Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
RHEINISCHE LÖSUNG Was Kirche und Kneipe verbindet
Orte für ein Miteinander sind wichtig, doch sie verschwinden immer mehr.
Was Infrastruktur anbelangt, hat der Rheinländer eine klare Vorstellung. Mitten in den Ort gehören zwei Einrichtungen der rheinischen Grundversorgung: Kirche und Kneipe. Und zwar möglichst nah beieinander.
Das war früher praktisch, als noch nach dem Kirchgang der Frühschoppen zum festen Sonntagsprogramm gehörte. Das ist heute zielführend, weil man sich noch auf dem Weg entscheiden kann, welches Bedürfnis größer oder wichtiger ist. Leib oder Seele?
Bei uns im Dorf hatte über 100 Jahre selbst die Kneipe einen kirchennahen Namen: „Zum Dom“. Das wunderbare Lokal lag im Schatten des Kirchturms von St. Andreas, übertraf ihn aber in früheren Zeiten mit den gemalten
Kölner Domspitzen als Wahrzeichen auf der Fassade. Und so konnten durstige Männer sich zu Hause mit gutem Recht verabschieden: „Ich geh zum Dom!“, ohne ein allzu schlechtes Gewissen zu haben.
Ein bisschen rheinischer Katholizismus war ja dabei. Der Dom ist nicht mehr. Manche vermissen das Bier aus dem Silberbecher, das der Akkordeon spielende Wirt als letzte Runde für erkorene Gäste ausschenkte, oder träumen von Wirtin Trudes herrlichen Haxen, die der chinesische Kellner, Doktorand am Max-planck-institut, schmunzelnd servierte. Auch ohne Dom hat das Dorf aber, was die rheinische Bauordnung verlangt. Die notwendige Nähe, der Leib-und-seele-radius von 100 Metern zwischen Kneipe und Kirche, bleibt gewahrt.
Das ist längst nicht überall so. Das Kneipensterben hat auch die Dörfer erreicht. Und in mancher Kirche gibt es selbst am Sonntag keinen Gottesdienst mehr. Wer aber Zusammenhalt und Miteinander erhalten will, braucht Treffpunkte, die Halt geben und Gemeinschaft vermitteln. Mein Freund Ralf, dessen elterliche Gastwirtschaft gleich neben einer Kapelle lag, erinnert sich genau, wie sein Vater die Gemengelage rheinisch beschrieb: „Wo de Herrjott e Hüske boot, bott de Düvel eens donäver.“Heißt: Neben der Kirche steht immer eine Gastwirtschaft. Oder: Herrgott und Teufel geben ihrer Klientel ein Zuhause.
Unser Autor ist stellvertretender Chefredakteur. Er wechselt sich hier mit Politikredakteurin Dorothee Krings ab.