Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Der Arbeitsmarkt wird sich erholen“
BIRGITTA KUBSCH-VON HARTEN Die Chefin der Agentur für Arbeit erklärt die deutliche Zunahme von Arbeitslosen und wagt eine Prognose.
DÜSSELDORF Die Pandemie hatte und hat starke Folgen für den Arbeitsmarkt. Was das für die Stadt bedeutet, haben wir mit Birgitta Kubsch-von Harten, Chefin der Agentur für Arbeit in Düsseldorf, in ihrem Büro an der Grafenberger Allee besprochen.
Frau Kubsch-von Harten, trotz deutlicher Verbesserung im September, die Zahl der Arbeitslosen liegt rund 18 Prozent höher als vor genau zwei Jahren vor der Pandemie. Wie ist das zu erklären? KUBSCH-VON Harten: Das ist ein Phänomen der Großstädte. In Düsseldorf sind die besonders von der Pandemie betroffenen Branchen sehr stark vertreten: Flughafen, Hotels und Gaststätten, Tourismus, Veranstaltungen, Messen. Kleine Städte profitieren deutlich stärker von der Stabilisierung des Marktes. Aber die positive Botschaft ist, dass die Arbeitslosigkeit fast das ganze Jahr über in kleinen Schritten weniger wurde und wir jetzt sogar einen deutlichen Sprung gemacht haben.
Diesen Sprung haben wir 2019 aber auch gesehen.
KUBSCH-VON Harten: Das stimmt, das ist saisonabhängig. Wenn Auszubildende nicht übernommen werden, sind sie meist über den Sommer ein paar Monate arbeitslos, finden aber oft als gut ausgebildete Fachkräfte schnell eine Anstellung.
Wer sind denn die neuen Arbeitslosen im Vergleich zu 2019? KUBSCH-VONHARTEN: Wir sehen eine Durchmischung, die wir häufig haben. Nach dem starken Anstieg zu Beginn der Coronakrise fanden im Laufe der Zeit vor allem die Ungelernten keine erneute Anstellung. Insgesamt haben nach wie vor zwei Drittel aller Arbeitslosen keinen Abschluss. Deshalb werben wir so für abgeschlossene Ausbildungen. Auch Menschen fortgeschrittenen Alters sind bekannter Weise besonders betroffen. Die neuen Arbeitslosen kommen allerdings stärker aus den stärker von Corona betroffenen Branchen.
Während die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr abnahm, stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit Beginn der Pandemie immer weiter. Erst jetzt im September fiel die Zahl leicht auf 11.781, damit liegt sie mehr als 60 Prozent über dem Wert von 2019. Woran liegt das? KUBSCH-VON Harten: Man muss dazu sagen, wir kommen von einem sehr geringen Niveau für eine
Großstadt. Prozentual sieht der Sprung größer aus, als er in absoluten Zahlen ist. Aber pandemiebedingt sehen wir, dass Unternehmen eher Menschen freigesetzt haben, die keine abgeschlossene Ausbildung haben. Diese Menschen finden schwerer eine neue Stelle. Hinzu kommt, dass anstelle von zwölf zeitweise 15 Monate Arbeitslosengeld I bezogen werden konnte und diese Menschen nach einem Jahr zu den Langzeitarbeitslosen zählten.
Was tun Sie gegen die Langzeitarbeitslosigkeit?
KUBSCH-VON Harten: Qualifizierung ist am wichtigsten, da investieren wir sehr viel. Eine Botschaft ist: Auch mit Mitte 30 lohnt es sich, eine Ausbildung nachzuholen. Zudem gibt es über das Teilhabechancengesetz eine bis zu fünf Jahre andauernde Förderung von Langzeitarbeitslosen. Wir zahlen zu Beginn bis zu 100 Prozent des Lohns und begleiten mit einem Coaching. Da gehen wir jetzt wieder in intensivere Gespräche mit Arbeitgebern. Vor der Pandemie war das gut angelaufen. Mir ist zudem die Botschaft an die Wirtschaft wichtig, dass wir Menschen brauchen, die längere Zeit nicht am Erwerbsleben teilhaben konnten, vor allem im Hinblick auf die Struktur älter werdender Beschäftigter, die bald aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Das ist das wichtigste Mittel neben Fachkräftezuwanderung und Qualifizierung.
Trotz mehr Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosen fallen mehr und mehr freie Stellen im Bestand auf. Wie passt das zusammen? KUBSCH-VON Harten: Düsseldorf ist ein ausgewiesener Fachkräftemarkt, während zwei Drittel der Arbeitslosen ungelernt sind. Deswegen sind für uns Aus- und Weiterbildung so entscheidend.
Wie gehen Sie da vor?
KUBSCH-VON Harten: Wir beraten
Unternehmen, wie sie Angestellte für die Zukunft weiterbilden können. An den Kosten beteiligen wir uns. Konkret ist aktuell in der Gastronomie zu sehen, wie stark Personal gesucht wird. Da hat offenbar das Vertrauen in die Branche gelitten, wir wollen da zum Beispiel mit einer Vermittlungsbörse und gezielter Personalrekrutierung unterstützen, um bei uns arbeitslos gemeldete Menschen für diese Tätigkeiten zu öffnen.
So wichtig die Ausbildung ist, auch da fällt auf, dass es deutlich weniger Bewerber und weniger Stellen als vor der Pandemie gibt. KUBSCH-VON Harten: Das stimmt, aber es gibt deutlich mehr Stellen als im vergangenen Jahr. Bei den Bewerbern macht sich die demografische Entwicklung bemerkbar, wir haben weniger Schüler. Zudem war die große Herausforderung, dass wir nicht so an den Schulen präsent sein konnten. Der Beratungsort Schule hat eine besonders hohe Bedeutung für uns.
Seit wann sind die dort wieder unterwegs und in welchem Maße?
KUBSCH-VON Harten: Wir haben im Mai wieder angefangen und sind jetzt seit September auf dem Niveau von vor der Pandemie.
Wie wird sich der Ausbildungsmarkt entwickeln?
KUBSCH-VON Harten: Ich glaube, dass wir nach der Pandemie an das Niveau von 2019 anknüpfen werden, was die Anzahl Ausbildungsinteressierter betrifft. Zudem werden wir stärker ein Bewerbermarkt, es wird also mehr Stellen als Azubis geben, die so recht frei wählen können.
Wie bewerten Sie insgesamt die Lage auf dem Arbeitsmarkt?
KUBSCH-VON Harten: Wir sind sehr aufmerksam, aber nicht besorgt. Düsseldorf hat einen guten Arbeitsmarkt, ist wirtschaftlich stabil und in den Branchen sehr facettenreich aufgestellt. In anderen Regionen sind die Herausforderungen noch deutlich größer.
Wie fällt Ihre Prognose für die nächsten Jahre aus?
KUBSCH-VON Harten: Ohne größere nicht abzusehende Faktoren, bin ich der Überzeugung, dass wir uns in einem Jahr oder anderthalb Jahren erholt haben. Ich hoffe sogar schneller. Aber in der Pandemie sind so viele kleine Unternehmen betroffen gewesen, dass die Prognose schwer fällt. Was in Düsseldorf übrigens besonders hilft, ist ein überdurchschnittlich gutes Netzwerk aus Kammern, Gewerkschaften, Unternehmen und auch uns.