Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Selfie-sondierungen statt Balkon-bilder
Die Spitzen von Grünen und FDP überraschen mit frühen Vorklärungen – und wollen nun zügig zusammen in die Regierung.
BERLIN Der Auftakt ist den vier Noch-oppositionspolitikern gelungen: Während sich die Berliner Politik-blase auf den Beginn der Vorsondierungen zwischen Grünen und FDP an diesem Mittwoch einstellte, hatten sich Annalena Baerbock, Robert Habeck, Christian Lindner und Volker Wissing schon am Dienstagabend getroffen. Als Ausdruck von Zuversicht und schon hergestelltem Vertrauensverhältnis posteten sie gegen Mitternacht gleichzeitig das gleiche, von Wissing geschossene Selfie – mit gleichem Text.
„Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“Dieser Text ist meilenweit von den bei solchen Gelegenheiten üblichen dürren Kommuniqués von Parteipressestellen entfernt. Die freundlich-fröhlichen Gesichter bringen dazu den Subtext, dass die vier sich vorgenommen haben, die künftige Koalition zusammen zu rocken. Eine grün-gelbe Zitruskoalition als Kraftzentrum der Erneuerung in einem künftigen Dreierbündnis, lautete die Botschaft. Mit der SPD, wie es die Grünen bevorzugen, oder mit der Union, wozu die Liberalen neigen.
Baerbock und Wissing brauchten es am Mittwochnachmittag deshalb schon nicht mehr eigens zu betonen, dass Termin, Format und Stil die Konsequenz der vergeigten Jamaika-verhandlungen vor vier Jahren sind. Damals beschnupperten sich die großen Sondierungsdelegationen von CDU, CSU, FDP und Grünen über viele Stunden in der Parlamentarischen Gesellschaft, gab jeder zweite Eingangsstatements vor dem Betreten ab, ließ man sich in den Pausen in aufgesetzt-heiteren Posen auf dem Balkon ablichten – und postete ebenfalls Bilder in den sozialen Netzwerken: Aber von Textpassagen, die gerade verhandelt wurden. Ohne Vertraulichkeit konnte seinerzeit auch kein Vertrauen entstehen. Das wollen FDP und Grüne dieses Mal gründlich ändern. Sie haben als Ergebnis des damaligen Scheiterns vier weitere Jahre auf den Oppositionsbänken sitzen müssen. Jetzt wollen sie unbedingt auf die Regierungsbänke wechseln – und dabei ihrer Basis bei den nötigen Zustimmungsrunden ein akzeptables Ergebnis präsentieren. Wenn die aber bei der FDP ein Bündnis mit der Union und bei den Grünen eines mit der SPD erwartet, sind die Frustration und die Gefahr des Scheiterns so lange Teil des Prozesses, wie Grüne und Gelbe nicht offensiv ausloten, wer wem was gönnen kann, damit beide bestehen können.
Weil alle Fragen nach mehr Inhaltsangaben bei Baerbock und Wissing abprallten und die sogar die Länge und den Ort des Treffens unter Vertraulichkeit stellten, analysierte das Netz die vier InstagramPostings um so intensiver. Die Nutzer machten sich lustig darüber, dass die vier schon bei dem Versuch gescheitert seien, sich auf einen einheitlichen Foto-filter für ihre Beiträge zu einigen. Dass Habeck ein rechteckiges Foto zu posten in der Lage war, während Baerbock einen quadratischen Ausschnitt wählte, führte zu der Interpretation, die Grünen-kanzlerkandidatin habe ihren Ko-vorsitzenden zur Linken und den Fdp-general zur Rechten beschnitten, um die eigentlichen Akteure der Verhandlungen – sie selbst und Lindner – hervorheben zu können.
Andere Nutzer fühlten sich bei der Gruppierung von einer Frau im Vordergrund und drei Herren um sie herum an die Band Silbermond erinnert, die offenbar ein Comeback feiere. Und mit einer speziellen Software ließen viele Nutzer die vier Matadore gleich die Münder bewegen und dabei das Lied „We are family“von Sister Sledge singen. Darin heißt es: „Wir sind eine Familie“, und: „Jeder kann sehen, dass wir zusammengehören“.
Der Fahrplan für die weiteren Gespräche sieht nach Wissings Mitteilung für Freitag ein weiteres Treffen mit den Grünen unter Einschaltung weiterer Mitglieder der Parteipräsidien vor, bei dem schon detailliert über Inhalte gesprochen werde.
Samstag treffen die Liberalen mit der Union zusammen, Sonntag mit der SPD. Für die Grünen betonte Baerbock, dass sie aus der Wahl nicht nur den Auftrag herauslesen, Verantwortung zu übernehmen, sondern eine Erneuerung vor allem in einer „progressiven“Koalition sehen. Konsequenterweise haben sie deshalb zunächst nur Zeit für das zweite Gespräch mit der FDP, beraten das weitere Vorgehen am Samstag in ihrem Parteirat und treffen am Sonntag dann die SPD, und zwar erst, nachdem das SPD-FDP-GEspräch zu Ende ist. Auch die Union habe sie eingeladen, doch da müsse sich in der nächsten Woche erst noch ein Termin finden.
Was die Personalquerelen innerhalb der Union für die FDP bedeuten, beantwortete Volker Wissing nur indirekt. Gefragt, ob er damit rechne, noch mit CDU-CHEF Armin Laschet zu sprechen, betonte der Generalsekretär, dass sich die Gespräche nicht am Personal der Union, sondern am Programm der FDP orientierten.
Die Lehre aus dem Scheitern von 2017: Mit Vertraulichkeit und Verlässlichkeit Vertrauen schaffen