Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Eine Stadt unter Schock
Nach dem vermutlich vereitelten Anschlag sind Anwohner bestürzt. Nachbarn des Festgenommenen beschreiben die Familie als unauffällig.
Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur bleibt in Hagen die Synagoge zu. Es kommen keine Gemeindemitglieder, stattdessen stehen schwerbewaffnete Polizisten vor der Tür. „Wir haben hier sehr wahrscheinlich eine schwere Straftat verhindert“, sagt ein Polizeisprecher vor Ort. Uniformen, Polizeiwagen und Dienstwaffen prägen am Donnerstag den ganzen Tag über das Bild der Stadt.
Der entscheidende Hinweis kam am Mittwochabend. Ein ausländischer Nachrichtendienst soll die deutschen Behörden gewarnt haben: Ein 16-Jähriger plane einen Anschlag mit Sprengstoff auf die Synagoge in Hagen. Die Tat habe einen islamistischen Hintergrund, wird Innenminister Herbert Reul (CDU) später sagen. Für die Anwohner ist die Nachricht ein Schock. „Bislang waren solche Fälle an Hagen zum Glück immer vorbeigegangen“, sagt einer, der nur einige Straßen entfernt von der Synagoge wohnt.
Schon seit Mai bewacht die Polizei das Gebäude durchgängig – damals hatte es eine Eskalation im Konflikt am Gaza-streifen gegeben, Hunderte Menschen verloren ihr Leben. Mehrere Kameras stehen an der Fassade des Gebäudes, am Donnerstag hat die Polizei ihre Präsenz verstärkt. Er habe von dem Einsatz am Mittwochabend wenig mitbekommen, sagt der Abwohner. „Die Polizei ist geräuschlos gekommen und hat die Straße gesperrt. Erst als unser Sohn von der Arbeit nach Hause kam, haben wir mitbekommen, dass überhaupt irgendwas geschehen war.“
Für die kleine jüdische Gemeinde mit rund 260 Mitgliedern kommt der vermutlich vereitelte Anschlag nur Wochen nach dem Hochwasser, das sie auch schwer traf. Das Gemeindehaus und die Synagoge sind wenige Schritte von der Volme entfernt. Der Fluss war Mitte Juli nach dem Starkregen so vollgelaufen, dass das Wasser eine Brücke nahe der Synagoge wegriss. Die Keller der Gemeinde liefen voll, auch der Saal und die Küche standen mehrere Tage unter Wasser. Mit Schaufeln und Schubkarren schafften die Mitglieder Schlamm aus dem Gebäude. In der Nachbarschaft sieht man überall an den Häusern noch die Spuren des Hochwassers.
Nur 15 Minuten Fußweg liegen zwischen der Synagoge und der Wohnung des festgenommenen 16-Jährigen. Am Donnerstagmittag ist die Polizei immer noch dort. Mehrere Beamte stehen vor der Wohnungstür, weitere vor dem Mehrfamilienhaus, eine Polizistin trägt eine Kiste voller Dokumente heraus. Bereits am Morgen stürmten Sek-beamte die Wohnung, sie setzten auch Spürhunde ein. Neben dem 16-Jährigen nahmen sie auch seine zwei Brüder und seinen Vater fest, einige Stunden später werden die Familienangehörigen wieder freigelassen. Der Tatverdacht gegen sie habe sich nicht erhärtet, heißt es seitens des Düsseldorfer Generalstaatsanwaltes.
„Seit fünf Jahren wohnt die Familie hier“, erzählt Nachbar Adem Demirel. Er und weitere Nachbarn beschreiben die Familie des festgenommenen Jugendlichen als ruhig und unauffällig. „Wenn es bei ihnen ein bisschen lauter war, habe ich geklopft und dann hat der Lärm aufgehört. Am nächsten Tag haben sie sich sofort entschuldigt.“Demirel wohnt ein Stockwerk über der Familie, arbeitet nebenan in einer Metzgerei. „Ich war im Geschäft, als die Polizei kam, das war um 9.30 Uhr. Es waren sehr viele da, sie haben die Tür kaputt gemacht und sind sofort rein.“Er hofft, dass es nur bei dem Verdacht bleibt. Ein Terroranschlag, geplant nur wenige Meter unter seiner Wohnung von einem 16-Jährigen? Daran will Demirel nicht glauben.
Manche Medien haben jedoch gegensätzliche Informationen. Wie am nächsten Tag „im Kölner-stadtanzeiger“stehen wird, liegen gegen die Familie des Beschuldigten Staatsschutzerkenntnisse vor. Demnach bewegte diese sich in radikal-islamischen Salafistenkreisen. Nachdem sich bei den Durchsuchungen in der väterlichen Wohnung weder Sprengstoff noch Waffen gefunden hätten, versuchten die Ermittler nun, über die Auswertung beschlagnahmter Datenträger und des Handys des 16-Jährigen den Chatverkehr mit einem polizeilich bisher unbekannten Mann nachzuvollziehen, mit dem er über Bombenbau gesprochen habe, heißt es dort.
Dass es bei einem Verdacht bleibt, das wünschen sich viele Hagener an diesem Tag. „Ich sehe es mit Entsetzen, dass offenbar so viel Schutz vor der Synagoge nötig ist“, sagt ein Passant. Es wird wohl lange dauern, bis sich das ändert. „Sie können davon ausgehen, dass wir jetzt auch erstmal vor der Synagoge bleiben“, sagt ein Polizist, der vor der Tür der Gemeinde steht. An seiner Seite hängt eine Maschinenpistole. (mit dpa)