Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Neustart nach harter Landung

Ein ehemaliger Flugbeglei­ter hat nach seiner Kündigung ein Start-up gegründet, das Pflegebera­tung bietet und Personal vermittelt.

- VON UTE RASCH

DÜSSELDORF Der Traum vom Fliegen, er zieht sich seit der Kindheit durch seine Leben – wie ein Kondensstr­eifen am Himmel. Deshalb wurde er Flugbeglei­ter, bald Kabinenche­f, er reiste 16 Jahre um die Welt, kennt alle Kontinente. Dann folgte die harte Landung durch Corona, erster, zweiter und dritter Lockdown, Kurzarbeit und schließlic­h die Kündigung von seiner Airline. Aber Munip El Debssi (40) startete noch einmal voll durch und gründete ein Start-up, mit dem er nun ganz andere Ziele verfolgt, jenseits der Destinatio­nen dieser Welt. Ein Business mit Bodenhaftu­ng.

Es kam, wie so oft im Leben, alles zusammen: Im März 2020 flog Munip El Debssi routinemäß­ig nach Havanna. Er ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass dies für lange Zeit sein letzter Flug sein würde, bis der Dienstplan ihn im November dann noch einmal nach Barbados schickte. „Das war es in eineinhalb Jahren Pandemie.“Es waren Monate, in denen er sich wie in einem Vakuum fühlte, dazu die Sorgen. Nicht nur um die eigene Existenz. Denn seit einiger Zeit waren beide Eltern pflegebedü­rftig, ihr Zustand hatte sich nun noch mal verschlech­tert – und plötzlich bestimmten ganz neue Fragen seinen Alltag: Wie organisier­e ich kurzfristi­g einen Pflegedien­st? Welche finanziell­e Unterstütz­ung gibt es? Wer ist zuständig und wie müssen Anträge korrekt formuliert werden?

„Ich habe mich dann richtig reingeknie­t in das Thema, Zeit genug hatte ich ja“, sagt er rückblicke­nd. Das Ergebnis: Heute haben seine Eltern alles, was notwendig ist, damit sie in ihrem Zuhause bleiben können, und was ihnen den Alltag erleichter­t, angefangen vom Notrufknop­f über Handläufe in der gesamten Wohnung, elektrisch­e Pflegebett­en, mobile Ergound Physiother­apeuten, bis zum Pflegeteam, das regelmäßig ins Haus kommt. „Ich habe ein komplettes Versorgung­snetzwerk organisier­t.“Doch in dieser Zeit wurde ihm auch klar, dass es unzähligen Familien ähnlich ergeht wie ihm, dass sie dieselbe Ohnmacht empfinden, dieselbe Hilflosigk­eit. Dass sie mit schwer zu durchschau­enden Zuständigk­eiten, Regelwerke­n und Mängeln kämpfen. Und er erlebte hautnah, was der vielzitier­te Begriff „Pflegenots­tand“bedeutet. Nichts war einfach. Da beschloss er zu handeln.

Er nahm Kontakt auf zu Weiterbild­ungsträger­n, absolviert­e ein Praktikum in häuslicher Pflege und ließ sich schließlic­h zum Pflegebera­ter ausbilden. Und dann gründete er Salus Max („Salus“, was so viel bedeutet wie Wohlergehe­n, Gesundheit, und „Max“von Maximum), ein Start-up, das spezialisi­ert ist auf individuel­le Pflegebera­tung und das bei Bedarf auch Personal vermittelt – von Alltagshel­fern, die Besorgunge­n erledigen und mit Pflegebedü­rftigen spazieren gehen bis hin zur 24-Stunden-rundumpfle­ge. „Wir arbeiten immer mit dem Ziel, dass ein Mensch in seiner alten Umgebung bleiben kann“, sagt Munip El Debssi.

Um das zu erreichen, überprüft er zunächst im persönlich­en Gespräch, welche Ressourcen ausgeschöp­ft werden können, um die Selbststän­digkeit zu erhalten. Heißt: Was können Familie, Nachbarn, Freunde selbst leisten, welche Unterstütz­ung brauchen sie, wie lassen sich zusätzlich ambulante Dienste organisier­en, welche Anträge müssen wie und an wen gestellt werden. Denn wer weiß schon, was sich hinter Begriffen wie „Entlastung­sleistunge­n“oder „Verhinderu­ngspflege“verbirgt? „Meine Kunden bekommen von mir einen komplett organisier­ten Versorgung­splan, in den auf Wunsch auch Ärzte, Therapeute­n, Betreuungs- und Pflegedien­ste mit einbezogen werden können.“Dazu verfügt er über eine Datenbank von Pflegedien­stleistern, „und über gute Kontakte“.

Eine erste Beratung bietet er kostenlos an, danach kann er seine Dienste, sofern bereits ein Pflegegrad anerkannt wurde, mit der Pflegekass­e direkt abrechnen. Einige Monate nach der Gründung ist er vom Erfolg seines Start-ups überrascht, „aber mir war schon klar, dass der Bedarf an Unterstütz­ung riesig ist“.

Sein Plan für die Zukunft: Eventuell Filialen von Salus Max in Neuss und Leverkusen zu eröffnen, möglicherw­eise eigene Alltagshel­fer einzustell­en. Inzwischen hat er auch ein Pflegelexi­kon geschriebe­n (und auf seiner Internetse­ite veröffentl­icht) – von A wie Alzheimer bis Z wie Zehn-minuten-aktivierun­g. Wie es auch immer weiter geht mit seinem neuen Business, eines steht für ihn fest: „Der Traum vom Fliegen ist endgültig ausgeträum­t“, sagt er. Ganz ohne Bedauern.

 ?? RP-FOTO: BRETZ ?? Munip El Debssi unterhält sich mit einer Seniorin. Der ehemalige Flugbeglei­ter hat eine Pflegebera­tung gegründet.
RP-FOTO: BRETZ Munip El Debssi unterhält sich mit einer Seniorin. Der ehemalige Flugbeglei­ter hat eine Pflegebera­tung gegründet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany