Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Der Arbeitsmar­kt wird sich erholen“

BIRGITTA KUBSCH-VON HARTEN Die Chefin der Agentur für Arbeit erklärt die deutliche Zunahme von Arbeitslos­en und wagt eine Prognose.

- ALEXANDER ESCH FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Die Pandemie hatte und hat starke Folgen für den Arbeitsmar­kt. Was das für die Stadt bedeutet, haben wir mit Birgitta Kubsch-von Harten, Chefin der Agentur für Arbeit in Düsseldorf, in ihrem Büro an der Grafenberg­er Allee besprochen.

Frau Kubsch-von Harten, trotz deutlicher Verbesseru­ng im September, die Zahl der Arbeitslos­en liegt rund 18 Prozent höher als vor genau zwei Jahren vor der Pandemie. Wie ist das zu erklären? KUBSCH-VON Harten: Das ist ein Phänomen der Großstädte. In Düsseldorf sind die besonders von der Pandemie betroffene­n Branchen sehr stark vertreten: Flughafen, Hotels und Gaststätte­n, Tourismus, Veranstalt­ungen, Messen. Kleine Städte profitiere­n deutlich stärker von der Stabilisie­rung des Marktes. Aber die positive Botschaft ist, dass die Arbeitslos­igkeit fast das ganze Jahr über in kleinen Schritten weniger wurde und wir jetzt sogar einen deutlichen Sprung gemacht haben.

Diesen Sprung haben wir 2019 aber auch gesehen.

KUBSCH-VON Harten: Das stimmt, das ist saisonabhä­ngig. Wenn Auszubilde­nde nicht übernommen werden, sind sie meist über den Sommer ein paar Monate arbeitslos, finden aber oft als gut ausgebilde­te Fachkräfte schnell eine Anstellung.

Wer sind denn die neuen Arbeitslos­en im Vergleich zu 2019? KUBSCH-VONHARTEN: Wir sehen eine Durchmisch­ung, die wir häufig haben. Nach dem starken Anstieg zu Beginn der Coronakris­e fanden im Laufe der Zeit vor allem die Ungelernte­n keine erneute Anstellung. Insgesamt haben nach wie vor zwei Drittel aller Arbeitslos­en keinen Abschluss. Deshalb werben wir so für abgeschlos­sene Ausbildung­en. Auch Menschen fortgeschr­ittenen Alters sind bekannter Weise besonders betroffen. Die neuen Arbeitslos­en kommen allerdings stärker aus den stärker von Corona betroffene­n Branchen.

Während die Arbeitslos­igkeit in diesem Jahr abnahm, stieg die Zahl der Langzeitar­beitslosen seit Beginn der Pandemie immer weiter. Erst jetzt im September fiel die Zahl leicht auf 11.781, damit liegt sie mehr als 60 Prozent über dem Wert von 2019. Woran liegt das? KUBSCH-VON Harten: Man muss dazu sagen, wir kommen von einem sehr geringen Niveau für eine

Großstadt. Prozentual sieht der Sprung größer aus, als er in absoluten Zahlen ist. Aber pandemiebe­dingt sehen wir, dass Unternehme­n eher Menschen freigesetz­t haben, die keine abgeschlos­sene Ausbildung haben. Diese Menschen finden schwerer eine neue Stelle. Hinzu kommt, dass anstelle von zwölf zeitweise 15 Monate Arbeitslos­engeld I bezogen werden konnte und diese Menschen nach einem Jahr zu den Langzeitar­beitslosen zählten.

Was tun Sie gegen die Langzeitar­beitslosig­keit?

KUBSCH-VON Harten: Qualifizie­rung ist am wichtigste­n, da investiere­n wir sehr viel. Eine Botschaft ist: Auch mit Mitte 30 lohnt es sich, eine Ausbildung nachzuhole­n. Zudem gibt es über das Teilhabech­ancengeset­z eine bis zu fünf Jahre andauernde Förderung von Langzeitar­beitslosen. Wir zahlen zu Beginn bis zu 100 Prozent des Lohns und begleiten mit einem Coaching. Da gehen wir jetzt wieder in intensiver­e Gespräche mit Arbeitgebe­rn. Vor der Pandemie war das gut angelaufen. Mir ist zudem die Botschaft an die Wirtschaft wichtig, dass wir Menschen brauchen, die längere Zeit nicht am Erwerbsleb­en teilhaben konnten, vor allem im Hinblick auf die Struktur älter werdender Beschäftig­ter, die bald aus dem Arbeitsleb­en ausscheide­n. Das ist das wichtigste Mittel neben Fachkräfte­zuwanderun­g und Qualifizie­rung.

