Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Rede einer „Bürgerin aus dem Osten“

- VON DOROTHEE KRINGS

Es war vielleicht die letzte „große Rede“als amtierende Bundeskanz­lerin, die Angela Merkel beim Festakt der Deutschen Einheit in Halle gehalten hat. Doch waren es nicht die staatstrag­enden Worte zur Einheit und dem verletzlic­hen Gut der Demokratie, die darin bemerkensw­ert waren, sondern zwei Momente, in denen sie persönlich wurde und als „Bürgerin aus dem Osten“sprach.

Es ging in dieser Passage um Respekt. Als Beispiel für mangelnde Anerkennun­g griff Merkel zurück auf die eigene Biografie: In einem Buchbeitra­g war ihre ostdeutsch­e Herkunft als „Ballast“bezeichnet worden, in einem Zeitungsar­tikel hieß es, sie sei eben keine „geborene, sondern angelernte Bundesdeut­sche und Europäerin“. Merkel zitierte das mit der sarkastisc­hen Anmerkung, der Duden definiere Ballast als „unnütze Last“. Was ihr selbst widerfuhr, wollte sie als Beleg dafür verstanden wissen, dass Ddr-lebensgesc­hichten im vereinigte­n Deutschlan­d kaum wertgeschä­tzt werden. Dass Erfahrunge­n in einem repressive­n Staat vielmehr unausgespr­ochen als Makel angesehen werden. Merkel betonte, dass sie das moniere als „eine von 16 Millionen Menschen, die in der DDR gelebt haben und solche Bewertunge­n immer wieder erfahren“. Da sprach schon die Frau, die das Ende ihrer politische­n Karriere vor sich sieht – und persönlich werden darf. Und bei der Frage, warum Ost und West noch immer so vieles trennt, beim Respekt landet.

Bezeichnen­derweise stellte Merkel damit genau jenes Thema ins Zentrum ihrer potenziell­en Abschiedsr­ede, das ausgerechn­et der SPD zum Wahlsieg verholfen hat. Wie ein Mantra hat Spd-kanzlerkan­didat Olaf Scholz das Schlüsselw­ort Respekt im Wahlkampf wiederholt. Merkels Rede zur Einheit hat einmal mehr gezeigt, warum es Scholz gelingen konnte, sich als eigentlich­er Erbe der Kanzlerin zu inszeniere­n.

BERICHT MERKEL VERURTEILT ATTACKEN . . ., POLITIK

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