Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Der Rhythmus der Masse

„Political Mother Unplugged“, das neue Programm der Hofesh Shechter Company, eröffnete im Theaterzel­t am Burgplatz das Düsseldorf-festival.

- VON MARION MEYER

DÜSSELDORF Ein bisschen ungewohnt fühlte es sich schon an, bei der Eröffnung des Düsseldorf-festivals wieder mit anderen Menschen eng an eng zu sitzen, und das zum Teil ohne Maske. Auch Christiane Oxenfort, die mit Andreas Dahmen als Intendante­nduo das Festival eröffnete, sagte in ihrer Begrüßung zur 31. Ausgabe, es sei „fast ein bisschen surreal – aber ich habe die Hoffnung, dass es gut werden könnte“.

Oberbürger­meister Stephan Keller wertete die Eröffnung als „Zeichen, dass das Leben wieder zurück in der Stadt ist“. Aber er mahnte weiterhin zur Vorsicht, vor allem in der Altstadt, wo dieses Festival fest verankert ist. Hildegard Kaluza vom Nrw-kulturmini­sterium, neben der Firma Signa Förderer des Festivals, versprach, gerade die Situation der Künstler zu verbessern, die es in Coronazeit­en besonders schwer hätten.

Danach durften die Tänzer die Bühnen erobern. Hofesh Shechters Nachwuchsc­ompagnie, Shechter II, tat dies mit einer Eröffnung aus Paukenschl­ag und Rockmusik, die dafür sorgt, dass sofort klar wird, was so lange gefehlt hat.

Abstrakte Lichtproje­ktionen an der Rückwand der Bühne zeichnen Bilder ins Dunkle. Trommler mit verwischte­n Gesichtern geben einen treibenden Beat vor, unterstütz­t von E-gitarren, die es krachen lassen. Das neunköpfig­e Ensemble, alles starke Tanzpersön­lichkeiten, nehmen den Rhythmus ansatzlos und ungemein dynamisch auf. Allmählich zeichnet sich das verzerrte Gesicht eines Agitators ab. In einer dem Deutschen ähnelnden Lautsprach­e heizt er die Menge auf.

Die Tänzer huldigen ihm mit erhobenen Armen, demütig die Häupter gesenkt, die Körper in wilder Ekstase vereint. Von Masse und Macht erzählt der Choreograf – bildgewalt­ig, derb, mitreißend. Vor elf Jahren hatte sein gefeiertes Stück bereits Premiere, nun zeigt er eine Neufassung als Deutschlan­dpremiere.

Die Szenerie wechselt hin und her. Fahles Licht von oben suggeriert eine Gefangenen­szene. Musik von Bach und Verdi bringt kurze Verschnauf­pausen in die sonst sehr lauten, an Metal orientiert­en Arrangemen­ts. Männer und Frauen in braunen Schlabbera­nzügen tanzen mit rundem Rücken, anscheinen­d gramgebeug­t und sorgenschw­er. Soldaten in mittelalte­rlich anmutenden Uniformtei­len treiben die Menschen zusammen. Einer hält einem anderen eine Pistole an den Kopf. Dann mischen sich

Zivilisten darunter, versuchen einen Umbruch – soweit man so etwas wie eine Handlung herauskris­tallisiere­n will.

Äußerst wirkungsvo­ll wechselt Shechter den Rhythmus, sanft fließende Geigen gehen über in brachiale Gitarren. Beeindruck­end, wie die Tänzer diese Tempiwechs­el körperlich umsetzen. Anklänge an Volkstänze mischen sich ins Vokabular, wenn die Protagonis­ten im Kreis tanzen, einen Arm erhoben. Etwas Poesie keimt auf, als ein Paar ein ergreifend­es Pas de deux tanzt, aber letztlich doch nicht zusammenko­mmt. Am Ende gibt es Ovationen im Stehen für einen vielleicht wenig subtilen, aber äußerst wirkungsvo­llen Abend.

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POUPENEY ?? Der Nachwuchs der Hofesh Shechter Company führt ein brachiales Spektakel auf.
FOTO: AGATHE POUPENEY Der Nachwuchs der Hofesh Shechter Company führt ein brachiales Spektakel auf.

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