Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Die wunderbare Welt des Demis Volpi
Mit „Geschlossene Spiele“debütiert der neue Ballettdirektor der Oper am Rhein.
DÜSSELDORF Herrn Lopez packt die Fleischeslust. Er bestellt Hühnchen, aber bevor es auf seinem Teller landet, will er es lebendig sehen, um sich zu vergewissern, dass es bereit ist, für ihn zu sterben. Es ist die Arroganz des Feudalherrn, der weiß, dass sein Appetit Gesetz ist – und so plustert sich der kleine Mann mit großen Gesten auf, während das längst dem Tod geweihte Tier um sein Leben tanzt. Es ist eine dieser magischen Szenen, in denen mit einem Sidekick das Surreale in den Vordergrund tritt. Aber da wirkt der Zauber der „Geschlossenen Spiele“längst. Die Absurditäten in diesem seltsamen Restaurant irgendwo in Buenos Aires, mit dem sich Demis Volpi als Ballettdirektor der Deutschen Oper am Rhein endlich dem Publikum vorstellen kann, verwundern nicht mehr. Volpis wunderbare Welt der getanzten Bilder hat Sogkraft.
Zur Spielzeit 2020/21 kam der Deutsch-argentinier als Ballettdirektor und Chefchoreograf an den Rhein. Dann kam Corona und legte alle Pläne auf Eis. Für sein Debüt hat Volpi das einzige Stück des Argentiniers Julio Cortázar ausgewählt: „Nada a Pehuajó“– Nichts geht mehr nach Pehuajó. Cortázar verhandelt darin mit den Mitteln des Surrealen seine Erfahrungen mit der Militärdiktatur in Argentinien. Es strotzt vor Geschichte, ohne eine Geschichte zu erzählen. Perón, Videla, die zahllosen spurlos Verschwundenen lauern zwischen den Zeilen. Volpi kreiert daraus ein Handlungsballett ohne Handlung, aber mit Spiel auf vielen Ebenen. Er schafft Atmosphäre, stellt die Charaktere heraus, lässt jede Figur im Tanz eine eigene Sprache entwickeln. Er mixt Stile, verbindet klassische Elemente mit Street Dance, Spitzentanz mit Rock 'n' Roll, Pasde-deux-figuren mit Tango.
„Geschlossene Spiele“bezieht sich auf Eröffnungsvarianten im Schach, bei denen sich die Reihen erst spät auflösen, die Defensive lange steht. Auch Volpi entwickelt die Bilder wie Negative in einer Dunkelkammer. Zug um Zug wird klar, dass der Mann in Weiß, der mit Pfeffermühle und Weinglas Schach spielt, die Geschicke der Gäste lenkt, das Bühnengeschehen zum Stillleben einfriert. An jedem Tisch eine andere Seeleneinsamkeit. Erst am Ende werden sie sich zusammentun – gemeinsam gegen den Richter. Der wiegt pedantisch auf Justitias Waage die Möhrchen für sein Mahl ab, während die Lage für ihn immer brenzliger wird. Aus dem Radio kommen Nachrichtenfetzen über eine Hinrichtung, und der Richter steht plötzlich als Henker da, der einen Unschuldigen zum Tode verurteilt hat. Heike Scheeles Bühne, die nach hinten spitz zuläuft suggeriert Tiefe, Fenster und Türen, die plötzlich auftauchen und ein Rollband, das Koffer ins Nichts laufen lässt, spiegeln eine Außenwelt vor, die es nicht gibt. Der Rausch der symbolstarken Bilder ist ein Vergnügen, das leise ausklingt. Das Ensemble bewegt sich mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks, bei dem jedes Rädchen makellos funktioniert.