Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Das denkt der Nachwuchs über Grün-Gelb
Die Sprecherin der Grünen Jugend NRW und der Landeschef der Jungen Liberalen über die Vorsondierungen in Berlin.
Frau Dichant, Herr Steffen, wenn Sie beide jetzt anstelle von Frau Baerbock und Herrn Lindner die grün-gelben Vorsondierungen verhandeln würden, wie lange würden Sie brauchen?
DICHANT Gute Frage. Alle Beteiligten sind an einer schnellen Regierungsbildung interessiert. Es sollten also maximal ein paar Wochen werden – wobei die Schwierigkeit ja darin liegt, sich auf den dritten Partner zu einigen.
STEFFEN Nur weil unsere Parteien gemeinsame Ziele haben, ist ja der Weg noch nicht definiert. Neben fundamentalen Unterschieden gibt es aber viele Gemeinsamkeiten von FDP und Grünen. Dazu gehört etwa, dass wir nicht für eine ununterbrochene Regierungsbeteiligung stehen wie Union und SPD – wir stehen für Veränderung und Aufbruch, die Volksparteien für Stillstand. Unabhängig davon, ob Olaf Scholz oder Armin Laschet Kanzler wird.
Welche drei Punkte müssten zwingend auf der Agenda stehen?
STEFFEN Zuallererst das Thema Bildungspolitik. Corona hat die Dringlichkeit bewiesen. 16 unterschiedliche Bildungssysteme sind nicht zukunftsträchtig. Und Bildung ist der Schlüssel zu guter Sozialpolitik. Dazu muss Klimapolitik auf die Agenda, wir müssen den Co2-preis und den Emissionshandel ausweiten. Dritter Punkt: Steuerpolitik – entlasten statt belasten.
DICHANT Aus Sicht der Grünen steht Klimaschutz an erster Stelle. Da reicht der marktwirtschaftliche Weg nicht aus, wir müssen als Staat klare Regeln vorgeben – an denen sich Verbraucher, Verbraucherinnen und Unternehmen orientieren können. Das wird ein sehr spannender Punkt der Verhandlungen. Soziale Gerechtigkeit ist ein zweites Thema, wir müssen Hartz IV überwinden, und wir brauchen eine Kindergrundsicherung. Generationengerechtigkeit ist der dritte Punkt: Wir müssen mehr Politik für junge Menschen machen.
STEFFENDAS Thema Soziale Gerechtigkeit ist ein Grund für viele gewesen, FDP zu wählen. Soziale Gerechtigkeit besteht für uns aber nicht aus Gleichheit oder der gleichen Verteilung von Vermögen. Es muss einen Unterschied machen, ob ich fleißig bin, talentiert bin, Risiken eingehe. Das ist ein fundamentaler Wert unserer Marktwirtschaft. Soziale Ungerechtigkeit ist, wenn sich Menschen nicht aus ihrem Status herausarbeiten können. Etwa der Schüler aus einem Hartz-iv-haushalt, der seine Nebeneinkünfte so hoch versteuern muss wie niemand sonst im deutschen Steuersystem.
DICHANT Dass sich Menschen durch eigene Leistung aus ihrem Status herausarbeiten, ist ein Fdp-märchen, nicht die Realität. Kinder aus HartzIv-familien haben einfach nicht die gleichen Chancen wie Kinder wohlhabenderer Familien. Es geht um die Frage: Wie können wir als Gesellschaft Menschen ernsthaft gleiche Chancen bieten?
STEFFEN Gar nicht.
DICHANT Aber das muss doch am Ende das Ziel sein.
STEFFEN Nein.
DICHANT Da werden wir wohl nicht übereinkommen! Ich glaube, das wird der springende Punkt bei den Sondierungsgesprächen, nicht das Thema Klimaschutz.
STEFFEN Das war auch kein flapsiges Nein – das zeigt nur: Ihr geht von Chancengleichheit aus, wir von Chancengerechtigkeit. Die schafft man nicht durch 50 Euro mehr oder weniger Sozialleistungen. Wir brauchen gezielte Förderung. Die besten
Schulen müssen gerade da stehen, wo Bildung am dringendsten gebraucht wird.
DICHANT Aber es geht doch um ein Gesamtpaket: Wir brauchen höhere Sozialleistung, Steuerentlastungen bei Geringverdienenden und höhere Steuern für Besserverdienende. Was nützt die beste Bildung, wenn du dir kein Hobby, keine neue Jeans leisten kannst?
STEFFEN Du stärkst aber doch nicht den Schwächeren, indem du den Stärkeren schwächst. Die Vermögenssteuer setzt falsch an: Wer als Unternehmer noch mehr Steuern zahlen soll, überlegt sich zweimal ob er noch Minijobber anstellt oder investiert. Die FDP will niedrige und mittlere Einkommen entlasten – da können wir uns vermutlich schnell über Freibeträge einig werden.
