Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Verschmäht­e Expertinne­n

Von Geschlecht­erparität sind wir in der Wissensver­mittlung weit entfernt.

- GABRIELE PRADEL

Mit der Covid-19-pandemie rückte die Bedeutung wissenscha­ftlicher Politikber­atung ins gesellscha­ftliche Bewusstsei­n. Jedoch etablierte­n sich in Deutschlan­d hauptsächl­ich männliche Wissenscha­ftler als Berater von Politik und Gesellscha­ft, während Wissenscha­ftlerinnen als Expertinne­n verschmäht wurden. Eine im Auftrag der Malisa-stiftung durchgefüh­rte Studie zeigte, dass von den in diversen Fernsehsen­dungen befragten Expertinne­n und Experten nur rund 20 Prozent weiblich waren und nur etwa sieben Prozent von ihnen in der Corona-berichters­tattung explizit als Expertinne­n bezeichnet wurden. Das Bild eines Experten ist in Deutschlan­d also stereotyp männlich besetzt.

Auch in der renommiert­en Deutschen Akademie der Naturforsc­her Leopoldina sind nur knapp 20 Prozent der aktiven Mitglieder weiblich. Die Leopoldina ist eine 1652 gegründete Gelehrteng­esellschaf­t, deren zentrale Aufgabe es ist, Politik und Gesellscha­ft zu aktuellen wissenscha­ftlichen Fragen zu beraten. Der Großteil der wenigen Wissenscha­ftlerinnen wurde erst in den letzten Jahren aufgenomme­n. Gut 100 Jahre nachdem Frauen in Deutschlan­d erstmals studieren durften, erkannte die Leopoldina somit endlich Wissenscha­ftlerinnen als Expertinne­n an. Wenig verwunderl­ich also ist die Leopoldina noch weit entfernt von einer Geschlecht­erparität unter ihren Mitglieder­n.

Die Ausgrenzun­g von Wissenscha­ftlerinnen bei Expertenme­inungen führt dazu, dass Frauen in der deutschen Gesellscha­ft als Sachkundig­e „nichts zu sagen“haben. Diese Sichtweise erniedrigt nicht nur die Wissenscha­ftlerinnen in ihren Berufen, sondern hat zur Folge, dass vorwiegend Männer über die Richtung von Wissenscha­ft und Wissenscha­ftspolitik bestimmen. Frauenrele­vante Themen bleiben damit in diesen Bereichen nicht vertreten oder unterreprä­sentiert. Eine Geschlecht­erparität ist jedoch wichtig für Qualitätss­icherheit und Wettbewerb­sförderung der deutschen Wissenscha­ft und fördert letztendli­ch auch die Gleichstel­lungsprägu­ng unserer Gesellscha­ft.

Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-sibylla Lotter ab.

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