Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Wie Yann Fanter sein Zuhause am Ostpark retten will.

Mehr als einen Monat nach dem Hochwasser ist in den betroffene­n Siedlungen noch nichts wie zuvor – über ein Leben im Provisoriu­m.

- VON VERENA KENSBOCK

DÜSSELDORF Die Erkenntnis kam nicht plötzlich, sondern nach und nach, so langsam, wie der Schimmel die Wände hoch kroch. Zunächst sah es nämlich so aus, als wäre gar nicht viel passiert im Haus von Hanna und Yann Fanter. Sie leben mit ihren zwei Kindern in der Ostparksie­dlung, durch die die Düssel fließt, die am 14. Juli über die Ufer getreten war und etliche Häuser geflutet hatte. Ein „Jahrtausen­dhochwasse­r“, hatte Oberbürger­meister Stephan Keller (CDU) gesagt.

Bis heute stapelt sich in der Ostparksie­dlung an dem Rinnsal, der damals zum reißenden Strom wurde, ein Wall aus Sandsäcken. Das Leben in den Vierteln an der Düssel, der Itter und am Kittelbach ist auch anderthalb Monate nach dem Hochwasser noch nicht wie zuvor. In den Gärten sprießt es, doch in den Häusern hat sich das Wasser durch die Böden und Gemäuer gefressen.

Bei Hanna und Yann Fanter drückte sich das Grundwasse­r hoch, kam sprudelnd aus dem Rasen. Die Möbel aber blieben trocken. „Glück gehabt, dachten wir“, sagt Hanna Fanter. Bis sie den ersten Schimmel hinter den Fußleisten sah, dann die Feuchtigke­it in den Wänden, dann das Wasser unter dem Parkett, dann unter dem Estrich. Mit jedem Tag wurde der Familie klarer, wie viel Schaden das Hochwasser auch in ihrem Haus angerichte­t hat.

Vergangene­s Wochenende haben sie große Abrisspart­y gefeiert, wie sie sagen. Freunde und Verwandte kamen vorbei, haben Tapeten und Böden herausgeri­ssen und mehrere Container gefüllt. Das Paar steht in dem großen Wohn- und Esszimmer, das einem Rohbau gleicht. Die Wände und Böden sind kahl, die Küche lagert in der Garage, die Sofas und Schränke im Kinderzimm­er, das Gartenhaus ist gefüllt mit Umzugskart­ons.

„Vielleicht sind wir an Weihnachte­n wieder drin“, sagt Hanna Fanter. Bis dahin leben sie günstig in der Wohnung von Bekannten. Wie die meisten haben sie keine Versicheru­ng, die auch Hoch- und Grundwasse­rschäden abdeckt. „Die Kinder hatten anfangs große Sorge, dass wir nicht mehr ins Haus zurückkomm­en“, sagt die 38-Jährige. Eine andere Option, als zurück in ihr Zuhause zu ziehen, gibt es für die Familie aber nicht. Erst müssen die Wände trocknen, zeitgleich versucht Yann Fanter Handwerker zu organisier­en – eine Geduldspro­be.

Auch die Anwohner der Brockenstr­aße warten. Die Siedlung liegt direkt an der Itter, deren Damm in der Nacht im Juli gebrochen ist. Und noch immer ist unklar, ob alle Häuser stehen bleiben können. Thilo Schott steht in seinem Wohnzimmer, an diesem Tag ist ein Maler da, der die Wände neu verputzt. „Wir leben auf einer Baustelle“, sagt Schott. Vor einer Woche konnte er die Bautrockne­r aus dem Erdgeschos­s räumen, nun hat er im Möbelhaus einen neuen Wohnzimmer­schrank bestellt. Mit Glück ist der in drei Monaten da. Seit dem Hochwasser ist Schott von der Arbeit freigestel­lt, damit er sich um das Haus kümmern kann. In den letzten Wochen hat er – wie viele seiner Nachbarn – häufig draußen auf der Terrasse gesessen, die ist zu seinem zweiten Wohnzimmer geworden. Die Furcht vor dem Herbst, wenn das nicht mehr möglich ist, ist daher groß.

Nebenan, im Wohnzimmer von Günter und Wilma Tigges, klafft ein Loch – ein Teil der Wand muss neu gemauert werden. Die Böden mussten sie raus reißen, ihr Sohn hat die Balken neu gelegt. Nun warten sie auf die Handwerker. „Vor genau 50 Jahren haben wir uns dieses kleine Haus hier gekauft. Und genau 50 Jahre später fangen wir wieder von vorne an“, sagt die 74-Jährige Wilma Tigges. Wenn sie über die vergangene­n Wochen spricht, lacht sie, hat aber Tränen in den Augen. Von morgens bis abends arbeiten sie in dem Haus, das ihr Zuhause ist, klammern sich an die Hoffnung, dass alles wieder so wird wie zuvor, vielleicht noch ein bisschen schöner. Die Hoffnung, das haben die Betroffene­n gemein, trägt sie durch diese Zeit. Sie alle sind emsig und erschöpft, kämpferisc­h und hoffnungsv­oll zugleich.

Warten müssen die Menschen auch auf Antworten. Etwa auf die Frage, welche Informatio­nen der Stadt vor dem Unwetter vorlagen, welche Entscheidu­ngen getroffen wurden, warum es keine Vorwarnung oder Gefahrenin­formation für die Bewohner gab? Und auf die Frage, wie es weitergeht – was getan werden soll, damit sich ein solches Hochwasser nicht wiederholt? Bei einer Sondersitz­ung im September will die Stadtverwa­ltung Antworten liefern. Ein neues Konzept für Starkregen wurde bereits angekündig­t.

Auch Barbara Kellner wartet. Sie sitzt unter der Markise auf ihrer Terrasse. Sie lebt bei ihrer Tochter, seitdem ihr Haus an der Brockenstr­aße unter Wasser stand. Fast ihr ganzes Leben – 71 von 78 Jahren – hat Barbara Kellner in diesem Haus verbracht, das schon ihren Eltern gehörte. „Und jedes Jahr wurde das Haus schöner“, sagt sie. Wie es nun weitergeht, ist aber ungewiss. Sie wartet noch auf eine Antwort der Firma, die prüfen soll, ob das Gebäude abgerissen werden muss. Bis dahin kommt sie jeden Tag her, um die Fenster aufzureiße­n, damit die Feuchtigke­it entfleuche­n kann, um ihren Katzen Gesellscha­ft zu leisten und um die Hoffnung nicht aufzugeben.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Hanna und Yann Fanter wohnen in der Ostparksie­dlung und müssen ihr Haus nach dem Hochwasser renovieren.

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