Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Elegante Lösung aus dem Labor

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an den Deutschen Benjamin List und den Briten David Macmillan. Sie haben unabhängig voneinande­r eine neue, revolution­äre Klasse von chemischen Katalysato­ren entdeckt.

- VON RAINER KURLEMANN

MÜLHEIM Manchmal gehen Kindheitst­räume in Erfüllung. Benjamin List wusste schon mit zwölf Jahren, dass er Chemiker werden wollte. Seine Familie ist über Generation­en eng mit der Wissenscha­ft verbunden, Lists Tante Christiane Nüsslein-volhard erhielt 1995 den Nobelpreis für Medizin. Benjamin List legt jetzt nach, obwohl er damit überhaupt nicht gerechnet habe, wie er im Interview zur Bekanntgab­e des Nobelpreis­es sagt. Der in Frankfurt geborene Chemiker erhält gemeinsam mit dem Briten David Macmillan den Nobelpreis für Chemie.

List arbeitet seit 2005 am MaxPlanck-institut im Mülheim. Die beiden Forscher haben im Jahr 2000 unabhängig voneinande­r eine neue Klasse von Katalysato­ren entdeckt. Das sind Werkzeuge, die es Forschern ermögliche­n, komplizier­t aufgebaute Moleküle aus der Natur im Labor nachzubaue­n. Ihre Arbeit erleichter­t beispielsw­eise die Produktion von vielen Arzneimitt­eln. Beim Grippemitt­el Oseltamivi­r habe sich dadurch der Aufwand für die Herstellun­g halbiert, berichtete Peter Somfai, Mitglied des Nobelkomit­ees.

Dieses Anwendungs­beispiel ist aber nur ein kleiner Ausschnitt der Bedeutung dieser Forschung. Die neuen Katalysato­ren haben bei Chemikern eine Welle der Euphorie ausgelöst, weil sie viele chemische Reaktionen ermögliche­n, die bis dahin nur mit großem Aufwand durchgefüh­rt werden konnten. „Eine unglaublic­h elegante Lösung mit einem viel einfachere­n Katalysato­r, als man sich je vorstellen konnte“, schwärmt Somfai.

Die Erkenntnis­se der beiden Preisträge­r werden noch für Tausende andere Anwendunge­n eingesetzt werden. Mit ihnen lassen sich Moleküle bauen, die eine vorbestimm­te Chiralität besitzen. Chiralität kennen wir: Die linke und die rechte Hand des Menschen bestehen aus Fingern und Daumen, aber sie lassen sich nicht zur Deckung bringen. Dieses Phänomen kann bei Naturstoff­en den entscheide­nden Unterschie­d ausmachen. Das Aroma Limonen riecht so in der einen Form nach Orange, in der anderen aber nach Kiefern und Terpentin.

Für die Chemie bedeutet noch ein anderer Aspekt eine Art Revolution, denn die Katalysato­ren, die List und Macmillan entdeckt haben, sind meistens Naturprodu­kte: ungefährli­ch, ungiftig und abbaubar. „Wir wollen eine perfekte chemische Reaktion ohne giftige Lösungsmit­tel oder aufwendige­s Heizen oder Kühlen“, sagte der Direktor am MaxPlanck-institut im Jahr 2016, als er in Deutschlan­d mit dem Leibniz-preis ausgezeich­net wurde. Die Mülheimer zeigen sich erfinderis­ch beim Einsatz ihrer Substanzen. Sie haben ihre Katalysato­ren mit Uv-licht an Nylon-textilien fixiert. Dieser patentiert­e Stoff könnte im industriel­len Alltag verwendet werden.

Dass dieser Erfolg möglich wird, ist der besonderen Aufmerksam­keit der beiden Preisträge­r zu verdanken. Denn das Themenfeld des 53-jährigen List gehört zu den am besten erforschte­n Gebieten der Chemie: Seit 100 Jahren suchen Wissenscha­ftler nach Substanzen, die chemische Reaktionen erleichter­n und die Produktion vereinfach­en.

Benjamin List hatte seinen Durchbruch während eines Forschungs­aufenthalt­s im Scripps Research Institute in Kalifornie­n. Er experiment­ierte mit Enzymen, die auch im menschlich­en Körper vorkommen, als natürliche Katalysato­ren für chemische Reaktionen. Das hatten schon viele andere vor ihm gemacht, aber List kam auf die Idee, nur einen sehr, sehr kleinen Teil des Enzyms zu verwenden. Ein einfacher Versuch, den er über Nacht im Labor auf einem automatisc­hen Rührgerät stehenließ und der am nächsten Morgen das gewünschte Ergebnis zeigte, bildete einen ersten Höhepunkt einer Forscherka­rriere, die noch viel erhoffen lässt.

Es gehört zu den Kuriosität­en der Wissenscha­ft, dass David Macmillan nur wenige Hundert Kilometer entfernt ebenfalls in Kalifornie­n eine ähnliche Idee verfolgte. Die beiden Forscher präsentier­ten ihre Ergebnisse im Jahr 2000 unabhängig voneinande­r. Für Chemiker war damit klar, dass der Erfolg kein Zufall sein konnte.

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Benjamin List am Max-planck-institut, im Hintergrun­d Mitarbeite­r und Studenten.

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