Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Lindner sucht den Schulterschluss mit den Grünen
Premiere bei der FDP: Erstmals zweimal hintereinander zweistellig – und das mit einem betont eigenen Kurs. Eine Koalition lässt Parteichef Lindner offen.
BERLIN Das gekühlte Pils schmeckt dem Ehrenvorsitzenden so gut wie selten ein Bier zuvor: Hermann-otto Solms tritt zwar ab von der politischen Bühne, aber ihm gefällt über alle Maßen, dass es seiner Partei an diesem Wahlabend „so gut geht wie noch nie“. Tatsächlich haben es die Liberalen nie zuvor geschafft, zweimal hintereinander zweistellige Ergebnisse zu erzielen. Und das lässt sie wenig später so laut und so ausdauernd jubeln, dass FDP-CHEF Christian Lindner zunächst Mühe hat, der Menge im Hans-dietrichGenscher-haus seine Kurz-analyse mitzuteilen. Sie sind glückselig, alles andere soll später kommen.
Ihr Selbstbewusstsein zieht die FDP aus dem Wahlkampf. Zum zweiten Mal vermied sie eine Koalitionsaussage, wollte nicht als Mehrheitsbeschafferin, sondern um ihrer selbst willen gewählt werden. Und zum zweiten Mal landete sie damit in der Zweistelligkeit. „Die Bürgerinnen und Bürger wollen eine Regierungsbildung aus der Mitte heraus“, sagt Lindner. Sprich: Die neue Koalition soll um die Liberalen herum entstehen. Und er verbindet dies mit einem Seitenhieb auf die CDU, ohne sie zu nennen. Aber jeder weiß sofort, wen er mit dem Hinweis meint, dass da jemand Wahlkampf gegen die FDP geführt habe, obwohl er der FDP eigentlich näher stehe. Wenig später greift das auch Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann in Interviews auf. Die Liberalen hätten sich „gewundert“über Attacken aus der Union, die sich nicht aus dem Programm hätten ergeben müssen.
Und so ist denn auch der Jubel zu deuten, der im Atrium der FDP-ZENtrale sogleich ausbricht, als Lindner verspricht, dass sich die FDP diese „Eigenständigkeit auch für die Zeit nach der Wahl erhalten“werde. Diese FDP würde auch die Ampel mit SPD und Grünen machen, wenn sie ihre wichtigsten Programmpunkte von Steuerstopp und Schuldenbremse durchbringt und sich die entkräftete Union zerlegen sollte.
Und es gibt bereits erste Andeutungen: Lindner sucht verbal den Schulterschluss mit den Grünen. Während die bisherigen Partner der großen Koalition unterm Strich nichts hinzugewonnen hätten, seien die Zugewinne auch bei den Grünen bemerkenswert. Er deutet dies als Aufforderung der Wähler gegen ein „Weiter so!“. Es sei Zeit für einen Aufbruch, ist die letzte Botschaft seiner Ansprache. Als taktisch klügstes Vorgehen wird im Genscher-haus ein umgekehrtes Sondieren angesehen: Wenn sich FDP und Grüne weder von der Union noch von der SPD gegeneinander in Stellung bringen ließen, sondern sich über die Grundzüge der Ausrichtung einer neuen Regierung vorab einig wären und sich dann gemeinsam die SPD oder die Union als passenderen Partner aussuchen könnten.
NRW-FDP-CHEF Joachim Stamp ruft seine Partei derweil dazu auf, ein langfristig funktionierendes „Fortschrittsbündnis“zu bilden: „Es darf jetzt nicht darum gehen, irgendeine Regierung in einer Notoperation zusammenzuzimmern“, sagte Stamp unserer Redaktion.
Bei Bildung, Digitalisierung und dem Kampf gegen den Klimawandel seien größere Weichenstellungen nötig, die von einer Koalition getroffen werden sollten, die länger als eine Legislaturperiode bestehen könne.
Gleich an diesem Montag und damit vor den anderen konstituiert sich die neue Fdp-fraktion im Reichstagsgebäude. An einer Wiederwahl von Lindner als Fraktionschef zweifelt nach diesem Wahlerfolg keiner. Und daran, dass es nur auf Zeit ist. Bis Lindner als neuer Bundesminister vereidigt ist.