Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Kult sein ist kein Freifahrts­chein

- STEFAN KLÜTTERMAN­N

Am Ende wären sie es wahrschein­lich alle gerne, jeder einzelne Fußballklu­b: ein Kultverein. Einer, von dem auch Anhänger anderer Vereine sagen: Der bereichert die Liga. Einer, in dessen Stadion man mal gewesen sein muss, um die Stimmung zu erleben. Einer, der hilft, die Fankultur hochzuhalt­en. Union Berlin galt lange Jahre als so ein Verein. Rebellisch gegen die Obrigkeit, die kecke Alternativ­e aus Köpenick zu den Möchtegern-reichen von Hertha BSC, ein Sehnsuchts­ort für Fußballfan­s. Doch der Kultstatus hat Risse bekommen. Und Union selbst hat eifrig daran gearbeitet.

Im Januar ermittelte der DFB gegen Union-profi Florian Hübner wegen eines Rassismus-vorwurfs. Er soll Leverkusen­s Nadiem Amiri beleidigt haben. Als Bayer 04 im August wieder in Köpenick antrat, wurden Amiri und Teamkolleg­e Jonathan Tah bei jeder Aktion ausgepfiff­en. Union-präsident Dirk Zingler sagte in der Halbzeit, es sei das „gute Recht“der Fans, das zu tun. Zingler vorneweg, aber der gesamte Union-kosmos forderte des weiteren schon früh eine vollständi­ge Zuschauerr­ückkehr, während im Land die Angst vor einer vierten Welle im Herbst und neuen Corona-mutationen wuchs. Nach dem Einzug in die Conference League hatten mehr als 2000 Union-fans dicht an dicht und ohne Maske eine illegale Party gefeiert, während der Berliner Amateur- und Breitenspo­rt unter strengen Hygienereg­eln litt.

Und jetzt ermittelt also der Staatsschu­tz nach Unions Europapoka­lspiel gegen Maccabi Haifa wegen des Verdachts der Volksverhe­tzung. Es soll im Stadion zu Angriffen gegen Anhänger des israelisch­en Meisters gekommen sein. Union signalisie­rte, man wolle die Vorfälle gemeinsam mit den Behörden lückenlos aufklären. Ein richtiger Schritt. Aber eben auch der einzig gangbare.

Union hat sich über Jahre bundesweit Sympathien erarbeitet. Aber Kult sein ist kein Freifahrts­chein. Auch kein Selbstzwec­k.

Der Klub läuft in den Augen vieler Gefahr, es mit der Selbstverl­iebtheit zu übertreibe­n.

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