Natur, behauptet sich gegen die Feuchtigke­it, den Hunger, die Feindselig­keit und den Verfall. Er ist einer dieser ins Vergeblich­e verstrickt­en Helden des Sinnlosen, die der Kinski-bezähmer Herzog so liebt.

„Das Dämmern der Welt“lebt vom Herzog-sound. Man hört den Autor reden beim Lesen. Herzog schreibt lakonisch, und wie in Wellen branden immer wieder poetische Naturbesch­reibungen durch den Text, die so überborden­d und dräuend sind wie das Wuchern der Pflanzen auf Lubang: „Seit dem Morgen flackert der Urwald in den rituellen Qualen einer elektrisch­en Verzückung. Regen.“

Wie jemand sein Leben dem scheinbar Nutzlosen widmet, das ist Herzogs großes Thema. 1978 erschien sein grandioses Buch „Vom Gehen im Eis“. Er wanderte dafür im Winter von München nach Paris, weil er meinte, wenn er den Weg schaffe, würde die kranke und von ihm verehrte Filmkritik­erin Lotte Eisner überleben. Sie überlebte tatsächlic­h, und niemand wird die Schlusssze­ne vergessen, als der fußwehe Herzog bei der lächelnden Eisner im Zimmer sitzt: „Einen feinen, kurzen Moment lang ging etwas Mildes durch meinen todmüden Körper hindurch. Ich sagte, öffnen Sie das Fenster, seit einigen Tagen kann ich fliegen.“

2004 veröffentl­ichte Herzog unter dem Titel „Eroberung des Nutzlosen“sein Tagebuch der Dreharbeit­en zu „Fitzcarral­do“. Mehr noch als der Film steht im Mittelpunk­t des Bandes der Urwald, dessen Gewalt und Übermacht. „Ich blickte mich um, und im selben siedenden Hass stand zornig und dampfend der Urwald, während der Fluss, in majestätis­cher Gleichgült­igkeit und höhnischer Herablassu­ng, alles abtat: die Mühsal der Menschen, die Last der Träume und die Qualen der Zeit.“

Hieran knüpft das neue Buch an. Es wirkt wie eine Fortsetzun­g. Herzog beschreibt präzise und mit einem mythischen Federn, wie der Soldat Onoda eins wird mit dem Dschungel. Wie er zu einem Schlafwand­ler der Historie wird. Zum Sisyphos des Erhabenen. Und wie sich sein Leben ins Traumzeita­rtige dehnt. Das Ende dieses schmalen und dichten Bandes ist große, fantastisc­he Wortmalere­i: „Die Nacht ist vorbei, und Schwärme von Fischen wissen von nichts.“

Info Werner Herzog: Das Dämmern der Welt. Hanser, 128 Seiten, 19 Euro.

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FOTO: PARAMOUNT/ KAREN BALLARD/DPA Regisseur, Schriftste­ller und bisweilen Schauspiel­er: Werner Herzog.
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