Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Verschmähte Expertinnen
Von Geschlechterparität sind wir in der Wissensvermittlung weit entfernt.
Mit der Covid-19-pandemie rückte die Bedeutung wissenschaftlicher Politikberatung ins gesellschaftliche Bewusstsein. Jedoch etablierten sich in Deutschland hauptsächlich männliche Wissenschaftler als Berater von Politik und Gesellschaft, während Wissenschaftlerinnen als Expertinnen verschmäht wurden. Eine im Auftrag der Malisa-stiftung durchgeführte Studie zeigte, dass von den in diversen Fernsehsendungen befragten Expertinnen und Experten nur rund 20 Prozent weiblich waren und nur etwa sieben Prozent von ihnen in der Corona-berichterstattung explizit als Expertinnen bezeichnet wurden. Das Bild eines Experten ist in Deutschland also stereotyp männlich besetzt.
Auch in der renommierten Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina sind nur knapp 20 Prozent der aktiven Mitglieder weiblich. Die Leopoldina ist eine 1652 gegründete Gelehrtengesellschaft, deren zentrale Aufgabe es ist, Politik und Gesellschaft zu aktuellen wissenschaftlichen Fragen zu beraten. Der Großteil der wenigen Wissenschaftlerinnen wurde erst in den letzten Jahren aufgenommen. Gut 100 Jahre nachdem Frauen in Deutschland erstmals studieren durften, erkannte die Leopoldina somit endlich Wissenschaftlerinnen als Expertinnen an. Wenig verwunderlich also ist die Leopoldina noch weit entfernt von einer Geschlechterparität unter ihren Mitgliedern.
Die Ausgrenzung von Wissenschaftlerinnen bei Expertenmeinungen führt dazu, dass Frauen in der deutschen Gesellschaft als Sachkundige „nichts zu sagen“haben. Diese Sichtweise erniedrigt nicht nur die Wissenschaftlerinnen in ihren Berufen, sondern hat zur Folge, dass vorwiegend Männer über die Richtung von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik bestimmen. Frauenrelevante Themen bleiben damit in diesen Bereichen nicht vertreten oder unterrepräsentiert. Eine Geschlechterparität ist jedoch wichtig für Qualitätssicherheit und Wettbewerbsförderung der deutschen Wissenschaft und fördert letztendlich auch die Gleichstellungsprägung unserer Gesellschaft.
Unsere Autorin ist Professorin für Infektionsbiologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophin Maria-sibylla Lotter ab.