Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die wunderbare Welt des Demis Volpi

Mit „Geschlosse­ne Spiele“debütiert der neue Ballettdir­ektor der Oper am Rhein.

- VON PETRA DIEDERICHS

DÜSSELDORF Herrn Lopez packt die Fleischesl­ust. Er bestellt Hühnchen, aber bevor es auf seinem Teller landet, will er es lebendig sehen, um sich zu vergewisse­rn, dass es bereit ist, für ihn zu sterben. Es ist die Arroganz des Feudalherr­n, der weiß, dass sein Appetit Gesetz ist – und so plustert sich der kleine Mann mit großen Gesten auf, während das längst dem Tod geweihte Tier um sein Leben tanzt. Es ist eine dieser magischen Szenen, in denen mit einem Sidekick das Surreale in den Vordergrun­d tritt. Aber da wirkt der Zauber der „Geschlosse­nen Spiele“längst. Die Absurdität­en in diesem seltsamen Restaurant irgendwo in Buenos Aires, mit dem sich Demis Volpi als Ballettdir­ektor der Deutschen Oper am Rhein endlich dem Publikum vorstellen kann, verwundern nicht mehr. Volpis wunderbare Welt der getanzten Bilder hat Sogkraft.

Zur Spielzeit 2020/21 kam der Deutsch-argentinie­r als Ballettdir­ektor und Chefchoreo­graf an den Rhein. Dann kam Corona und legte alle Pläne auf Eis. Für sein Debüt hat Volpi das einzige Stück des Argentinie­rs Julio Cortázar ausgewählt: „Nada a Pehuajó“– Nichts geht mehr nach Pehuajó. Cortázar verhandelt darin mit den Mitteln des Surrealen seine Erfahrunge­n mit der Militärdik­tatur in Argentinie­n. Es strotzt vor Geschichte, ohne eine Geschichte zu erzählen. Perón, Videla, die zahllosen spurlos Verschwund­enen lauern zwischen den Zeilen. Volpi kreiert daraus ein Handlungsb­allett ohne Handlung, aber mit Spiel auf vielen Ebenen. Er schafft Atmosphäre, stellt die Charaktere heraus, lässt jede Figur im Tanz eine eigene Sprache entwickeln. Er mixt Stile, verbindet klassische Elemente mit Street Dance, Spitzentan­z mit Rock 'n' Roll, Pasde-deux-figuren mit Tango.

„Geschlosse­ne Spiele“bezieht sich auf Eröffnungs­varianten im Schach, bei denen sich die Reihen erst spät auflösen, die Defensive lange steht. Auch Volpi entwickelt die Bilder wie Negative in einer Dunkelkamm­er. Zug um Zug wird klar, dass der Mann in Weiß, der mit Pfeffermüh­le und Weinglas Schach spielt, die Geschicke der Gäste lenkt, das Bühnengesc­hehen zum Stillleben einfriert. An jedem Tisch eine andere Seeleneins­amkeit. Erst am Ende werden sie sich zusammentu­n – gemeinsam gegen den Richter. Der wiegt pedantisch auf Justitias Waage die Möhrchen für sein Mahl ab, während die Lage für ihn immer brenzliger wird. Aus dem Radio kommen Nachrichte­nfetzen über eine Hinrichtun­g, und der Richter steht plötzlich als Henker da, der einen Unschuldig­en zum Tode verurteilt hat. Heike Scheeles Bühne, die nach hinten spitz zuläuft suggeriert Tiefe, Fenster und Türen, die plötzlich auftauchen und ein Rollband, das Koffer ins Nichts laufen lässt, spiegeln eine Außenwelt vor, die es nicht gibt. Der Rausch der symbolstar­ken Bilder ist ein Vergnügen, das leise ausklingt. Das Ensemble bewegt sich mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks, bei dem jedes Rädchen makellos funktionie­rt.

 ?? FOTO: INGO SCHÄFER ?? Der Mann in Weiß (Orazio di Bella) spielt ein Spiel mit den einsamen Seelen in einem argentinis­chen Restaurant.
FOTO: INGO SCHÄFER Der Mann in Weiß (Orazio di Bella) spielt ein Spiel mit den einsamen Seelen in einem argentinis­chen Restaurant.

Newspapers in German

Newspapers from Germany