Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„Ich bin diese Männerklüngelgruppen leid“
JESSICA ROSENTHAL Die Juso-chefin über die Ampel und den Machtanspruch des Spd-nachwuchses gegenüber einer solchen Bundesregierung.
BERLIN Olaf Scholz spricht jetzt öfter mit Jessica Rosenthal. Die JusoChefin führt viele Spd-abgeordnete an. Die Lehrerin aus Bonn will ihren Einfluss nutzen.
Frau Rosenthal, steht die Ampelkoalition bis Weihnachten? ROSENTHAL Ich hoffe das doch sehr, dass wir bis dahin eine Regierung haben. Das sind wir den Wählerinnen und Wählern schuldig. Deutschland braucht eine Fortschrittskoalition, und ich hoffe, dass echter Fortschritt in diesem Bündnis drin ist. Das muss sich jetzt zeigen.
Muss der nächste Bundestagspräsident eine SPD-FRAU sein? ROSENTHAL Die SPD muss aufhören, immer nur Männergesichter nach vorne zu stellen. Wir haben großartige Frauen – übrigens auch unter den Juso-mdbs. Die SPD wird in den nächsten vier Jahren deutlich machen müssen, dass sie Partei der Gleichstellung ist. Da müssen manche Männer einfach einen Schritt zurücktreten und Frauen den Vortritt lassen. Ich bin diese Männerklüngelgruppen wirklich leid. Das ist meine klare Erwartungshaltung an die Fraktions- und Parteiführung. Das macht sich am Ende dann nicht an einer Personalie fest, sondern ist ein Gesamtauftrag.
Wie stark können die Jusos die Regierungsbildung beeinflussen? ROSENTHAL Wir werden unser Gewicht deutlich einbringen. Das haben wir schon beim Wahlprogramm und bei der personellen Neuaufstellung der SPD bewiesen. Olaf Scholz und ich haben mehrfach miteinander gesprochen. Bisher wurden wir auf Augenhöhe eingebunden, und ich werde darauf dringen, dass das so bleibt. Die Jusos sind nicht angetreten, um am Katzentisch des Kanzlers zu sitzen. 49 Jusos im Bundestag – das ist eine Ansage, die niemand übersehen kann.
Die Jusos waren nicht für Scholz als Parteichef. Kann er bei einer Kanzlerwahl mit allen Stimmen der Spd-fraktion rechnen?
ROSENTHAL Selbstverständlich. Wir werden mit viel Enthusiasmus das Kreuz bei Olaf Scholz machen, denn er wird derjenige sein, der unsere inhaltlichen Vorstellungen umsetzen wird. Unzählige Jusos und vor allem unsere Kandidierenden haben sich für die SPD im Wahlkampf Hacken und Füße wundgelaufen, damit wir eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung bekommen und unsere Ideen für die Zukunft Wirklichkeit werden.
Die FDP will Reiche entlasten! ROSENTHAL Eine Entlastung der oberen zehn Prozent ist für mich undenkbar. Wir sehen bei den Superreichen eine immer stärkere Vermögenskonzentration. Deutschland hat in der Corona-pandemie richtigerweise viele Schulden aufgenommen, um Arbeitsplätze zu retten und Menschen zu unterstützen. Jetzt sollen nach der Krise die Reichsten entlastet werden? Dafür habe ich null Verständnis.
Ein Kohleausstieg vor 2038? ROSENTHAL Ein Kohleausstieg 2038 ist deutlich zu spät. Wir müssen es wesentlich früher schaffen. Ich halte aber wenig davon, irgendwelche Jahreszahlen in den Raum zu stellen, die nicht haltbar sind. Je schneller wir aus der Kohle aussteigen, desto stärker können wir unseren Treibhausgasausstoß auf einen Schlag reduzieren. Wir müssen sicherstellen, dass sich die Kohleverstromung bald nicht mehr rentiert. Bis dahin müssen wir natürlich die Versorgungssicherheit im Blick haben. Erneuerbare Energien und die Beschleunigung ihres Ausbaus bleiben eines der wichtigsten Ziele der kommenden Legislatur.
Mitgliederentscheid oder Parteitag zu einem Koalitionsvertrag?
ROSENTHAL Eine Beteiligung der Mitglieder ist in der SPD zur guten Tradition geworden. In den letzten zwei Wahlperioden haben wir Mitgliederentscheide zu Koalitionsverträgen durchgeführt. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir bei diesem Modus bleiben. Zu beachten ist der zeitliche Faktor. Wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern vor Weihnachten eine neue Regierung präsentieren wollen, muss man sehen, ob es gerechtfertigt ist, sich noch einmal die Zeit für eine Mitgliederbeteiligung zu nehmen. Für sinnvoll halte ich es allemal.
Parteivorsitz und Kanzleramt in einer Hand?
ROSENTHAL Die Trennung zwischen Partei- und Regierungsspitze hat sich gut etabliert. Wir haben 400.000 Mitglieder, da ist die programmatische Arbeit unabhängig von der Regierungsarbeit sehr wichtig. Unser Wahlprogramm war neben dem überzeugenden Kandidaten ein wesentlicher Grund für den Spd-erfolg.