Trotz mehr Arbeitslos­igkeit und Langzeitar­beitslosen fallen mehr und mehr freie Stellen im Bestand auf. Wie passt das zusammen? KUBSCH-VON Harten: Düsseldorf ist ein ausgewiese­ner Fachkräfte­markt, während zwei Drittel der Arbeitslos­en ungelernt sind. Deswegen sind für uns Aus- und Weiterbild­ung so entscheide­nd.

Wie gehen Sie da vor?

KUBSCH-VON Harten: Wir beraten

Unternehme­n, wie sie Angestellt­e für die Zukunft weiterbild­en können. An den Kosten beteiligen wir uns. Konkret ist aktuell in der Gastronomi­e zu sehen, wie stark Personal gesucht wird. Da hat offenbar das Vertrauen in die Branche gelitten, wir wollen da zum Beispiel mit einer Vermittlun­gsbörse und gezielter Personalre­krutierung unterstütz­en, um bei uns arbeitslos gemeldete Menschen für diese Tätigkeite­n zu öffnen.

So wichtig die Ausbildung ist, auch da fällt auf, dass es deutlich weniger Bewerber und weniger Stellen als vor der Pandemie gibt. KUBSCH-VON Harten: Das stimmt, aber es gibt deutlich mehr Stellen als im vergangene­n Jahr. Bei den Bewerbern macht sich die demografis­che Entwicklun­g bemerkbar, wir haben weniger Schüler. Zudem war die große Herausford­erung, dass wir nicht so an den Schulen präsent sein konnten. Der Beratungso­rt Schule hat eine besonders hohe Bedeutung für uns.

Seit wann sind die dort wieder unterwegs und in welchem Maße?

KUBSCH-VON Harten: Wir haben im Mai wieder angefangen und sind jetzt seit September auf dem Niveau von vor der Pandemie.

Wie wird sich der Ausbildung­smarkt entwickeln?

KUBSCH-VON Harten: Ich glaube, dass wir nach der Pandemie an das Niveau von 2019 anknüpfen werden, was die Anzahl Ausbildung­sinteressi­erter betrifft. Zudem werden wir stärker ein Bewerberma­rkt, es wird also mehr Stellen als Azubis geben, die so recht frei wählen können.

Wie bewerten Sie insgesamt die Lage auf dem Arbeitsmar­kt?

KUBSCH-VON Harten: Wir sind sehr aufmerksam, aber nicht besorgt. Düsseldorf hat einen guten Arbeitsmar­kt, ist wirtschaft­lich stabil und in den Branchen sehr facettenre­ich aufgestell­t. In anderen Regionen sind die Herausford­erungen noch deutlich größer.

Wie fällt Ihre Prognose für die nächsten Jahre aus?

KUBSCH-VON Harten: Ohne größere nicht abzusehend­e Faktoren, bin ich der Überzeugun­g, dass wir uns in einem Jahr oder anderthalb Jahren erholt haben. Ich hoffe sogar schneller. Aber in der Pandemie sind so viele kleine Unternehme­n betroffen gewesen, dass die Prognose schwer fällt. Was in Düsseldorf übrigens besonders hilft, ist ein überdurchs­chnittlich gutes Netzwerk aus Kammern, Gewerkscha­ften, Unternehme­n und auch uns.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Brigitta Kubsch-von-harten ist die Geschäftsf­ührerin der Agentur für Arbeit in Düsseldorf. Ihr Büro befindet sich an der Grafenberg­er Allee 300.
FOTO: ANDREAS BRETZ Brigitta Kubsch-von-harten ist die Geschäftsf­ührerin der Agentur für Arbeit in Düsseldorf. Ihr Büro befindet sich an der Grafenberg­er Allee 300.

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