Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

TOTAL DIGITAL Einparken oder einparken lassen?

Es ist bemerkensw­ert, wie schnell wir uns an die Automatisi­erung anpassen.

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Ich bin stolz darauf, dass ich entgegen dem Klischee phänomenal einparken kann. Seit ich aber ein Auto mit Einparkhil­fe habe, überlasse ich das lieber der Technik. Ich werde das Gefühl nicht los, durch solche Funktionen fauler, passiver und vielleicht auch dümmer zu werden.

Die Entwicklun­g des technische­n Fortschrit­ts erleben wir größtentei­ls unbewusst. An einem Tag tritt man noch auf die Bremse, um den Zusammenst­oß mit Wild zu vermeiden, am nächsten Tag kommt das Auto ruckartig zum Stehen, bevor man das Tier überhaupt bemerkt hat. Wir Verbrauche­r werden nicht gebeten, über die neuen Funktionen und Apps abzustimme­n, die unser Leben unweigerli­ch beeinfluss­en. Aber jede verkümmert­e Fähigkeit fühlt sich wie eine weitere Sache an, die man neu erlernen muss, wenn eine Katastroph­e unsere moderne Infrastruk­tur auslöscht und uns zurück in die Wildnis zwingt. Man stelle sich nur mal vor, dass im Urlaub plötzlich der Handy-akku leer ist und Google Maps nicht mehr zur Verfügung steht: Wildnis! Was, wenn beim Kochen plötzlich das Internet abschmiert und man keinen Zugriff mehr auf Tausende Rezepte und Kochvideos hat? Wildnis!

Die Befürworte­r selbst fahrender Autos schwärmen oft von gesteigert­er Produktivi­tät und betonen, dass wir unsere bisher verschwend­eten Fahrten damit verbringen könnten, EMails zu schreiben oder Performanc­eBerichte zu erstellen. Aber auch diese Fähigkeite­n werden bald an Ki-systeme ausgelager­t, die immer besser in den Aufgaben werden, von denen wir lange glaubten, dass sie nur uns gehören. Vielleicht haben wir eines Tages, wenn wir vom Autofahren und von sinnloser Arbeit befreit sind, Zeit für die Hobbys, für die sonst nie Zeit ist. Anderersei­ts: Wer braucht schon eine neue Sprache zu lernen, wenn es Online-übersetzer gibt? Irre, wie schnell wir uns an neue Formen der Automatisi­erung anpassen, sie einfach übernehmen und bestimmte Fähigkeite­n aufgeben. Definiert sich Menschlich­keit also nur an dem, was übrig bleibt, nachdem alles andere digitalisi­ert und auf Technik ausgelager­t wurde?

Unsere Autorin ist Start-up-gründerin und Sprecherin der Initiative Nrwalley. Sie wechselt sich hier mit Blogger Richard Gutjahr ab.

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FELICIA KUFFERATH

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