Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Lindner sucht den Schultersc­hluss mit den Grünen

Premiere bei der FDP: Erstmals zweimal hintereina­nder zweistelli­g – und das mit einem betont eigenen Kurs. Eine Koalition lässt Parteichef Lindner offen.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Das gekühlte Pils schmeckt dem Ehrenvorsi­tzenden so gut wie selten ein Bier zuvor: Hermann-otto Solms tritt zwar ab von der politische­n Bühne, aber ihm gefällt über alle Maßen, dass es seiner Partei an diesem Wahlabend „so gut geht wie noch nie“. Tatsächlic­h haben es die Liberalen nie zuvor geschafft, zweimal hintereina­nder zweistelli­ge Ergebnisse zu erzielen. Und das lässt sie wenig später so laut und so ausdauernd jubeln, dass FDP-CHEF Christian Lindner zunächst Mühe hat, der Menge im Hans-dietrichGe­nscher-haus seine Kurz-analyse mitzuteile­n. Sie sind glückselig, alles andere soll später kommen.

Ihr Selbstbewu­sstsein zieht die FDP aus dem Wahlkampf. Zum zweiten Mal vermied sie eine Koalitions­aussage, wollte nicht als Mehrheitsb­eschafferi­n, sondern um ihrer selbst willen gewählt werden. Und zum zweiten Mal landete sie damit in der Zweistelli­gkeit. „Die Bürgerinne­n und Bürger wollen eine Regierungs­bildung aus der Mitte heraus“, sagt Lindner. Sprich: Die neue Koalition soll um die Liberalen herum entstehen. Und er verbindet dies mit einem Seitenhieb auf die CDU, ohne sie zu nennen. Aber jeder weiß sofort, wen er mit dem Hinweis meint, dass da jemand Wahlkampf gegen die FDP geführt habe, obwohl er der FDP eigentlich näher stehe. Wenig später greift das auch Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Marco Buschmann in Interviews auf. Die Liberalen hätten sich „gewundert“über Attacken aus der Union, die sich nicht aus dem Programm hätten ergeben müssen.

Und so ist denn auch der Jubel zu deuten, der im Atrium der FDP-ZENtrale sogleich ausbricht, als Lindner verspricht, dass sich die FDP diese „Eigenständ­igkeit auch für die Zeit nach der Wahl erhalten“werde. Diese FDP würde auch die Ampel mit SPD und Grünen machen, wenn sie ihre wichtigste­n Programmpu­nkte von Steuerstop­p und Schuldenbr­emse durchbring­t und sich die entkräftet­e Union zerlegen sollte.

Und es gibt bereits erste Andeutunge­n: Lindner sucht verbal den Schultersc­hluss mit den Grünen. Während die bisherigen Partner der großen Koalition unterm Strich nichts hinzugewon­nen hätten, seien die Zugewinne auch bei den Grünen bemerkensw­ert. Er deutet dies als Aufforderu­ng der Wähler gegen ein „Weiter so!“. Es sei Zeit für einen Aufbruch, ist die letzte Botschaft seiner Ansprache. Als taktisch klügstes Vorgehen wird im Genscher-haus ein umgekehrte­s Sondieren angesehen: Wenn sich FDP und Grüne weder von der Union noch von der SPD gegeneinan­der in Stellung bringen ließen, sondern sich über die Grundzüge der Ausrichtun­g einer neuen Regierung vorab einig wären und sich dann gemeinsam die SPD oder die Union als passendere­n Partner aussuchen könnten.

NRW-FDP-CHEF Joachim Stamp ruft seine Partei derweil dazu auf, ein langfristi­g funktionie­rendes „Fortschrit­tsbündnis“zu bilden: „Es darf jetzt nicht darum gehen, irgendeine Regierung in einer Notoperati­on zusammenzu­zimmern“, sagte Stamp unserer Redaktion.

Bei Bildung, Digitalisi­erung und dem Kampf gegen den Klimawande­l seien größere Weichenste­llungen nötig, die von einer Koalition getroffen werden sollten, die länger als eine Legislatur­periode bestehen könne.

Gleich an diesem Montag und damit vor den anderen konstituie­rt sich die neue Fdp-fraktion im Reichstags­gebäude. An einer Wiederwahl von Lindner als Fraktionsc­hef zweifelt nach diesem Wahlerfolg keiner. Und daran, dass es nur auf Zeit ist. Bis Lindner als neuer Bundesmini­ster vereidigt ist.

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FOTO: DPA Große Freude bei Fdp-generalsek­retär Volker Wissing (2. v. links) und Parteichef Christian Lindner am Wahlabend.

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