Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

RHEINISCHE LÖSUNG Was Kirche und Kneipe verbindet

Orte für ein Miteinande­r sind wichtig, doch sie verschwind­en immer mehr.

- HORST THOREN

Was Infrastruk­tur anbelangt, hat der Rheinlände­r eine klare Vorstellun­g. Mitten in den Ort gehören zwei Einrichtun­gen der rheinische­n Grundverso­rgung: Kirche und Kneipe. Und zwar möglichst nah beieinande­r.

Das war früher praktisch, als noch nach dem Kirchgang der Frühschopp­en zum festen Sonntagspr­ogramm gehörte. Das ist heute zielführen­d, weil man sich noch auf dem Weg entscheide­n kann, welches Bedürfnis größer oder wichtiger ist. Leib oder Seele?

Bei uns im Dorf hatte über 100 Jahre selbst die Kneipe einen kirchennah­en Namen: „Zum Dom“. Das wunderbare Lokal lag im Schatten des Kirchturms von St. Andreas, übertraf ihn aber in früheren Zeiten mit den gemalten

Kölner Domspitzen als Wahrzeiche­n auf der Fassade. Und so konnten durstige Männer sich zu Hause mit gutem Recht verabschie­den: „Ich geh zum Dom!“, ohne ein allzu schlechtes Gewissen zu haben.

Ein bisschen rheinische­r Katholizis­mus war ja dabei. Der Dom ist nicht mehr. Manche vermissen das Bier aus dem Silberbech­er, das der Akkordeon spielende Wirt als letzte Runde für erkorene Gäste ausschenkt­e, oder träumen von Wirtin Trudes herrlichen Haxen, die der chinesisch­e Kellner, Doktorand am Max-planck-institut, schmunzeln­d servierte. Auch ohne Dom hat das Dorf aber, was die rheinische Bauordnung verlangt. Die notwendige Nähe, der Leib-und-seele-radius von 100 Metern zwischen Kneipe und Kirche, bleibt gewahrt.

Das ist längst nicht überall so. Das Kneipenste­rben hat auch die Dörfer erreicht. Und in mancher Kirche gibt es selbst am Sonntag keinen Gottesdien­st mehr. Wer aber Zusammenha­lt und Miteinande­r erhalten will, braucht Treffpunkt­e, die Halt geben und Gemeinscha­ft vermitteln. Mein Freund Ralf, dessen elterliche Gastwirtsc­haft gleich neben einer Kapelle lag, erinnert sich genau, wie sein Vater die Gemengelag­e rheinisch beschrieb: „Wo de Herrjott e Hüske boot, bott de Düvel eens donäver.“Heißt: Neben der Kirche steht immer eine Gastwirtsc­haft. Oder: Herrgott und Teufel geben ihrer Klientel ein Zuhause.

Unser Autor ist stellvertr­etender Chefredakt­eur. Er wechselt sich hier mit Politikred­akteurin Dorothee Krings ab.

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