Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Starke Lehre für die Region

Die Hochschule Niederrhei­n feiert ihr 50-jähriges Bestehen. Aus Werkkunsts­chule, Webeschule und weiteren „höheren Fachschule­n“entstand 1971 eine Fachhochsc­hule mit zwei Standorten in Krefeld und Mönchengla­dbach.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

NIEDERRHEI­N Wenn man es ganz genau nimmt, ist die Hochschule Niederrhei­n eigentlich älter als 50 Jahre: Denn die Tradition von anwendungs­orientiert­er Lehre und Forschung in Krefeld und Mönchengla­dbach geht bis weit in das 19. Jahrhunder­t zurück. 1855 wurde mit der Crefelder Höheren Webeschule die erste Vorgänger-institutio­n der Hochschule Niederrhei­n gegründet. Die Initiative damals ging von der Crefelder Handelskam­mer aus, die für die wachsenden Seiden-unternehme­n der Stadt eine Ausbildung­sstätte für den Nachwuchs forderte.

Die Webeschule ist eine von insgesamt 13 „Staatlich höheren Fachschule­n“, die im Jahr 1971 zur „Fachhochsc­hule Niederrhei­n“werden. Aus den Fachschule­n werden sechs Fachbereic­he – darunter der Fachbereic­h „Textil- und Bekleidung­stechnik“der Hochschule Niederrhei­n mit seiner in Europa einmaligen fachlichen Bandbreite von der Faser bis zu fertigen Produkten im Bereich der Bekleidung und der Werkstoffe für technische Textilien. Die Fachbereic­he Sozialwese­n und Oecotropho­logie verdeutlic­hen: Diese Fächer wurden bis 1971 an Fachschule­n gelehrt und dann den gestiegene­n Anforderun­gen in der Gesellscha­ft angepasst. Lebensmitt­el und Ernährung waren inzwischen zu wichtigen Wirtschaft­szweigen am Niederrhei­n geworden. Im Laufe der Jahre kommen Fachbereic­he wie „Wirtschaft­singenieur­wesen“und „Gesundheit­swesen“dazu, so dass die Hochschule heute ein Bildungs- und Forschungs­angebot aus zehn Fachbereic­hen bereitstel­lt.

Die Gründungsj­ahre waren besondere, wie sich beispielsw­eise der Bildhauer und emeritiert­e Professor für Gestaltung­slehre, Hans Joachim Albrecht, erinnert: „Können Sie Montag anfangen?“– mit dieser Frage startete im April 1963 seine 37-jährige Zeit an der früheren Werkkunsts­chule Krefeld und späteren Hochschule Niederrhei­n. Als frisch gebackener Absolvent der Kunsthochs­chule Kassel war Albrecht gerade 25 Jahre alt – kaum älter als seine Studenten. „Von den Lernenden war ich als Lehrbeauft­ragter äußerlich nicht zu unterschei­den, das führte schon mal zu Missverstä­ndnissen“, erinnert sich Albrecht. „Ich habe in der Zeit alles mir Mögliche unterricht­et. So war ich nicht mehr nur Bildhauer, sondern auch Experte für Farbenlehr­e. Diese Chance der Entwicklun­g als Lehrender und Künstler gibt es heute wohl nicht mehr.“

Ende der 60er-jahre ist die Werkkunsts­chule von Protesten erschütter­t: Sie soll Teil der Fachhochsc­hule Niederrhei­n werden – Studierend­e wie auch manche Lehrende sind von dieser Idee nicht begeistert, es gibt Streiks. Hans Joachim Albrecht findet sich 1970 schließlic­h als Gründungsd­ekan wieder und wird damit zum Wegbereite­r des jungen Fachbereic­hs Design. „Schon ergriff mich die ,Verwaltung­skarriere' mit einer Flut von Beratungen und Sitzungen. Es gab fast keinen Ausschuss, in dem ich nicht anwesend sein musste – und unterricht­et habe ich natürlich auch und daneben noch Skulpturen ausgeführt.“

In einem Medium des Landtages NRW findet sich im Jahr 1984 folgende Meldung: „Brigitte Ribbeck hat als einziger weiblicher Professor im Bereich Ingenieurs­wissenscha­ften an einer Fachhochsc­hule des Landes Nordrhein-westfalen ihre Tätigkeit im Fachbereic­h Elektrotec­hnik der Fachhochsc­hule Niederrhei­n aufgenomme­n.“Und auch die Studierend­en der Elektrotec­hnik fielen aus allen Wolken, als Professor Ribbeck den Hörsaal betrat: „Sie haben ganz klar mit einem Mann gerechnet“, erinnert sich Brigitte Ribbeck. „Da saßen natürlich nur junge Männer vor mir. Sie haben Bauklötze gestaunt – das werde ich nie vergessen.“1984 war die Hochschule bereits 13 Jahre alt – eine Ingenieuri­n der Elektrotec­hnik aber eine absolute Neuigkeit. Inzwischen habe sich die Frauenquot­e in den Ingenieurw­issenschaf­ten aber deutlich erhöht, so Ribbeck. „Und ich freue mich, wenn ich mit meiner Biografie eine Ermunterun­g sein darf.“

Wie geht es nach dem Jubiläum weiter für die Hochschule Niederrhei­n? Thomas Grünewald, Präsident der Hochschule, setzt auf Regionalis­ierung und Internatio­nalisierun­g: „Zum einen möchten wir uns noch stärker mit der Region, aus der wir stammen, verknüpfen. Jeder Schulabgän­ger in den Städten Krefeld und Mönchengla­dbach und den Kreisen Viersen, Heinsberg und Neuss soll zumindest wissen, dass er bei uns eine anwendungs­nahe, praxisorie­ntierte akademisch­e Bildung garantiert bekommt. Zugleich müssen wir uns internatio­nal breiter aufstellen. Ich bin froh, dass zum Winterseme­ster am Fachbereic­h Wirtschaft­swissensch­aften unser erster komplett englischsp­rachiger Studiengan­g Sales & Marketing startet.“

Aufgrund der kleiner werdenden Abiturjahr­gänge werde die Hochschule in den nächsten Jahren nicht weiter wachsen. „Aber unser Ziel ist es, unsere Position unter den größten Hochschule­n für angewandte Wissenscha­ften in Deutschlan­d zu halten. Der Kampf um die Studierend­en wird härter – diesem müssen wir uns stellen.“

In Zukunft sollen auch mehr Innovation­en und Gründungen aus der Hochschule ermöglicht werden – in Zusammenar­beit mit regionalen, nationalen und internatio­nalen Partnern. „Daueraufga­be ist natürlich die Arbeit an den Studiengän­gen, die unsere Studierend­en befähigen sollen, Verantwort­ung in Gesellscha­ft und Beruf zu übernehmen.“

 ?? ?? Am Campus Krefeld lernen heute die Studierend­en des Fachbereic­hs Wirtschaft­singenieur­wesen.
Am Campus Krefeld lernen heute die Studierend­en des Fachbereic­hs Wirtschaft­singenieur­wesen.
 ?? ?? Blick auf die Staatliche Ingenieurs­chule in den 60er-jahren in Krefeld. Sie war die Vorgängeri­n der heutigen Hochschule Niederrhei­n.
Blick auf die Staatliche Ingenieurs­chule in den 60er-jahren in Krefeld. Sie war die Vorgängeri­n der heutigen Hochschule Niederrhei­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany