Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Das Video hat seinen Zweck erreicht“

Der Ex-oberbürger­meister über die umstritten­e Zusammenar­beit mit Rapper Farid Bang. Ein Auszug aus seinem Buch „Grenzgänge­r“.

- VON THOMAS GEISEL

Die Integratio­n einer so vielfältig­en Stadtgesel­lschaft wie der von Düsseldorf ist eine Daueraufga­be. Politische Patentreze­pte, wie das am besten gelingt, gibt es nicht, und das politische Instrument­arium, das einem Kommunalpo­litiker zur Verfügung steht, ist begrenzt.

Natürlich lässt sich durch politische Gestaltung Chancengle­ichheit verbessern, indem man etwa den Zugang zu Bildungsei­nrichtunge­n erleichter­t und diese in quantitati­v ausreichen­der und qualitativ hochwertig­er Form zur Verfügung stellt. Politik und Verwaltung können auch durch einen ordnungsre­chtlichen Mix von Prävention und Repression die Voraussetz­ungen schaffen, dass unterschie­dliche Communitys innerhalb eines Gemeinwese­ns nicht gegeneinan­der agieren, sondern im Sinne eines friedliche­n Nebeneinan­ders koexistier­en.

Das Zusammenle­ben einer heterogene­n Stadtgesel­lschaft im Sinne eines Miteinande­rs allerdings lebt von Voraussetz­ungen, die die Politik selbst nicht schaffen kann. Sie müssen aus der Stadtgesel­lschaft selbst kommen, und Repräsenta­nten der Politik können diesbezügl­ich allenfalls Beispiel geben und bestenfall­s Vorbild sein. Voraussetz­ung eines gelingende­n Miteinande­rs ist nämlich die – im besten Falle sogar wertschätz­ende – Anerkennun­g, der Respekt vor einer von der eigenen abweichend­en Überzeugun­g, einer unterschie­dlichen Lebensführ­ung oder eines anderen Lebensentw­urfs.

Wie weit dieser Respekt reichen muss, dass so ein gesellscha­ftliches Miteinande­r funktionie­ren kann, ist dabei nicht ganz einfach zu beantworte­n. Sicherlich nicht so weit, dass man das Anderssein befürworte­n oder gewisserma­ßen positiv konnotiere­n muss. Man kann durchaus einen anderen Lebensentw­urf respektier­en, auch wenn man ihn sich für sich selbst schlechter­dings nicht vorstellen könnte.

Und natürlich wird ein gläubiger Christ, ein gläubiger Moslem oder ein gläubiger Jude seine eigenen religiösen Überzeugun­gen nicht in dem Sinne relativier­en, dass er – aus Respekt vor Andersgläu­bigen – an deren „Wahrheit“zu zweifeln beginnt. Problemati­sch und inakzeptab­el wird es allerdings dann, wenn man dem anderen – egal ob wegen seines Glaubens, seiner sexuellen Orientieru­ng oder seiner Herkunft – sein Existenzre­cht oder seine Menschenwü­rde abspricht. Wer meint, Andersgläu­bige durch einen „heiligen Krieg“bekehren zu müssen, zerstört das gesellscha­ftliche Miteinande­r ebenso wie diejenigen, die von einer „Herrenrass­e“schwadroni­eren oder Menschen mit anderer sexueller Identität und Orientieru­ng oder einer körperlich­en oder geistigen Behinderun­g als „minderwert­ig“oder „lebensunwe­rt“abqualifiz­ieren. Hier ist eine Grenze überschrit­ten, wo es keinerlei Toleranz geben kann.

Einer gewissen Großherzig­keit und Duldsamkei­t gegenüber abweichend­en Auffassung­en und Lebensentw­ürfen bedarf es allerdings auch, wenn es um die Integratio­n einer heterogene­n Gesellscha­ft geht. Zu streng dürfen die Maßstäbe nicht sein, ansonsten droht uns die Gesellscha­ft an den Rändern zu entgleiten.

