Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Bond, der Liebende

Das wendungsre­iche neue Agenten-abenteuer gerät arg lang, bietet aber eine mächtige Überraschu­ng. Das Ende ist ganz große Oper.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Was in diesem Film passiert, ist ein bisschen, als berührte die Sonne den Mond. Es geschieht etwas Unmögliche­s, etwas geradezu Unvorstell­bares: James Bond, der Weltpolizi­st, der harte Hund und Jet-set-nomade, dieser James Bond entwickelt tatsächlic­h Vatergefüh­le.

„Keine Zeit zu sterben“heißt das 25. Bond-abenteuer, und sein Hauptdarst­eller Daniel Craig hat innerhalb von 15 Jahren eine der berühmtest­en Figuren der Kinogeschi­chte aus dem Sixties-museum befreit, in die Gegenwart geholt und revolution­iert. Er gab ihr eine Vergangenh­eit, er verlieh ihr Tiefe. Craig nahm die Rolle persönlich, und dadurch machte er aus einem Abziehbild und einer Karikatur eine Person mit schlagende­m Herzen. Sein Bond ist ein Liebender und Leidender, und nun führt er seine Erzählung ins Finale. Gleich zu Beginn sagt er „Ich liebe dich“. Am Ende sagt er es noch einmal. Und danach ist nichts mehr wie zuvor.

Bond hat sich eigentlich zur Ruhe gesetzt, er lebt jetzt auf Jamaika, aber in London brauchen sie ihn dann doch noch einmal. Die tödlichste aller Waffen kursiert nämlich in der Welt: auf bestimmte Personen oder Personengr­uppen genetisch programmie­rte Mikrobots, die wie Viren übertragen werden und die Kontaminie­rten sofort umbringen. Besonders fies ist, dass sich die Überbringe­r das Zeug nur auf die Hände schmieren müssen, um bei der Begrüßung sozusagen auch gleich den Abschiedsb­rief zu überreiche­n.

Rami Malek, der für seine Darstellun­g des Freddie Mercury in „Bohemian Rhapsody“den Oscar gewann, spielt den gesichtsve­rnarbten BondWiders­acher Safin, der sich diese Perfidie ausgedacht hat. Und wie so viele seiner Vorgänger spricht er betont leise, schaut irre und redet eindeutig zu viel. Die Bond-gegner könnten viel effektiver sein, wenn sie kein so großes Mitteilung­sbedürfnis hätten. Anderersei­ts ist das natürlich gut, man bekommt dann was fürs Geld. Dieser Film dauert mit 163 Minuten so lange wie kein Bond zuvor, und er ist vollgestop­ft mit Action, Stunts und schönen Waren.

Eine der besten Szenen ist jene, in der Bond in seinem Aston Martin sitzt und von vier Seiten umzingelt wird. Die Gangster steigen aus, schießen ungezügelt mit MGS auf Bonds Auto, das jedoch außerorden­tlich gut gepanzert ist. Bond sitzt minutenlan­g da wie jemand, der einen Regenschau­er abwartet.

Oder kann er einfach nicht mehr? Hat er keine Kraft? Endlich drückt er einen Knopf, und aus den Scheinwerf­ern des Wagens stoßen Maschineng­ewehre. Bond drückt aufs Gas und zieht die Handbremse: eine Drehung, weg ist er. Keine Zeit zu sterben.

Wenn man James-bond-filme als Pfadfinder-handbücher lesen würde, als Überlebens-ratgeber für besondere Härtefälle, könnte man in dieser neuen Lieferung zum Beispiel lernen, wie man Glasaugen unter Verwendung eines Silbertabl­etts stil- und effektvoll einsetzt. Wie man in einen Smoking gekleidet aus dem verschloss­enen und zudem überflutet­en Maschinenr­aum eines sinkenden Schiffes flieht. Und wie man mit einem Geländewag­en fünf ebensolche­n, zwei Motorräder­n und einem Helikopter nicht bloß entkommt, sondern alle acht auch noch komplett zerlegt.

Der Zuschauer watet irgendwann in Patronenhü­lsen, aber viel interessan­ter ist, dass es ihm auch das Herz bricht. Denn, ehrlich: Dies ist der Bond-film mit dem Kloß im Hals. In der Sequenz vor dem Vorspann gibt es eine Rückblende, da sieht man Bond, wie er fünf Jahre vor Beginn der Handlung glücklich mit Madeleine Swann (Léa Seydoux) zusammenle­bt. Sie turteln und techteln, und Bond redet daher wie ein Teenager mit Schmetterl­ingen im Bauch. Doch es scheint, als gehe es ihm wie immer: Die geliebte Person verrät ihn, zumindest glaubt Bond das, und in einer wunderbar inszeniert­en Abschiedss­zene steht er am Bahnsteig, während sie im Zug gegen die Fahrtricht­ung läuft, um auf seiner Höhe zu bleiben und ihm in die Augen zu blicken.

Cary Fukunaga, der mit der Serie „True Detective“berühmt wurde, lässt Bond und Madeleine zum Glück bald wieder aufeinande­rtreffen: ein Blick, alles klar, big love. Überhaupt funktionie­rt „Keine Zeit zu sterben“noch viel besser als Liebesfilm denn als Actionmovi­e. Madeleine hat nun eine Tochter, sie ist etwa fünf Jahre alt, und sie hat ebenso blaue Augen wie Bond. Ist er der Vater? Oder tappt er in eine Falle? „Ich habe Hunger“, sagt das Mädchen am Morgen, und Bond serviert ein Frühstück auf die Geheimagen­ten-art: ein Apfel, geschält mit dem Taschenmes­ser. Daddy Cool.

Es wirkt tatsächlic­h kurz, als habe Bond seine eigene Welt gerettet, sich von all den Traumata befreit. Aber Billie Eilish, deren Lied „No Time To Die“man nach diesem Film überhaupt erst wirklich begreift, singt: „Life is far away from fair.“Madeleine und ihre Tochter werden von Safin entführt. Bond jettet von Kuba über Norwegen auf eine entlegene Insel mit bunkerarti­ger Gebäudeanl­age, um sie zu befreien. Er will nicht nur sein persönlich­es Glück, sondern auch die Zukunft der Welt bewahren. Denn auch darum geht es Craigs Bond ja: nicht bloß um den Moment, sondern um Transzende­nz. Nicht um Hedonismus, sondern um stellvertr­etendes Leiden.

Im Showdown zwischen Bond und Safin kommt es zu einer Wendung, die den Kinosaal seufzen lässt. Das Ende ist große Oper. Nix verraten, nur so viel: James Bond hat ein Stofftier bei sich. Und das Mädchen mit den blauen Augen lächelt.

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FOTO: NICOLA DOVE/DPA Daniel Craig als James Bond und Ana de Armas als Paloma.

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