Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Die Linken sind nicht lernbereit“

ROLF MÜTZENICH (SPD) Der Spd-fraktionsc­hef über eine löchrige Rote-socken-kampagne der Union, die Regierungs­fähigkeit der Linken und eigene Pläne.

- TIM BRAUNE UND JAN DREBES FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Herr Mützenich, freuen Sie sich schon auf den ersten Koalitions­ausschuss mit Janine Wissler und Dietmar Bartsch?

MÜTZENICH Ich würde mich freuen, wieder dem Bundestag und einer hoffentlic­h großen Spd-fraktion anzugehöre­n. Wer sich dann über Koalitions­fragen Gedanken machen kann, darüber entscheide­n die Wählerinne­n und Wähler.

Rot-rot-grün ist für viele in der

SPD eine attraktive Option. MÜTZENICH Attraktiv ist für mich keine politische Kategorie. Ich werbe bei den Menschen für unsere Arbeit und Überzeugun­gen. Andere Parteien haben in der Vergangenh­eit Verantwort­ung gescheut und reden heute schon wieder über Ministeräm­ter. Das ist mir fremd.

Welche Bedingunge­n muss die Linksparte­i für eine Regierungs­fähigkeit erfüllen?

MÜTZENICHD­IE beste Voraussetz­ung wäre, dass die SPD so stark wird, dass wir nur mit einer Partei zu koalieren brauchen. Jeder weiß, dass ein zukünftige­r Kanzler Olaf Scholz eine stabile Regierung anführen will und nicht auf unsichere Kantoniste­n setzen wird. Wenn es nach der Wahl möglich ist, wollen wir als Erstes versuchen, mit den Grünen belastbare Verabredun­gen zu treffen.

Die Linken-spitze lehnt einen NatoSchwur ab, spricht von „Bekenntnis­quatsch“. Was braucht die SPD noch für einen Ausschluss?

MÜTZENICH Die Linken sind offensicht­lich nicht lernbereit. Das haben wir bei ihrer mehrheitli­chen Enthaltung zum nachträgli­ch erteilten Bundestags­mandat für den Bundeswehr-rettungsei­nsatz in Kabul gesehen. Dabei hatten Linke zuvor ja dafür plädiert, bestimmte Personen aus Afghanista­n herauszubr­ingen. Man kann nicht auf der einen Seite die Liste der Hilfesuche­nden füllen, und auf der anderen Seite den Bundeswehr­einsatz torpediere­n. Das passt nicht zusammen. Ich hätte erwartet, die Linke wäre zumindest bereit, sich originären Blauhelm-einsätzen der Vereinten Nationen zu nähern. Die Führung von Partei und Fraktion sah sich dazu nicht in der Lage. Damit hat sich die Linke weitgehend aus der bundespoli­tischen Debatte verabschie­det.

Mit einer klaren Absage könnte die SPD der Rote-socken-kampagne der Union den Boden entziehen.

MÜTZENICH Diese Rote-socken-kampagne von CDU und CSU ist sowasvon durchlöche­rt und hat bei so vielen Waschgänge­n doch längst alle Farbe verloren. Es ist traurig, dass gerade die Bundeskanz­lerin diesen Stil übernommen und ihre letzte Rede im Parlament zu einem Wahlkampfa­uftritt auf Bierzeltni­veau gemacht hat. Etwas mehr Würde wäre einer Abschiedsr­ede im Deutschen Bundestag nach 16 Jahren Kanzleramt angemessen gewesen. So ordnet sie sich einer CDU unter, die offensicht­lich nur noch platte Angriffe zu bieten hat.

Kuschelig dürfte es zwischen SPD und Grünen nicht werden, bei Klimaschut­z und Industriep­olitik gibt es erhebliche Unterschie­de. MÜTZENICH Rot-grüne Schnittmen­gen sind weiterhin da. Die Umsetzung etwa eines europäisch­en

Lieferkett­engesetzes, das die SPD in Deutschlan­d ermöglicht hat, könnte man sicher gut zusammen mit den Grünen anreichern und verbessern. Umgekehrt müssen die Grünen natürlich sehen, dass ihre sehr stark an bestimmten Milieus orientiert­e Politik von uns mit einer gesamtgese­llschaftli­chen Vision beantworte­t wird. Wir haben das ganze Land im Blick. Ich bin aber sehr zuversicht­lich, dass SPD und Bündnis90/ Die Grünen sich am Ende auf ein gutes Zukunftspr­ogramm verständig­en könnten.

