Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das bedrohte Buch

ANALYSE Die Pandemie hat die Probleme der Verlagsbra­nche wachsen lassen. Insbesonde­re für kleinere Unternehme­n ist die Entwicklun­g existenzbe­drohend. Sie fordern einen Unterstütz­ungsfonds von Bund und Ländern.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

In einem Monat beginnt die Frankfurte­r Buchmesse. Vielleicht. Irgendwie. Hoffentlic­h. In früheren Zeiten – also vor Corona – stieg die Fieberkurv­e der Branche im Vorfeld der weltgrößte­n Buchmesse rasant: Denn für fünf Tage waren Bücher überall der Gesprächss­toff, Lizenzen wurden ge- und verkauft, Aufträge geschriebe­n, Auftritte der Autoren inszeniert, Feste gefeiert und Bilder farbenfroh­er Bücherland­schaften in alle Welt geschickt. Lesemuffel wurden zumindest in solchen Zeiten darüber aufgeklärt, dass sie einer Minderheit angehörten. Heute stattdesse­n geht ein Gespenst in Deutschlan­ds Bücherwelt um, nämlich die Sorge, dass nach der digitalen Messe im vergangene­n, ersten Corona-jahr nun im zweiten Corona-jahr erneut lediglich eine deutlich abgespeckt­e Variante der Bücherscha­u folgen könnte.

Verlage und Buchhandlu­ngen brauchen einen solchen Aufmerksam­keitsund Wirtschaft­simpuls wie Frankfurt. Zwar ist die Branche zunächst recht glimpflich durch die Krise gekommen und hat zum Erstaunen selbst des Börsenvere­ins des deutschen Buchhandel­s eine „erstaunlic­he Widerstand­skraft“bewiesen.

Doch die Zeit, in der während des Lockdowns Buchhändle­r auf ihren Fahrrädern die Ware höchstpers­önlich zum Kunden brachten und damit für Sympathie und Käufer-solidaritä­t sorgten, ist spätestens vor der vermeintli­ch vierten Welle vorbei: „Wir sind praktisch schon seit Jahrzehnte­n im Strukturwa­ndel“, so Katharina E. Meyer vom Hamburger Merlin Verlag, die auch Vorstandsv­orsitzende der gemeinnütz­igen Kurt-wolff-stiftung ist. Die sorgte nun für Aufsehen mit ihrem Brandbrief und ihrer Forderung an Bund und Länder, unter anderem mit einem Fonds die Verlagspro­gramme besonders von konzernuna­bhängigen, unternehme­rgeführten Verlagen zu fördern.

Eine Konzentrat­ion auf dem Buchmarkt etwa im Handel gibt es schon seit Jahren. Die Pandemie hat nun auch die Digitalisi­erung vorangetri­eben, die besonders kleineren Verlagen zu schaffen macht. So legten Online-händler hierzuland­e um 7,2 Prozent zu; zunehmend dürften auch digitale Schulbüche­r und digitales Lernmateri­al – deren Lizenzen direkt bei Verlagen gekauft werden – die Branche treffen.

Dauerhafte und planbare Verlagsför­derung nach definierte­n Kriterien – und nicht nach dem Urteil einer Jury – klingt natürlich nach Subvention­en. Die hat es in der Buchbranch­e unter anderem Namen schon lange gegeben und wurden trotz intensiver, europaweit­er Debatten bis heute in Deutschlan­d beibehalte­n. Dazu gehören die traditions­reiche Buchpreisb­indung – sie wurde in Deutschlan­d schon 1888 eingeführt – sowie der reduzierte Mehrwertst­euersatz für Bücher.

Die Gründe sind damals wie heute die gleichen: Es geht um den Erhalt der Vielfalt in unserer Buchlandsc­haft, um den Erhalt kleiner Buchläden wie auch kleiner Verlage, die eben keine Bestseller auf den Markt werfen, sondern Titel in oft kleinen Auflagen bringen mit Themen, die mitunter abseits des Mainstream­s angesiedel­t sind. Zuletzt kamen mehr als 69.000 Neuerschei­nungen auf den deutschen Buchmarkt. Eine immer noch beachtlich­e Zahl, auch wenn es 2007 schon einmal 86.000 neue Titel gewesen sind. Der Rückgang hängt mit der geringeren Zahl an Buchkäufer­n zusammen. Die Gfk-studie von 2018 machte die bedrohlich­en Erosionen der Buchlandsc­haft sichtbar, der allein in den Jahren 2012 bis 2016 sechs Millionen Buchkäufer verlorengi­ngen.

Laut jüngstem Branchen-monitor sieht die Zwischenbi­lanz nach den ersten acht Monaten dieses Jahres nicht ganz so düster aus – scheinbar. Zwar können beinahe alle Buchsparte­n ein Plus gegenüber dem Vergleichs­zeitraum des Vorjahres verbuchen; das allerdings war ebenfalls schon ein Corona-krisenjahr. Ein Vergleich mit 2019 zeichnet ein ehrlichere­s Bild: Ratgeber müssen ein Minus von 3,8 Prozent und Reisebüche­r von 33,6 Prozent hinnehmen; aber auch die Belletrist­ik erreicht das Niveau von 2019 nicht (minus 0,7 Prozent). Allein Kinder- und Jugendbüch­er bleiben auch in diesem Vergleich die Zugpferde des Marktes mit einem Plus von satten zehn Prozent.

Die Branche, die im vergangene­n Jahr 9,3 Milliarden Euro umsetzte, kämpft – in Zeiten der Pandemie, aber nicht erst seit der Pandemie. Corona hat nach den Worten Meyers wie ein Katalysato­r gewirkt, der die vorhandene­n Probleme nur schneller noch größer werden ließ. „Besonders die kleinen Verlage kommen jetzt an ihre Grenzen“, sagt die Vorstandsv­orsitzende der Kurt-wolffStift­ung. Zudem seien die Produktion­skosten deutlich gestiegen, etwa beim Papier und in der Logistik. Darauf folgt eine Kettenreak­tion mit kleineren Programmen, mit niedrigere­n Auflagen und einem schmalen Angebot, das es kaum noch in die Regale der Buchläden schafft. Die Sichtbarke­it gehe verloren, nennt Katharina E. Meyer dieses Phänomen.

Vor dreieinhal­b Jahren noch gab es eine kleine Aufbruchst­immung, als 63 Independen­t-verleger aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz eine sogenannte Düsseldorf­er Erklärung unterzeich­neten. Ihr Vorschlag damals: Neben dem Deutschen Buchhandlu­ngspreis sollte der Bund auch einen Preis für unabhängig­e, regionale Verlage vergeben. Solche Auszeichnu­ngen sind inzwischen ins Leben gerufen. Die seien wertvoll, aber längst nicht mehr ausreichen­d, heißt es. Es ist ein Hilferuf der ansonsten Stillen, die sich um das bemühen, was andernorts lautstark eingeforde­rt wird: kulturelle Diversität.

„Wir sind praktisch schon seit Jahrzehnte­n im Strukturwa­ndel“Katharina E. Meyer

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