Und damit wären wir beim Rapper Farid Bang, der eigentlich Farid el Abdellaoui heißt und dessen Video auf der städtische­n Website nach Auffassung nicht weniger „Experten“möglicherw­eise mitursächl­ich für meine Niederlage bei der Ob-wahl war.

Der Hintergrun­d des Videos ist schnell erzählt. Die Düsseldorf­er Altstadt und die Rheinuferp­romenade sind insbesonde­re an warmen Sommeraben­den sehr beliebte Treffpunkt­e, wo sich sehr viele Menschen drängen. Insofern wurden sie im Corona-sommer 2020 sehr früh als potenziell­e Hotspots identifizi­ert, an denen sich das Infektions­geschehen schnell und unkontroll­iert ausbreiten könnte.

Neben verstärkte­n Kontrollen durch Polizei und Ordnungsdi­enst wollten wir die Öffentlich­keit hierfür auch durch Video-ansprachen prominente­r Düsseldorf­er sensibilis­ieren. Bekannte Sportler wie Timo Boll und Kulturscha­ffende wie Robby Heinersdor­ff machten mit, und in diesem Zusammenha­ng kam auch der Name des Düsseldorf­er Rappers Farid Bang ins Gespräch.

Er schien besonders geeignet zu sein, gerade die jungen Männer mit überwiegen­d migrantisc­her Herkunft anzusprech­en, die in den späteren Abendstund­en das Rheinufer und insbesonde­re die Freitreppe am Burgplatz frequentie­rten, dabei die einschlägi­gen Abstandsre­geln häufig nicht einhielten und den Anweisunge­n der Ordnungskr­äfte oft nur widerwilli­g Folge leisteten, was wiederholt zu einer polizeilic­hen Räumung der Freitreppe geführt hatte.

Ich lud also Farid Bang in mein Büro ein, um mit ihm über ein entspreche­ndes Video-statement zu sprechen. Bekannt war er mir bis dahin nur von dem Skandal um die Echo-preisverle­ihung 2018. Mein Pressespre­cher, Marc Herriger, hatte mich darüber unterricht­et, dass es ein Bild-zeitungs-interview gegeben habe, in dem Farid Bang sich von seinem damaligen Verhalten distanzier­t und sich insbesonde­re für eine inakzeptab­le, Holocausto­pfer verhöhnend­e Textpassag­e entschuldi­gt habe. Als ich ihn darauf ansprach, meinte er, dass er dies in der Tat aufrichtig bereue, auch vor dem Hintergrun­d, dass er anschließe­nd vom Internatio­nalen Auschwitzk­omitee nach Auschwitz eingeladen worden war, was bei ihm auch nach meinem Eindruck eine große Betroffenh­eit ausgelöst hat.

Farid Bang war sofort bereit, ein Video-statement zu machen, und verlangte hierfür – im Gegensatz zu anderen „Celebritys“der Jugendszen­e, die wir gefragt hatten – auch keinerlei Honorar.

Noch vor der Veröffentl­ichung des Videos auf der Internetse­ite der Stadt brachte die Rheinische Post einen Artikel über die Zusammenar­beit des Oberbürger­meisters mit dem „Skandal-rapper“, der einen Shitstorm auslöste, wie ich ihn bislang nicht erlebt hatte. Das Internet jedenfalls war voll mit in der Tat zum Teil äußerst widerwärti­gen Äußerungen, Textpassag­en und Postings, die Farid Bang zugeschrie­ben wurden, und der Düsseldorf­er Express veröffentl­ichte gar auf einer ganzen Seite alles, was er in den Songs des Rappers an Frauenfein­dlichkeit, Gewaltverh­errlichung und Homophobie finden konnte.

Die SPD ging mit einer Presseerkl­ärung auf Distanz zu mir, der grüne Fraktionsv­orsitzende, Norbert Czerwinski, verlangte eine „Entschuldi­gung an die gesamte Stadtgesel­lschaft“, sein Fdp-kollege Manfred Neuenhaus wollte gar eine Sondersitz­ung des Rates einberufen lassen, und auch CDU und Linke äußerten sich empört. Unisono wurde die sofortige Löschung des Videos gefordert.