Aber die FDP will keine Steuererhöhungen.
DICHANT Das ist das Problem, wir Grünen glauben, dass es ohne Steuererhöhung nicht geht: Wir stecken nicht nur in einer Klima- sondern auch in einer Wirtschaftskrise und brauchen Gelder.
Gibt es beim Klimaschutz Konsens?
STEFFEN Wir wollen das durch Emissionshandel regulieren – auch mit staatlichen Regeln. Und wir glauben an Innovationen und wissenschaftlichen Fortschritt, da wollen wir investieren, ohne Denkverbote. Wir brauchen mehr Wachstum statt Deindustrialisierung, wir müssen Klimaschutz zum Exportschlager machen – etwa mit synthetischen Kraftstoffen. Andere Länder müssen unserem Weg folgen wollen.
DICHANT Uns Denkverbote vorzuwerfen, ist auch eine alte Leier.
STEFFEN Genau wie das Vorurteil, dass wir nur an den freien Markt glauben. Das stimmt ja nicht, der Markt braucht Regeln.
DICHANT Da sind wir uns einig, die Frage ist nur wie viele.
Wie sieht die FDP, wie sehen die Grünen die Rolle des Staates?
STEFFEN Der Staat ist Moderator, mehr nicht. „Der Staat“kann nicht alles regeln. Er sollte mehr Vertrauen in die Bevölkerung haben. Auch bei den Verhandlungen muss überlegt werden: Wo können wir Subventionen, Regelungen zurücknehmen, vereinfachen statt weiter aufzuspalten. Beispiel Bürgergeld.
DICHANT Der Staat ist vor allem Gestalter – aber der Staat, das sind ja Bürger und Bürgerinnen und deren gewählte Vertreter und Vertreterinnen – die alle aktiv mitgestalten. Der Staat ist nicht nur da, zu moderieren, sondern auch Grenzen aufzuzeigen.
Was ist Freiheit?
DICHANT Freiheit ist für mich Wahlfreiheit, aber auch Gestaltungsfreiheit: Ich möchte, dass ich als Bürgerin zwischen Bahn, Bus, Fahrrad oder E-auto wählen und mitentscheiden kann, was wo zur Wahl steht. Wir brauchen einen neuen Freiheitsbegriff, der nicht nur die Gegenwart betrachtet, sondern auch einbezieht, dass wir auch den nächsten Generationen noch Freiheiten garantieren können und nicht deren Zukunft verspielen. STEFFEN Völlige Freiheit gibt es nicht – wir sind ja soziale Wesen. Allerdings: Der Einzelne sollte die maximale Freiheit bekommen. Und wir sollten uns da nicht in Schnitzel- oder Tempolimit-debatten verlieren.
Ist die Jugend pessimistisch?
DICHANT Die Frage stört mich. Nicht zu sehen, wie die Zukunft aussehen wird, ist Realitätsverweigerung. Ich kann die Angst vor der Klimakrise verstehen, und ich habe auch Angst.
STEFFEN Es gibt nicht die eine junge Generation. Es gibt genauso auch junge Menschen, die den Klimawandel ernstnehmen – aber optimistisch rangehen. Wir Liberalen haben ein positives Menschenbild und vertrauen auf eine bessere Zukunft.
Nach der Wahl ist vor der Wahl: Was muss in NRW am ehesten angepackt werden?
DICHANT In jedem Fall Bildungspolitik: Es kann nicht das Ziel sein, zum Status quo zurückzukehren, wenn die Pandemie vorbei ist. Wir brauchen einen Neustart für Schulen, individuelle Förderung, digitale Konzepte und auch den Ausbau von integrativen Konzepten.
STEFFEN Wir müssen NRW innovativer gestalten: beim Verkehr, bei der Verbindung von Stadt und Land, bei der Zusammenführung der vielen Verkehrsbetriebe, beim Thema Hochschulen, mehr finanzielle Möglichkeiten, bessere Verdrahtung. Nrw-universitäten sollten Vorreiter werden, nicht gute Leute an andere Bundesländer verlieren.
Zurück zum Bund, lieber Jamaikaoder lieber Ampelkoalition? DICHANT Ampel! Weil Armin Laschet auf keinen Fall Kanzler werden darf und die Union dringend in die Opposition muss.
STEFFEN Ich glaube nicht, dass Armin Laschet Kanzler werden kann. Andererseits fällt es schwer, zwei Parteien an die Regierung zu hieven, die auch die Sed-nachfolgepartei an den Kabinettstisch geholt hätten. Dennoch: Die Ampel kann eine inhaltliche Chance sein. Und die CDU ist nicht unser natürlicher Koalitionspartner – auch nicht für die nächste Landtagswahl.