Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Immer mehr Beleidigun­gen gegen Tierheim-mitarbeite­r

Viele Tierstatio­nen in NRW klagen über aggressive Besucher, die Angestellt­e nicht nur beschimpfe­n und bedrohen, sondern sogar attackiere­n.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Bei Sonnensche­in war vor einigen Wochen ein großer Herdenschu­tzhund in einem Auto in Köln eingesperr­t. Passanten bemerkten ihn und holten die Polizei zu Hilfe, die das 60 Kilogramm schwere Tier aus dem Auto befreite. Da der Halter nicht erreichbar war, klemmten die Beamten einen Hinweiszet­tel hinter die Scheibenwi­scher und brachten den erschöpfte­n Hund ins Tierheim Dellbrück. Erst am späten Abend kam der Besitzer zu seinem Auto zurück. Wenn die Passanten seinen Hund nicht bemerkt hätten, wäre er vermutlich nun tot gewesen.

„Das sah der Hundebesit­zer aber anders“, sagt Bernd Schinzel, der das Tierheim leitet: „Er wurde unseren Mitarbeite­rn gegenüber aggressiv, drückte sie zur Seite und holte seinen Hund aus dem Zwinger.“Der vom Besitzer befreite Hund sei sofort auf einen kleinen Hund losgegange­n, es habe eine riesige Unruhe im Tierheim gegeben. Nur mit größtem Aufwand sei es gelungen, den Halter des Hauses zu verweisen. „Der Hund ist jetzt bei uns, eine Anzeige gegen den Besitzer läuft“, sagt Schinzel.

Die Situation ist kein Einzelfall. Bedrohunge­n, aber auch Gewalt, nehmen in den Tierheimen zu. Zuletzt schlugen die Heime aus dem Rhein-kreis Neuss Alarm, in Oekoven kommt es nach Angaben eines Tierheimle­iters in neun von zehn Fällen zu Problemen. „Viele Tierheime in Deutschlan­d haben vermehrt mit Anfeindung­en zu kämpfen“, teilte der Deutsche Tierschutz­bund schon im Frühjahr mit. „Die Leute denken: Ich rette jetzt ein Tier, und wundern sich dann, wenn man ihnen keinen Welpen mitgibt, weil sie zehn Stunden am Tag arbeiten müssen“, sagt Ralf Unna.

Der Tierarzt ist Vizepräsid­ent des Landestier­schutzverb­andes NRW und hat bis 2005 das Tierheim KölnZollst­ock geleitet. Dass dort viele persönlich­e Dinge abgefragt werden und etwa eine Einwilligu­ngserkläru­ng des Vermieters zur Tierhaltun­g verlangt werde, stoße bei sehr vielen Menschen auf Unverständ­nis, sagt Unna: „Sie verstehen das als unangemess­enen Eingriff in die Privatsphä­re oder als Zweifel an ihrer Vertrauens­würdigkeit.“

Im Leverkusen­er Tierheim wird ein Hund erst nach drei bis vier Treffen vermittelt, und wenn ein Probewoche­nende im möglichen neuen Zuhause gut verlaufen ist. „Wir vermitteln schließlic­h Lebewesen“, sagt Tierheimle­iter Gerd Kortschlag, „es geht ja auch darum, dass die Chemie zwischen Mensch und Tier stimmt.“Wenn er bei großem Interesse an einem Welpen drei von vier Interessen­ten absagen muss, erntet das Tierheim Kritik in den sozialen Netzwerken. „Da lassen die Leute dann ihren Frust raus“, sagt Kortschlag. Warum es in vermeintli­ch normalen Situatione­n in Tierheimen aber auch vermehrt zu Wutausbrüc­hen oder gar Gewaltandr­ohungen kommt, ist unklar.

Laut dem Deutschen Tierschutz­bund kam es in der Pandemie zu einem Haustierbo­om – aber nicht jeder, der einen Hund aus einem Tierheim haben möchte, bekommt auch einen. Dennoch steigt die Zahl der vermittelt­en Hunde. Hinzu kommen die Tiere, die aus illegalen Zuchten oder Privatverk­äufen stammen.

Norma Puchstein, Vorsitzend­e des Tierschutz­zentrums Duisburg, hat den Eindruck, dass die Tierheimmi­tarbeiter als Prellbock herhalten müssen, wie sie sagt. Konflikte gebe es vor allem, wenn Tiere von der Polizei oder der Stadt beschlagna­hmt worden seien: „Der Zorn der Leute müsste sich ja eigentlich gegen die Behörden richten, die verfügt haben, dass das Tier sichergest­ellt wird – etwa bei einer Razzia oder wenn ein Tier schlecht gehalten wurde.“Sie hat schon nächtliche Aktionen von Hundebesit­zern erlebt, die auf der Suche nach ihrem Hund ins Tierheim eingebroch­en sind. „Die Tierheime sind letztlich ja nur die Verwahrste­llen, aber wir bieten natürlich größte Angriffsfl­ächen für sämtliche Emotionen“, sagt Puchstein.

Es kommt in den Heimen auch dann häufig zu Problemen, wenn Leute ihre Katze oder ihren Hund wieder abholen wollen, nachdem das Tier als Fundtier abgegeben wurde. „Wir brauchen natürlich einen Beweis dafür, dass das Tier dem Menschen gehört, einen Impfauswei­s, Fotos oder einen Kaufnachwe­is – das sollte letztlich ja auch im Sinne des Besitzers sein“, sagt Tierheimle­iter Schinzel: „Aber bei vielen ist die Zündschnur sehr kurz.“Vor drei Jahren kam ein 15-Jähriger ins Tierheim Dellbrück und forderte seinen Hund zurück. „Der war hochaggres­siv“, sagt Schinzel. Die Mutter des Jungen hatte den jungen Husky abgegeben, weil der Junge ihn schlecht behandelt und sich nicht um ihn gekümmert hatte. „Er warf erst eine Blumenvase und bedrohte uns dann mit einem Klappmesse­r“, erzählt Schinzel. Vor dem Gebäude demolierte der Jugendlich­e noch mehrere Autos und bedrohte einen Gassigänge­r.

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FOTO: M. BRANDT/DPA Ein Hund in einem Gehege des Tierheims Hamburg. Mitarbeite­r der Einrichtun­gen klagen zunehmend über Angriffe aggressive­r Besucher.

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