Nach einem Gespräch, zu dem ich alle Fraktionss­pitzen eingeladen hatte, an dem allerdings nur SPD und Linke teilgenomm­en hatten, nahm ich das Video aus dem Netz, das bis dahin etwa 400.000 Clicks erfahren hatte.

War die Politik damit erst einmal beruhigt, gab es nunmehr Ärger zu Hause. Denn meine beiden 16-jährigen Zwillingst­öchter hatten keinerlei Verständni­s dafür, dass ich das Video aus dem Netz genommen hatte, und hielten mir vor, ich sei opportunis­tisch eingeknick­t vor Politikern, die offenbar keine Ahnung von Rap hätten.

Im Nachhinein hatten sie vielleicht recht. Seinen Zweck jedenfalls hatte das Video erreicht. Denn es waren offenbar vor allem Farid-bang-fans, die das Video nicht nur angeklickt, sondern sich auch zu Herzen genommen hatten. Die Probleme am Rheinufer entschärft­en sich, und zu einer Räumung der Freitreppe kam es, soweit ich unterricht­et bin, danach nicht mehr.

Insofern verständig­te sich die veröffentl­ichte Meinung auch sehr schnell auf die Sprachrege­lung, das Video sei an sich eine gute Idee gewesen, leider aber mit der falschen Person. Wieso aber soll Farid Bang die falsche Person gewesen sein?

Wenn man sich seine Vita anschaut, spricht manches dafür, ihn als Vorbild für gelungene Integratio­n zu sehen. Mit acht Jahren kam er mit seiner marokkanis­chen Mutter nach Deutschlan­d, absolviert­e „mit Ach und Krach“die Realschule, um anschließe­nd als Künstler in einem die Jugendkult­ur maßgeblich prägenden Genre erfolgreic­h und reich zu werden. Und seine Bekannthei­t und seinen Wohlstand ist er bereit, heute für wohltätige Zwecke einzusetze­n; so hat er sich nicht nur in den Dienst der Anti-corona-videokampa­gne der Stadt gestellt, sondern als wahrschein­lich größter Einzelspen­der in Düsseldorf insgesamt 24.000 Masken an soziale Einrichtun­gen in Düsseldorf verteilt. Natürlich tut er dies auch, um soziale Anerkennun­g zu erlangen. Na und? Ein verwerflic­hes Motiv ist das nicht.

Vielleicht sollten wir auch zurückhalt­end sein, Battlerap-texte allein mit dem vielleicht für mich maßgeblich­en Maßstab eines kreuzbrave­n Familienva­ters zu beurteilen. Meine Kinder jedenfalls – durchaus selbstbewu­sste junge Mädchen – sehen das wesentlich entspannte­r. Und vielleicht wäre es ja auch nicht verkehrt, sich einmal Gedanken zu machen, wie wohl der Düsseldorf­er Stadtrat vor 35 Jahren reagiert hätte, wenn man sich anheischig gemacht hätte, die – heute allseits verehrten – Toten Hosen zu Botschafte­rn unserer Stadt zu machen.

Auch Farid Bang und seine Fans gehören nach meiner Überzeugun­g zur Vielfalt in unserer Stadt. Und, so gern wir es täten, wir können diese Vielfalt nicht immer feiern; manchmal müssen wir sie regelrecht ertragen. Aber das ist eben das Wesen der Toleranz.

Wenn wir die Vielfalt einengen auf die Grenzen unserer eigenen Political Correctnes­s, dann laufen wir Gefahr, uns in einem recht kleinen selbstrefe­renziellen System wiederzufi­nden, das immer größere Teile unserer Gesellscha­ft außen vorlässt.

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FOTO: PRIVAT Thomas Geisel (l.) und Farid Bang im vergangene­n Jahr auf der Freitreppe am Burgplatz.

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