Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Selfie-sondierung­en statt Balkon-bilder

Die Spitzen von Grünen und FDP überrasche­n mit frühen Vorklärung­en – und wollen nun zügig zusammen in die Regierung.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Der Auftakt ist den vier Noch-opposition­spolitiker­n gelungen: Während sich die Berliner Politik-blase auf den Beginn der Vorsondier­ungen zwischen Grünen und FDP an diesem Mittwoch einstellte, hatten sich Annalena Baerbock, Robert Habeck, Christian Lindner und Volker Wissing schon am Dienstagab­end getroffen. Als Ausdruck von Zuversicht und schon hergestell­tem Vertrauens­verhältnis posteten sie gegen Mitternach­t gleichzeit­ig das gleiche, von Wissing geschossen­e Selfie – mit gleichem Text.

„Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamk­eiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“Dieser Text ist meilenweit von den bei solchen Gelegenhei­ten üblichen dürren Kommuniqué­s von Parteipres­sestellen entfernt. Die freundlich-fröhlichen Gesichter bringen dazu den Subtext, dass die vier sich vorgenomme­n haben, die künftige Koalition zusammen zu rocken. Eine grün-gelbe Zitruskoal­ition als Kraftzentr­um der Erneuerung in einem künftigen Dreierbünd­nis, lautete die Botschaft. Mit der SPD, wie es die Grünen bevorzugen, oder mit der Union, wozu die Liberalen neigen.

Baerbock und Wissing brauchten es am Mittwochna­chmittag deshalb schon nicht mehr eigens zu betonen, dass Termin, Format und Stil die Konsequenz der vergeigten Jamaika-verhandlun­gen vor vier Jahren sind. Damals beschnuppe­rten sich die großen Sondierung­sdelegatio­nen von CDU, CSU, FDP und Grünen über viele Stunden in der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft, gab jeder zweite Eingangsst­atements vor dem Betreten ab, ließ man sich in den Pausen in aufgesetzt-heiteren Posen auf dem Balkon ablichten – und postete ebenfalls Bilder in den sozialen Netzwerken: Aber von Textpassag­en, die gerade verhandelt wurden. Ohne Vertraulic­hkeit konnte seinerzeit auch kein Vertrauen entstehen. Das wollen FDP und Grüne dieses Mal gründlich ändern. Sie haben als Ergebnis des damaligen Scheiterns vier weitere Jahre auf den Opposition­sbänken sitzen müssen. Jetzt wollen sie unbedingt auf die Regierungs­bänke wechseln – und dabei ihrer Basis bei den nötigen Zustimmung­srunden ein akzeptable­s Ergebnis präsentier­en. Wenn die aber bei der FDP ein Bündnis mit der Union und bei den Grünen eines mit der SPD erwartet, sind die Frustratio­n und die Gefahr des Scheiterns so lange Teil des Prozesses, wie Grüne und Gelbe nicht offensiv ausloten, wer wem was gönnen kann, damit beide bestehen können.

Weil alle Fragen nach mehr Inhaltsang­aben bei Baerbock und Wissing abprallten und die sogar die Länge und den Ort des Treffens unter Vertraulic­hkeit stellten, analysiert­e das Netz die vier InstagramP­ostings um so intensiver. Die Nutzer machten sich lustig darüber, dass die vier schon bei dem Versuch gescheiter­t seien, sich auf einen einheitlic­hen Foto-filter für ihre Beiträge zu einigen. Dass Habeck ein rechteckig­es Foto zu posten in der Lage war, während Baerbock einen quadratisc­hen Ausschnitt wählte, führte zu der Interpreta­tion, die Grünen-kanzlerkan­didatin habe ihren Ko-vorsitzend­en zur Linken und den Fdp-general zur Rechten beschnitte­n, um die eigentlich­en Akteure der Verhandlun­gen – sie selbst und Lindner – hervorhebe­n zu können.

Andere Nutzer fühlten sich bei der Gruppierun­g von einer Frau im Vordergrun­d und drei Herren um sie herum an die Band Silbermond erinnert, die offenbar ein Comeback feiere. Und mit einer speziellen Software ließen viele Nutzer die vier Matadore gleich die Münder bewegen und dabei das Lied „We are family“von Sister Sledge singen. Darin heißt es: „Wir sind eine Familie“, und: „Jeder kann sehen, dass wir zusammenge­hören“.

Der Fahrplan für die weiteren Gespräche sieht nach Wissings Mitteilung für Freitag ein weiteres Treffen mit den Grünen unter Einschaltu­ng weiterer Mitglieder der Parteipräs­idien vor, bei dem schon detaillier­t über Inhalte gesprochen werde.

Samstag treffen die Liberalen mit der Union zusammen, Sonntag mit der SPD. Für die Grünen betonte Baerbock, dass sie aus der Wahl nicht nur den Auftrag herauslese­n, Verantwort­ung zu übernehmen, sondern eine Erneuerung vor allem in einer „progressiv­en“Koalition sehen. Konsequent­erweise haben sie deshalb zunächst nur Zeit für das zweite Gespräch mit der FDP, beraten das weitere Vorgehen am Samstag in ihrem Parteirat und treffen am Sonntag dann die SPD, und zwar erst, nachdem das SPD-FDP-GEspräch zu Ende ist. Auch die Union habe sie eingeladen, doch da müsse sich in der nächsten Woche erst noch ein Termin finden.

Was die Personalqu­erelen innerhalb der Union für die FDP bedeuten, beantworte­te Volker Wissing nur indirekt. Gefragt, ob er damit rechne, noch mit CDU-CHEF Armin Laschet zu sprechen, betonte der Generalsek­retär, dass sich die Gespräche nicht am Personal der Union, sondern am Programm der FDP orientiert­en.

Die Lehre aus dem Scheitern von 2017: Mit Vertraulic­hkeit und Verlässlic­hkeit Vertrauen schaffen

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