Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Gläubige müssen sich selbst ermächtigen“
MARIA MESRIAN Wie geht es weiter im Erzbistum Köln? Die Diplom-theologin von Maria 2.0 hat keine Hoffnung mehr auf eine Kehrtwende.
Frau Mesrian, wie geht es Ihrer Einschätzung nach in Köln weiter, nachdem Papst Franziskus Kardinal Woelki möglicherweise im Amt des Erzbischofs belässt?
MESRIAN Ich denke, dass sich viele Menschen frustriert von der Kirche abwenden werden. Auch viele Gemeinden können sich mit dem Erzbischof keine Zukunft mehr vorstellen. Die Frustration ist groß und wird wahrscheinlich zu einer neuen Austrittswelle führen, zumal, wie ich hörte, 80 Prozent der Leute, die von den päpstlichen Visitatoren damals befragt wurden, sich sehr kritisch über diese Amtsführung geäußert haben. Es ist ein großes Problem, dass all das nun völlig ignoriert wurde und nur noch Kirchenpolitik eine Rolle spielt.
Was würden Sie Menschen sagen, warum es dennoch wichtig und wertvoll ist, in der Kirche zu bleiben?
MESRIAN Ich kann mittlerweile keinem sagen, was richtig und was falsch ist. Jedem, der jetzt aus Gewissensgründen aus der Kirche austritt, kann ich wirklich keinen Rat geben. Wenn selbst eigene Gutachten letztlich keine Konsequenzen mehr haben, was soll man da den Menschen eigentlich noch sagen? Wenn man in einem fahrenden Zug sitzt, nützt es nichts, in den hinteren Wagen zu rennen. Der Zug fährt dennoch weiter in die falsche Richtung.
Warum sind Sie noch Mitglied der katholischen Kirche?
MESRIAN Noch lasse ich mich von der Bistumsleitung nicht dazu brin
PETER BACK/IMAGO
gen, eine Kirche zu verlassen, die mich von Kind an begleitet hat und mir auch biografisch so viel bedeutet. Aber: Es ist momentan ein großes „Noch“.
Haben Sie denn Hoffnungen, dass sich mit den mittlerweile verabschiedeten Dokumenten des Synodalen Weges zumindest eine neue Richtung für die Kirche ergeben könnte?
MESRIAN So komisch sich das anhört: Ich glaube, dass das Scheitern des Synodalen Weges wahrscheinlich der Erfolg ist. Weil sich dann nämlich die Fronten in der Kirche klar zeigen werden. Die Synodalen müssen jetzt Stellung beziehen, so oder so. Aber ich glaube nicht, dass es irgendwann zu Veränderungen in der Kirche kommen wird. Dazu haben die Menschen längst keine Geduld mehr. Ich selbst habe ja auch kein Rezept für die Zukunft. Aber die Menschen, denen der Glaube noch am Herzen liegt und die möchten, dass es weitergeht, werden eigene Formen finden müssen. Sie werden sich also unabhängig machen von der Form der Kirche.
Woher kommt die steigende Ungeduld der Menschen? Hat das auch zu tun mit dem Schock des sexuellen Missbrauchs in der Kirche, der dem Reformprozess eine ungeheure Dringlichkeit verliehen hat?
MESRIAN Absolut. Das ist nämlich der tiefste Abgrund, in den man schauen kann, wenn man mit Betroffenen reden konnte. Wenn das Wesentliche des Christentums die Verschränkung von Gottesliebe und Nächstenliebe ist und diese an ihrem verletztlichsten Punkt verraten wurde – wie das beim sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen passiert ist und ohne Konsequenzen blieb –, dann hat die Institution Kirche ihre Daseinsberechtigung verwirkt. Weil sie die Botschaft Jesu, für die Kleinsten und Schwächsten einzutreten, verraten hat. Auch daher kommt jetzt die Ungeduld auch von älteren Menschen.
Warum scheint die Kirche jetzt unfähig zu Umkehr und Aufbruch zu sein?
MESRIAN Weil es – ganz einfach – um Geld und um Macht geht.
Den Synodalen wird immer wieder vorgeworfen, dass mit ihren Reformen eine Kirchenspaltung droht. Droht nicht viel eher eine Spaltung der Gläubigen innerhalb Deutschlands?
MESRIAN Auf jeden Fall. Aber eigentlich leiden wir ja unter den Folgen einer Kirchenspaltung schon seit Papst Johannes Paul II. und seinem harten Vorgehen gegen die Theologie, das durch Ratzinger noch verstärkt wurde. Dadurch wurde ein Keil in die Kirche getrieben und eine Gegenbewegung zum zweiten Vatikanischen Konzil eingeleitet.
Steht die Kirche Ihrer Meinung nach also an einem Kipppunkt? MESRIAN Für mich ist die Kirche epochal gekippt, als entschieden wurde, dass die Gutachten keine Folgen haben. Man muss sich inzwischen wirklich rechtfertigen, warum man überhaupt noch katholisch ist.
Stehen wir derzeit möglicherweise an der Schwelle zu einem neuen Verständnis von Kirche im 21. Jahrhundert?
MESRIAN Jetzt liegt es praktisch an den aktiven Katholikinnen und Katholiken selbst, sich von dem Leid der missbrauchten Menschen berühren zu lassen. Dem muss man sich stellen. Und daraus erwächst dann eine andere Verantwortung und ein anderes Hinschauen auf das, was wirklich falsch ist. Dann müssen sich die Gläubigen letztlich selbst ermächtigen und so einer Institution die Stirn bieten. Da sind wir alle als Gläubige jetzt in der Pflicht.