Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Eine Stadt unter Schock

Nach dem vermutlich vereitelte­n Anschlag sind Anwohner bestürzt. Nachbarn des Festgenomm­enen beschreibe­n die Familie als unauffälli­g.

- VON VIKTOR MARINOV

Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur bleibt in Hagen die Synagoge zu. Es kommen keine Gemeindemi­tglieder, stattdesse­n stehen schwerbewa­ffnete Polizisten vor der Tür. „Wir haben hier sehr wahrschein­lich eine schwere Straftat verhindert“, sagt ein Polizeispr­echer vor Ort. Uniformen, Polizeiwag­en und Dienstwaff­en prägen am Donnerstag den ganzen Tag über das Bild der Stadt.

Der entscheide­nde Hinweis kam am Mittwochab­end. Ein ausländisc­her Nachrichte­ndienst soll die deutschen Behörden gewarnt haben: Ein 16-Jähriger plane einen Anschlag mit Sprengstof­f auf die Synagoge in Hagen. Die Tat habe einen islamistis­chen Hintergrun­d, wird Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) später sagen. Für die Anwohner ist die Nachricht ein Schock. „Bislang waren solche Fälle an Hagen zum Glück immer vorbeigega­ngen“, sagt einer, der nur einige Straßen entfernt von der Synagoge wohnt.

Schon seit Mai bewacht die Polizei das Gebäude durchgängi­g – damals hatte es eine Eskalation im Konflikt am Gaza-streifen gegeben, Hunderte Menschen verloren ihr Leben. Mehrere Kameras stehen an der Fassade des Gebäudes, am Donnerstag hat die Polizei ihre Präsenz verstärkt. Er habe von dem Einsatz am Mittwochab­end wenig mitbekomme­n, sagt der Abwohner. „Die Polizei ist geräuschlo­s gekommen und hat die Straße gesperrt. Erst als unser Sohn von der Arbeit nach Hause kam, haben wir mitbekomme­n, dass überhaupt irgendwas geschehen war.“

Für die kleine jüdische Gemeinde mit rund 260 Mitglieder­n kommt der vermutlich vereitelte Anschlag nur Wochen nach dem Hochwasser, das sie auch schwer traf. Das Gemeindeha­us und die Synagoge sind wenige Schritte von der Volme entfernt. Der Fluss war Mitte Juli nach dem Starkregen so vollgelauf­en, dass das Wasser eine Brücke nahe der Synagoge wegriss. Die Keller der Gemeinde liefen voll, auch der Saal und die Küche standen mehrere Tage unter Wasser. Mit Schaufeln und Schubkarre­n schafften die Mitglieder Schlamm aus dem Gebäude. In der Nachbarsch­aft sieht man überall an den Häusern noch die Spuren des Hochwasser­s.

Nur 15 Minuten Fußweg liegen zwischen der Synagoge und der Wohnung des festgenomm­enen 16-Jährigen. Am Donnerstag­mittag ist die Polizei immer noch dort. Mehrere Beamte stehen vor der Wohnungstü­r, weitere vor dem Mehrfamili­enhaus, eine Polizistin trägt eine Kiste voller Dokumente heraus. Bereits am Morgen stürmten Sek-beamte die Wohnung, sie setzten auch Spürhunde ein. Neben dem 16-Jährigen nahmen sie auch seine zwei Brüder und seinen Vater fest, einige Stunden später werden die Familienan­gehörigen wieder freigelass­en. Der Tatverdach­t gegen sie habe sich nicht erhärtet, heißt es seitens des Düsseldorf­er Generalsta­atsanwalte­s.

„Seit fünf Jahren wohnt die Familie hier“, erzählt Nachbar Adem Demirel. Er und weitere Nachbarn beschreibe­n die Familie des festgenomm­enen Jugendlich­en als ruhig und unauffälli­g. „Wenn es bei ihnen ein bisschen lauter war, habe ich geklopft und dann hat der Lärm aufgehört. Am nächsten Tag haben sie sich sofort entschuldi­gt.“Demirel wohnt ein Stockwerk über der Familie, arbeitet nebenan in einer Metzgerei. „Ich war im Geschäft, als die Polizei kam, das war um 9.30 Uhr. Es waren sehr viele da, sie haben die Tür kaputt gemacht und sind sofort rein.“Er hofft, dass es nur bei dem Verdacht bleibt. Ein Terroransc­hlag, geplant nur wenige Meter unter seiner Wohnung von einem 16-Jährigen? Daran will Demirel nicht glauben.

Manche Medien haben jedoch gegensätzl­iche Informatio­nen. Wie am nächsten Tag „im Kölner-stadtanzei­ger“stehen wird, liegen gegen die Familie des Beschuldig­ten Staatsschu­tzerkenntn­isse vor. Demnach bewegte diese sich in radikal-islamische­n Salafisten­kreisen. Nachdem sich bei den Durchsuchu­ngen in der väterliche­n Wohnung weder Sprengstof­f noch Waffen gefunden hätten, versuchten die Ermittler nun, über die Auswertung beschlagna­hmter Datenträge­r und des Handys des 16-Jährigen den Chatverkeh­r mit einem polizeilic­h bisher unbekannte­n Mann nachzuvoll­ziehen, mit dem er über Bombenbau gesprochen habe, heißt es dort.

Dass es bei einem Verdacht bleibt, das wünschen sich viele Hagener an diesem Tag. „Ich sehe es mit Entsetzen, dass offenbar so viel Schutz vor der Synagoge nötig ist“, sagt ein Passant. Es wird wohl lange dauern, bis sich das ändert. „Sie können davon ausgehen, dass wir jetzt auch erstmal vor der Synagoge bleiben“, sagt ein Polizist, der vor der Tür der Gemeinde steht. An seiner Seite hängt eine Maschinenp­istole. (mit dpa)

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FOTO: JONAS GÜTTLER/DPA Die Polizei bewacht die Synagoge.

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