Sie würden Verbote von Verbrenner­n und Kurzstreck­enflügen mittragen? MÜTZENICH Wir werden über alle Themen sprechen. Ich bin gespannt, was die Grünen in mögliche Verhandlun­gen überhaupt einbringen werden. Frau Baerbock hat gelernt, dass bestimmte öffentlich­e Verknüpfun­gen mit Verboten oder Geboten sich für die Grünen nicht auszahlen. Die Menschen sollen nicht abgeschrec­kt, sondern mitgenomme­n werden. Wir brauchen klare Bedingunge­n zur Bewältigun­g der menschenge­machten Klimakrise – und wir wollen ein starkes Industriel­and bleiben.

Sie schwärmen für Rot-grün, was die Umfragen momentan gar nicht hergeben. Wie wollen Sie die FDP von einer Ampel überzeugen? MÜTZENICH Wenn es auf die FDP ankommt, darf sie sich dem Dienst an unserem Land nicht erneut verweigern. Die nötigen Schnittmen­gen werden wir wenn nötig identifizi­eren. Es geht dann nicht alleine um die Steuerpoli­tik, sondern auch um Zukunftsfr­agen wie Rente, Bildung und Digitalisi­erung. Da gibt es Möglichkei­ten, zueinander zu finden.

Möchten Sie Fraktionsc­hef bleiben oder drängt es Sie ins Kabinett? MÜTZENICH Ich möchte ein guter Wahlkreisa­bgeordnete­r bleiben und meine Erfahrunge­n und Überzeugun­gen in die Bundestags­fraktion einbringen. Partei und Fraktion steckten vor zwei Jahren nach dem Rückzug von Andrea Nahles in einer existenzie­llen Krise. Ich habe zusammen mit meinen 151 Kolleginne­n und Kollegen einen Beitrag dazu geleistet, dass die SPD stabil bleibt. Seitdem hat die Fraktion Ruhe und Verlässlic­hkeit ausgestrah­lt, die uns bei den Meinungsum­fragen nun auch zugute kommt. Das zeigt, wie wichtig eine starke und vernünftig­e Regierungs­fraktion auch in Zukunft sein wird. Dazu will ich beitragen.

Die SPD blockiert seit Jahren die Bewaffnung von Drohnen für die Bundeswehr, angeblich sei die Debatte noch nicht ausreichen­d geführt worden. Ist das vorgeschob­en? MÜTZENICH Nein. Es gibt sehr gute Argumente auf beiden Seiten. Ich bin etwas enttäuscht von Kirchen und anderen gesellscha­ftlichen Gruppen, die eine Debatte darüber eingeforde­rt, sie aber kaum wahrnehmba­r geführt haben.

Die Verteidigu­ngsministe­rin und der CDU-CHEF fordern nach dem Afghanista­n-desaster vehement diese Fähigkeit für die Bundeswehr. MÜTZENICH Die Vorfälle aus Afghanista­n liefern doch auch Gegenargum­ente. Zum Beispiel, als eine USDrohne angeblich einen Anschlag in Kabul verhindert haben soll, dabei aber auch eine afghanisch­e Familie tötete, die in die USA ausreisen wollte. Und auch in Mali hätte eine bewaffnete Drohne den letzten Selbstmord­anschlag auf unsere Truppen nicht verhindern können. Dennoch gibt es auch für die Beschaffun­g nachvollzi­ehbare Argumente. Derzeit wird ein Bericht einer von uns beauftragt­en Kommission unter dem Vorsitz von Herta DäublerGme­lin erarbeitet, deren Ergebnisse wir noch abwarten wollen.

Braucht es im neuen Koalitions­vertrag nach der Ära Trump noch ein Bekenntnis zum deutschen Zwei-prozent-ziel in der Nato? MÜTZENICH Dieser platte Fokus auf das Zwei-prozent-ziel hilft uns und unseren Verbündete­n nicht weiter. Den Interessen Deutschlan­ds und der Nato wäre mehr geholfen, wenn wir im nächsten Koalitions­vertrag konkret festhalten, wie wir die sicherheit­spolitisch­en Herausford­erungen angehen wollen.

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