Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Widerstand leisten bis zum Letzten
Eine Dokumentation porträtiert den Holocaust-überlebenden Walter Kaufmann.
„Corona ist ein biblisches Desaster, eine Plage. Und das mir, nach diesem Leben“, stellt Walter Kaufmann am Ende eines Films über ihn nüchtern fest. Er hätte, schiebt er noch hinterher, gerne die 100 geschafft. Am 15. April 2021 starb der deutsch-jüdische Schriftsteller und Holocaust-überlebende 97-jährig in Berlin. Was bleibt, ist ein Dokumentarfilm, der Lust darauf macht, seine Texte (wieder) zu entdecken.
Kaufmann war so oft Zeitzeuge und ganz nah dran an geschichtsträchtigen Ereignissen, dass seine Erinnerungen Stoff für mehrere Romane liefern könnten. Kaum zu glauben, dass all das einem Menschen passiert ist. „Ich war nur ein kleiner Fisch im großen Meer“, bilanziert er bescheiden. Die Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies lassen Kaufmann erzählen, ergänzen das Gesprochene mit Fotos, Artikeln und Auszügen aus Briefen oder Reportagen. Es ist eine Spurensuche an Orten, die Kaufmanns beruflichem wie privatem Leben entscheidende Wendungen gaben in den USA, Japan, Kuba, Australien und Israel.
Als Dreijähriger kam der in Berlin geborene Sohn einer polnischen Jüdin zu einem gut situierten Duisburger Ehepaar. Sie nannten den kleinen Yitzhak nun Walter. Ihnen war es zu verdanken, dass er mit einem der letzten jüdischen Kindertransporte Nazi-deutschland Richtung England verlassen konnte. Die Briefwechsel mit seinen Adoptiveltern sind die berührenden Momente in der Dokumentation. Kaufmann hat die beiden nie wiedergesehen. Sie kamen in Auschwitz um.
Die DDR warb um ihn und schließlich nahm er die Einladung an, dort als Schriftsteller mit dem Privileg des Reisens zu bleiben. Für Kaufmann markiert die Wiedervereinigung eine Zäsur. Denn er musste plötzlich wieder von vorn anfangen. Sein Antrieb war der Rechtsruck, den er mit zunehmender Sorge beobachtete. Die Hinwendung der abgehängten ehemaligen Ddr-bürger zur AFD, die Nsu-morde und den Anschlag in Hanau, alarmierten ihn. „Nie wieder!“ruft er dem Zuschauer im Kino zu. Er wollte noch einmal „auf die Barrikaden gehen“. Selbst ist ihm dies nicht mehr gelungen. Die Aufgabe übernimmt nun der Dokumentarfilm.