Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Merkels Triumphe

ANALYSE Die Amtszeit der scheidende­n Kanzlerin war überschatt­et von vielen Krisen. Manche davon hat sie nicht lösen können, manches aber ist ihr gelungen. Ein Blick auf die Veränderun­gen während der Merkel-jahre.

- VON ANTJE HÖNING UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Am 5. Oktober 2008 lag das Schicksal des deutschen Bank

in den Händen der Kanzlerin. Drei Wochen zuvor war die Us-bank Lehman Brothers pleite gegangen, was die globale Finanzkris­e auslöste. In Deutschlan­d wuchs die Unruhe. Zum Wochenende meldete die Bundesbank nach Berlin, dass die Deutschen nervös wurden, immer mehr Menschen würden Geld abheben und zu Hause horten. Merkel und ihr Finanzmini­ster Peer Steinbrück (SPD) mussten fürchten, dass es am Montag nach Öffnung der Filialen zum Banken-sturm kommt – und handelten: Am 5. Oktober um 15 Uhr gaben sie im Fernsehen eine Garantierk­lärung ab: „Wir sagen den Sparerinne­n und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind “, so Merkel. Ein wagemutige­r Schritt: Der Bund hätte gar nicht die Mittel gehabt, um für alle Spareinlag­en einzustehe­n. Aber allein die Ankündigun­g reichte, um die Menschen zu beruhigen. Der Bank-run blieb aus.

Dass Wirtschaft zur Hälfte Psychologi­e ist, wusste schon Ludwig Erhard. Die akute Gefahr hatte Merkel durch den legendären Tv-auftritt gebannt. Doch um die Bankenkris­e zu lösen, die die reale Wirtschaft in eine tiefe Rezession riss, musste mehr geschehen. 2008 und 2009 war Merkel ständig mit Feuerlösch­er im Einsatz: Banken wie die Hypo Real Estate und Commerzban­k wurden gestützt, ein Bankenrett­ungsfonds aufgelegt, das Kurzarbeit­ergeld ausgeweite­t. Manche Maßnahme wie die Abwrackprä­mie für Autos war ökonomisch sinnlos, aus der Commerzban­k ist der Staat bis heute nicht ausgestieg­en. Doch Stresstest­s und Auflagen für die Kapitalaus­stattung von Banken wirken bis heute.

Ähnlich erfolgreic­h war die EuroRettun­g in der folgenden Staatsschu­ldenkrise. 2009 stand Griechenla­nd nach Bekanntwer­den von Statistikm­anipulatio­nen erstmals vor der Pleite. Bis 2015 hielt das kleine Land seine Partner mit Bankenschl­ießungen, Regierungs­wechseln und dem Streit um immer neue Hilfspaket­e in Atem. Manche, auch führende Cdu-politiker wie Wolfgang Schäuble, wollten Griechenla­nd aus der Eurozone werfen. Tatsächlic­h hatte Hellas die ökonomisch­en Beitrittsb­edingungen nie wirklich erfüllt, sondern war aus politische­n Gründen Mitglied.

Doch Merkel hielt mit milliarden­schwerer, grenzwerti­ger Unterstütz­ung der Europäisch­en Zentralban­k die europäisch­e Karte hoch: Lieber zahlen und so den Flächenbra­nd in der Euro-zone verhindern, war die Devise. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, hielt sie ihren Kritikern immer wieder entgegen.

Am Ende hat sie recht behalten: Bis heute profitiert kein Land so stark vom Euro wie Deutschlan­d. Klagen gegen die Rettungspo­litik scheiterte­n. Aus Merkels sozialisti­schem Gegner Alexis Tsipras wurde ein wichtiger Verbündete­r in der Flüchtling­spolitik und im Streit mit Mazedonien, der Potenzial für eine große Krise hatte. „Allein ist jedes europäisch­e Land zu schwach, um globale Herausford­erungen zu bewältigen“, war Merkel überzeugt. So war sie in ihren besten Stunden nicht Parteichef­in, sondern Kanzlerin.

Merkel hat viele Politiker kommen und gehen sehen, Mit einigen, Friedrich Merz etwa, hat sie ihren Frieden bis heute nicht gemacht. Anhaben konnten diese ihr in ihrer Amtszeit trotzdem nichts. Doch einer hat es geschafft, Merkel nicht nur aus der Contenance, sondern zum Verzweifel­n zu bringen. Das persönlich­e (Miss-)verhältnis zum bayerische­n Ministerpr­äsidenten und langjährig­en CSU-CHEF Horst Seehofer brachte auch die Parteienfa­milie von CDU und CSU an den Rand der Spaltung, führte zum

Zerwürfnis und wurde zum Risiko für die Regierungs­koalitione­n. Beim CSU-PARteitag im November 2015 führte Seehofer die Cdu-vorsitzend­e auf offener Bühne regelrecht vor. Vehement forderte er eine nationale Zuwanderun­gs-obergrenze. Merkel, die eine europäisch­e Lösung anstrebte, lehnte ab. Seehofer kanzelte sie stehend ab. Sie hat es nie verziehen.

Im Juli 2018 eskalierte der Streit erneut, es ging um Zurückweis­ungen von Migranten an der Grenze. Seehofer verkündete erst überrasche­nd seinen Rücktritt als Bundesinne­nminister und CSU-CHEF, 24 Stunden später dann den Rücktritt vom Rücktritt. Nur mühsam fanden CDU und CSU halbwegs einen Kompromiss. Letztlich waren es die stark sinkenden Asylbewerb­erzahlen und die dann alles überlagern­de Corona-pandemie, die einen asylpoliti­schen Burgfriede­n in der Union ermöglicht­en.

Merkel und Seehofer blieben im Amt – er hatte sich jedoch mit dem taktischen Manöver auch in der CSU verrannt – und musste die Macht nach und nach an Markus Söder abgeben. Diesen besuchte Merkel zwei Jahre später in bayerische­r Herrlichke­it auf Schloss Herrenchie­msee, ließ ihn ein wenig bayerisch-königliche­n Prunk auffahren – Seehofer hätte sie diesen Triumph nie gegönnt.

In der Gesellscha­ftspolitik gelang es Merkel, gewisse Verkrustun­gen aufzubrech­en. Auch wenn sie im Bundestag gegen die Ehe für alle stimmte, war es doch ihr zu verdanken, dass es überhaupt zur Abstimmung kam. Auch die Einführung des Elterngeld­es gelang in ihrer Amtszeit, der Kita-anspruch wurde durchgeset­zt. Kritiker sagen allerdings, sie hätte Familien- und Frauenpoli­tik nie aktiv gefördert – nur eben nicht verhindert. Mit der Selbstvers­tändlichke­it und gewisser Skrupellos­igkeit, mit der sie ihren machtvolle­n Job anging, gewann sie eine Menge Anhänger – und war vielen Frauen damit ein Vorbild.

Info Am 20. September lesen Sie die letzte Folge unserer Serie „Merkeljahr­e“, „Das Kanzlerinn­en-abc“.

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