Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Im Frühjahr wird Schluss sein“
ANDREAS GASSEN Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist optimistisch, dass es mit Corona bald ein Ende hat.
Herr Gassen, wann wird die Corona-pandemie vorbei sein?
GASSEN Ich gehe davon aus, dass im Frühjahr 2022 Schluss sein wird mit Corona. Das sagen auch renommierte Wissenschaftler. Bis dahin wird die Impfquote noch einmal etwas höher liegen – vor allem nimmt aber auch die Zahl der Genesenen mit Antikörpern zu. Einschränkungen werden dann wohl gänzlich unnötig werden.
Und bis dahin erwischt uns noch eine starke vierte Welle?
GASSEN Im Herbst werden die Infektionszahlen noch einmal ansteigen. Schon jetzt sind sie ja hochgegangen, angetrieben vor allem durch Reiserückkehrer aus einigen Ländern. Und trotzdem erkenne ich in der Ärzteschaft keine großen Sorgen, dass das Gesundheitssystem noch kollabieren könnte. Die Zahl schwerer Erkrankungen wird deutlich unter dem Niveau des vergangenen Winters bleiben. Etwas mehr Gelassenheit wäre also angebracht, ohne leichtsinnig zu werden. Die Idee, in Zügen nur noch Geimpfte, Genesene oder Getestete mitfahren zu lassen, wäre zwar theoretisch mit mehr Sicherheit verbunden, erscheint mir aber praktisch undurchführbar und rechtlich zweifelhaft.
Andere Länder haben ihre Maßnahmen bereits stark zurückgefahren, sogar einen Freiheitstag ausgerufen. Sollte Deutschland nachziehen?
GASSEN In vergleichbaren Staaten wie Großbritannien, den Niederlanden oder Dänemark gibt es tatsächlich nur noch wenige oder keine Einschränkungen. Und dort laufen die Krankenhäuser auch nicht voll. Ich bin deswegen dafür, dass es hierzulande zeitnah keine pauschal verpflichtenden Maßnahmen für die Bürger mehr gibt, sondern die Menschen für sich entscheiden, was sie freiwillig zum Selbstschutz tun wollen – zum Beispiel auch, ob sie eine Maske tragen oder nicht. Bund und Länder täten gut daran, ihre Entscheidungen nicht monatelang im Alarmmodus zu treffen. Nach eineinhalb Jahren Pandemie sind wir ja auch schon schlauer: Die Zero-covid- oder Non-covid-strategien sind weltweit erwartbar gescheitert. Wir brauchen einen pragmatischeren Ansatz.
Was bedeutet das für die Schulen? GASSEN Ich sehe es sehr kritisch, künftig nach positiven Lollitests ganze Klassen oder Jahrgangsstufen in mehrtägige Quarantäne zu schicken, wenn ein möglicher positiver Fall in der Gruppe auftritt. Die Schäden, die Kinder bei Wechselunterricht und langen Quarantänezeiten nachweislich erleiden, sind wohl weitaus größer als die möglichen Risiken durch Long-covid-symptome, die bislang nur vereinzelt auftreten und die in ihrer Relevanz noch wissenschaftlich untersucht werden müssen. Long Covid ist kein Massenphänomen bei 14 Millionen Menschen unter 18 Jahren und rund 2800 unbestätigtenverdachtsfällen. Die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter sollte künftig auf Risikogruppen wie ältere Menschen in Pflegeheimen und ihre Angehörigen beschränkt werden.
Eben weil so wenig über Long Covid bekannt ist, mahnen Experten wie Spd-politiker Karl Lauterbach zur Vorsicht insbesondere an Schulen...
GASSEN Richtig und nicht überraschend ist, dass sich das Infektionsgeschehen gerade besonders stark in den jüngeren Jahrgängen abspielt. Und es gibt erschreckenderweise immer noch keine brauchbaren Schutzkonzepte nach all der Zeit. Es ist auch völlig absurd, dass es für Schulen bundesweit nicht genug Luftreiniger gibt und Kinder sich im Unterricht mit einer Maske rumquälen müssen, und dann logischerweise den Rest des Tages natürlich keine mehr tragen, auch wenn sie mit den gleichen Kindern spielen. Wir wissen eindeutig, dass junge Menschen nur sehr, sehr selten schwer an Corona erkranken. Deswegen darf es keinen Wechselunterricht mehr geben.
Haben Sie Sympathien für eine Impfpflicht – und sei es nur für bestimmte Berufsgruppen?
GASSEN Nein. Eine Impfpflicht lehne ich ab, auch für einzelne Berufsgruppen. Wir müssen Vertrauen in die Impfung erreichen und sie nicht mit Zwang durchsetzen wollen. Gleichwohl kann das Impfangebot noch leichter verfügbar und bürokratieärmer werden. Die meisten Arztpraxen haben ihre Patienten, die dafür offen waren, bereits durchgeimpft. Arztpraxen bleiben auf jeden Fall der beste Ort für die Impfung. Und trotzdem sind auch Aktionen wie das Impfen in der SBahn durchaus eine mögliche Idee, um mehr Menschen zu erreichen. Die Corona-schutzimpfung ist sicher – das kann doch mittlerweile jeder sehen. Und wer das als Erwachsener nicht verstehen will, muss eben mit einer Infektion und schweren Erkrankung rechnen. So einfach ist das.